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BUBEN WERDEN MEHR BEACHTET

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Durch Berichte aus der Forschung neugierig geworden, wollte ich sehen, wie es an meiner Schule, dem Gymnasium/Realgymnasium Wien VI, Rahlgasse 4, um die Gleichberechtigung beziehungsweise die Benachteiligung der Mädchen im koedukativen Unterricht bestellt ist -und ich wollte mein eigenes Verhalten zu Mädchen und Buben erforschen. Im November 1988 führte ich eine Erhebung über „Sexismus in der Schule" an meiner Schule durch, eine Kollegin machte dieselbe Untersuchung an einer Hauptschule.

Zwei Arbeitshypothesen bildeten den Ausgangspunkt:

A) Die Beteiligung der Schülerinnen am Unterricht sowie die Reaktionen der Lehrerinnen auf sie sind bei Buben und Mädchen unterschiedlich, Buben dominieren;

B) Die Körpersprache von Lehrerinnen und Lehrern unterscheidet sich nach den Geschlechterstereotypen.

Ich entwarf Formulare zur Beobachtung, auf denen ich verbale Interaktionen zwischen Schülerinnen und Lehrerinnen, die Bewegungen von Lehrerinnen im Klassenraum und die Körpersprache der Unterrichtenden festhalten konnte. Zu den verbalen Interaktionen zählte ich: Aufzeigen, Herausrufen, Drankommen, Gelobtwerden, Getadeltwerden sowie Beispiele dafür, wie Schülerinnen angeredet werden. Die Bewegung im Raum zeichnete ich auf einem Klassenplan ein, um festzustellen, ob sich Lehrerinnen mehr bei Buben oder Mädchen aufhalten. Zur Einschätzung der Körpersprache verwendete ich Gegensatzpaare zu den Kategorien Körperhaltung, Mimik, Gestik, Körperkontakt sowie die Gesamtgestalt, die ich zeichnerisch darstellte.

Der nächste Schritt bestand in der Auswahl der Stichprobe. Dazu teilte ich den Lehrkörper in vier Altersgruppen und wählte daraus pro Gruppe zwei bis drei Frauen und zwei bis drei Männer aus, insgesamt 18 Personen, die in zehn Unter- und acht Oberstufenklassen unterrichteten. Alle Betroffenen, Lehrerinnen und Schü-lerlnnnen zeigten sich sehr interessiert an den Ergebnissen und wollten nach Abschluß der Untersuchung „feed back" von mir bekommen.

Die Auswertung ging so vor sich, daß ich zunächst die absoluten Häufigkeiten der Interaktionen von Mädchen und Buben je Klasse auflistete, dann durch die Anzahl der Mädchen und Buben in der Klasse dividierte, um die relativen Häufigkeiten zu erhalten, die Werte für die Mädchen setzte ich gleich 1 und brachte die Bubenwerte dazu in ein proportionales Verhältnis. Schließlich bildete ich noch die Mittelwerte und stellte sie als Blockdiagramm dar.

Auffallend war, daß sich Buben doppelt so aktiv am Unterricht beteiligen wie Mädchen und auch doppelt soviel Aufmerksamkeit bekommen. Sie sind fünfmal so laut wie Mädchen, bestimmen also den Lärmpegel einer Klasse, und werden auch entsprechend häufiger getadelt. Lob kommt so gut wie gar nicht vor!

Bewegung im Raum: In der AHS war das Verhältnis von mobilen und statischen Lehrerinnen ziemlich ausgewogen, in der HS überwogen die unbeweglichen Lehrerinnen. Lehrerinnen halten sich vorwiegend in der Nähe von Buben auf -wobei mitwirkt, daß Buben fast immer vorne, in der ersten Reihe, sitzen und allein dadurch mehr Kontakt zu den Unterrichtenden haben.

Die Beobachtungen zur Körpersprache zeigten folgendes: In der Körperhaltung entsprechen Frauen und Männer den Stereotypien - weibliche Haltung ist unauffällig, in sich geschlossen und beansprucht wenig Platz; männliche Haltung ist offen, locker und breit, dies besonders ausgeprägt bei den jungen Kollegen! Mit zunehmendem Alter ähneln sich die Haltungen mehr.

In der Mimik zeigen Frauen und Männer wenig wechselnde Ausdrük-ke und sind meistens ernst, typisch ist Stirnrunzeln. Alle haben direkten Blickkontakt zu den Schülerinnen. Es zeigt sich hier, daß der Beruf bestimmender ist als das Geschlecht!

In der Gestik aber zeigten sich wieder Unterschiede. Frauen halten die Arme in Körpernähe, machen sparsame, ruhige und fließende Bewegungen, verwenden Gesten unterstreichend, verschränken oft die Arme und kreuzen die Beine. Auffallend sind häufige Selbstberührungen (Hand zu Hals, Mund, Nase, Haar...). Junge Männer gestikulieren sehr weit ausgreifend, rasch und demonstrativ, wobei Arme, Hände und Finger mitspielen, typisch sind die vielen „Fingerzeige" und offene Hände. Wenn Lehrerinnen mit einer Klasse reden, verwenden sie durchgehend männliche Anreden wie: Könnt ihr so reden, daß jeder den anderen versteht? Weiß jeder, worum es geht? Wer zeigt mir, ob er es kann?

Wenn Lehrerinnen mit Schülerinnen sprachen, kam folgendes zustande: Meine Damen, bißchen aufzeigen! Die Mädchen sind heute so ruhig! Wie heißt du? Soviele Martinas und Karins kann man sich ja nicht merken. Jetzt kommst du heraus, die ... na, wie heißt du? Ich vermute, daß sich das Wissen um meine Beobachtungskriterien auf das Verhalten der Beobachteten so ausgewirkt hat, daß sie die Mädchen miteinbeziehen wollten und dabei stellte sich heraus, daß nicht einmal die Namen der Mädchen präsent waren.

Schon allein die Durchführung der Erhebung hat die Situation kurzfristig zugunsten der Mädchen und Frauen verändert - sie wurden plötzlich wahrgenommen, angesprochen und aktiv. Nun wurde offensichtlich, wie weit sie vorher gar nicht vorhanden waren - nicht in der Wahrnehmung, nicht in der Sprache, nicht als Handelnde.

Die Autorin unterrichtet Religion am Gymnasium/Realgymnasium Wien-Rahlgasse und lehrt an der Sozialakademie für Berufstätige in Wien.

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