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Buchmalerei als Bahnbrecher

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Ein Jubiläumsgeschenk gewissermaßen hat sich und uns die österreichische Nationalbibliothek mit der Ausstellung „Französische Gotik und Renaissance in Meisterwerken der Buchmalerei“ gemacht. Man feiert sich in den Prunksälen der Hofburg - und das zu Recht.

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Ein Jubiläumsgeschenk gewissermaßen hat sich und uns die österreichische Nationalbibliothek mit der Ausstellung „Französische Gotik und Renaissance in Meisterwerken der Buchmalerei“ gemacht. Man feiert sich in den Prunksälen der Hofburg - und das zu Recht.

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In diesem Jahr wurde die katalogmäßige Erfassung der französischen Handschriften abgeschlossen. Eine vollständige, fünfbändige Dokumentation hegt vor, die einzigartig dasteht. Eine Leistung, die man nicht hoch genug einschätzen kann, denn die österreichische Nationalbibliothek ist die erste Großbibliothek der Welt, die alle ihre illuminierten Handschriften (mit Ausnahme des flämischen und deutschen Kulturbereiches) in einem mehrbändigen Corpus erschlossen hat.

Eine Ausstellung wie diese wird nicht so leicht wieder zu sehen sein. Die 75 Exponate werden ohnehin länger (bis 7. Oktober) gezeigt, als den international gültigen konservatorischen Richtlinien entspräche, und auch die Beleuchtung ist etwas besser als die in diesen Richtlinien vorgesehenen spärlichen 50 Lux, bei denen die Leuchtkraft der Farben kaum zur Geltung käme. Dafür sind die aufgeschlagenen Seiten der Bände nicht nur durch das Glas (zum Teil Spezialschei-ben) der Vitrinen, sondern zusätzlich durch Lichtschutzfolien geschützt.

Es geht einfach um einen Kompromiß zwischen dem notwendigen

Schutz dieser Werke und dem ebenfalls legitimen Wunsch der Öffentlichkeit, wenigstens einmal in einem Menschenalter einen Blick auf Schätze werfen zu dürfen, die heute, aus konservatorischen Gründen, nicht weniger exklusiv sind als in der Zeit, in der sie als Auftragswerke hochgestellter Persönlichkeiten für deren privaten Gebrauch entstanden.

Dabei hat gerade die französische Buchkunst nicht nur absolute Spitzenwerke dieser Kunstgattung hervorgebracht, sondern größte kunsthistorische Bedeutung. Denn in Frankreich erlitt die mittelalterliche Tafelmalerei sowie die Wandmalerei schon im Hundertjährigen Krieg, später in den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts und in der Französischen Revolution schwere Aderlässe, die an eine Totalzerstörung herankommen. Die mittelalterliche Malerei wird daher vor allem durch die Buchkunst dokumentiert, die zwar einerseits eigenen Gesetzlichkeiten folgt, andererseits aber im Schutz der Buchblöcke eine Leuchtkraft und Frische bewahrt hat, als wären diese Bilder erst vor wenigen Jahren entstanden.

Die Buchmalerei ist von der klassischen Kunstgeschichte lange vernachlässigt worden, es gibt sehr wenige Publikationen, die sich mit diesem Phänomen befassen. Dabei kommt ihr eine große kulturgeschichtliche Bedeutung zu. In der Buchmalerei konnte der Adel erstmals seine private Welt, seine privaten Vorstellungen niederlegen. Profane Motive durften anklingen. Das Buch war als exklusives, nicht öffentliches Kunstwerk das geeignete Medium für formale und ästhetische Neuerungen. Die Maler waren nicht mehr so sehr an die Re-präsentativität von Kunst gebunden, konnten experimentieren. In der Privatheit und Abgeschlossenheit konnten die strengen Maßstäbe einer didaktisch-sakralen Kunst überwunden werden. Eine Entwicklung, die sich an den ausgestellten Exponaten genau nachvollziehen läßt. Das neue Selbstbewußtsein des Adels und sein neues

Menschenbild hatten eine wenn auch noch nicht öffentliche Ausdrucksform gefunden. Der Ablösungsprozeß der bildenden Kunst aus der religiösen Funktion hatte begonnen.

Ein anderes interessantes Phänomen läßt sich an der Entwicklung der Buchmalerei ebenfalls ablesen: die beginnende Arbeitsteilung. Es bildeten sich.in den Werkstätten nämlich Spezialisten aus, für Initialen etwa, für bestimmte historische Motive, für besondere Arabesken. Ein Stundenbuch zum Beispiel (eine vor allem in Frankreich sehr beliebte Form) wurde von einer Gruppe hochspezialisierter Kunsthandwerker angefertigt. Die Auflösung der frühmittelalterlichen autarken Gesellschaft, der Selbstversorgergesellschaft, läßt sich gerade an den Produktionsweisen solcher Stundenbücher verfolgen.

Eine eigenständige Gattung hatte sich herausgebildet, die Voraussetzungen für die profane Kunst späterer Jahrhunderte schuf. Ein Symptom für die beginnende Autonomisierung des Kunstwerkes. Die Ästhetik des sechzehnten Jahrhunderts läßt sich schon erahnen, die höfische Porträtkunst, die Genrebilder in den Palästen der französischen Absoluten. Das Bild als Selbstzweck, als Selbstdarstellung. Ausdruck einer geänderten gesellschaftlichen Situation, des Kampfes zwischen kirchlicher und weltlicher Macht. Die Kirche begann ihr Monopol auf Präsentation von Kunst zu verlieren, eine neue Auffassung von Kunst drängte nach.

Eine Ausstellung also, die ganz neue Aspekte aufwirft, die Entwicklung der Kunst aus der sakralen Sphäre in eine weltliche in ihren Anfängen dokumentiert, das Abgleiten des Kunstwerkes zur privaten Kontemplation zeigt, eine Ausstellung, die vor allem hervorragende Exponate präsentiert, Spitzenwerke der gotischen Buchmalerei. Ausgezeichnet auch der Katalog (150 Schilling), ein wissenschaftliches Nachschlagewerk fast, mit exakten Bildbeschreibungen und fundierten kunsthistorischen Erläuterungen. Eine Ausstellung, die neben dem Genuß auch Erkenntnisse vermittelt, eine Ausstellung mit Niveau. Das heißt etwas.

Den heutigen Betrachter faszinieren diese Bilder, deren subtile Psychologie, wenn etwa menschliche Gesichtszüge fast naturalistisch exakt wiedergegeben werden, höfische Szenen den Glanz einer Epoche wiedergeben, die bereits ihr Alltagsleben zu äs-thetisieren begann. Oder die Reproduktionen von antiken, mythischen Motiven, die Interieurs von Schlafgemachen, von Palästen. Das Private, das individuelle Bedürfnis nach Luxus, nach Glanz, kann sich hier fast ungestört entfalten und bietet gerade heute wieder Identifikationsmuster. Farben gewinnen immer mehr an Bedeutung, die klassische Reinheit des gotischen Blau oder Rot ist nicht mehr so dominant. Zu sehen ist unter anderem das erste Bild überhaupt, das künstliches Licht als Gestaltungselement einsetzt.

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