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Budapest, diesen Herbst...

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Der alle fünf Jahre angesetzte Erkel-Gesarigswettbewerb- gab dem diesjährigen Saisonbeginn in Budapest seine besondere Note. Er wird auf breiter Basis und von den Auswahlkonkurrenzen bis zum Finale öffentlich durchgeführt: Die Fernsehkameras sind fast bei allen Schlußveranstaltungen dabei, lediglich — aus technischen Gründen — nicht bei der letzten Stufe des Wettbewerbs für Opernsänger, dem Auftreten im Opernhaus. Die Besten der Vorentscheidungen hatten dabei

Karin Budai. Erster Preis für Operngesang in Ausschnitten aus Opern vor das Publikum zu treten. Bereits „arrivierte“ Kollegen standen ihnen als Partner zur Verfügung, das Orchester der Staatsoper — das Improvisieren kaum gewohnt und daher in unverhältnismäßig schlechter Form — saß, wie an jedem anderen Abend, auf seinen Plätzen. Es versteht sich von selbst, daß bei so schwierigen Bedingungen Eleven, die frisch von der Schulbank kamen, kaum Chancen hatten. Tatsächlich waren die Kandidaten fast durchwegs Sänger, die bereits im Engagement standen und somit Bühnenerfahrung besaßen. Die überwiegende Mehrzahl kam von kleinen Opernhäusern des Ostblocks, wobei im Spiel die Einfallslosigkeit der Provinzregisseure sichtbar wurde. Aber selbst die beiden Ungarinnen, die die Konkurrenz gewannen und bereits am Budapester Opernhaus engagiert sind, sind in dieser Bezehung noch nicht weit gekommen. Stimmlich waren sie tatsächlich die besten, so daß ihre Auszeichnung keineswegs mit Lokalpatriotismus zu begründen ist. Livia Budai, die Gewinnerin des ersten Preises, ist eine vorzügliche Amneris und Eboli. Klara Takäcs, ebenfalls eine Altistin, erhielt als Orpheus in der Gluck-Oper viel Beifall, den die Qualität ihres sensiblen Singens auch verdiente. Eine junge Traviata aus der Sowjetunion, Teresa Slupskaja, mit dem dritten Preis ausgezeichnet, ist ein Versprechen für die Zukunft. Bei den Herren wurden nur dritte Preise vergeben, wobei der Bariton Emil Jurascu (Rumänien) und der ungarische Bassist Czaba Airizer sich über schönes Material auswiesen.

Der gleichzeitig durchgeführte Wettbewerb für Liedgesang sah ebenfalls zwei Ungarn an der Spitze: sowohl Ilona Tokody wie Läszlö Polgär wurden zu Recht ausgezeichnet, da sie auch der deutschen Sprache, die in vielen Liedern ja Voraussetzung ist, tadellos mächtig sind und sich als vorzügliche Gestalter auswiesen. Die Nähe Budapests zu den europäischen Zentren des Liedgesanges hat da sicher eine große Rolle gespielt. Ein Wettbewerb für Violaspieler sah den sowjetischen Bratschisten Michael Kugel und den Ungarn Zoltän Töth siegreich. Erfreulich, daß der einzige österreichische Teilnehmer aller Wettbewerbe, der junge Thomas Riebl, unter der starken Konkurrenz den dritten Preis erhielt.

Die Budapester Musifcsaison begann, wie könnte es anders sein, mit einem Bartök-Konzert. Die Pflege der Werke dieses Meisters, und kaum weniger diejenigen der Kompositionen Zoltän Kodälys, gehört zum zentralen Anliegen des ungarischen Kulturbewußtseins. Uberfüllte Säle beweisen, daß die Intensität, mit der die Schöpfungen der beiden Musiker betreut werden, einem echten Bedürfnis entspricht. Der Gast aus Österreich durfte sich bei der konzertanten Wiedergabe von „Herzog Blaubarts Burg“ durch die Ungarische National-Philharmonie und Jä-nos Ferencsik von dem unverändert hohen Niveau einer authentischen Wiedergabe überzeugen. Zu diesem Eindruck trägt natürlich die Qualität der Solisten wesentlich bei: Olga Szönyi und György Melis, in den Hauptpartien oft bewährt, machten neuerlich Bartöks Meisterwerk zum Erlebnis.

Die ersten Wochen der Herbstsaison gehörten freilich weniger den traditionellen Werten: sie waren überwiegend der experimentellen Musik gewidmet, wobei die heimischen Komponisten mit meist neuen Werken im Vordergrund standen. Was in einem Kammerkonzert und an einem Orchesterabend geboten wurde, hatte indessen nur bedingt nationales Kolorit — am ehesten noch in Werken, die vom ungarischen Zymbal als Soloinstrument oder im Orchester Gebrauch machen, wobei sich naturgemäß die Assoziation wie von selbst einstellt. Dabei verwenden die Komponisten Läszlö Säry (1940), Istvän Lang (1933) und Sändor Balassa (1935) das ungarische Nationalinstrument (das es aber erst durch die Zigeuner wurde) durchaus im Sinne, wie anderswo Marimbaphon und Xylophon für die Neue Musik eingesetzt werden, also zur Erzeugung von dichten Tontrauben unter Vermeidung von Melodielinien und andern tradierten Musikelementen. Musikalische Eigenständigkeit konnte keiner der drei nachweisen, obwohl sich die junge Mdrta Fabian, eine Meisterin dieses Instruments, mit außergewöhnlicher Verve und Musikalität für sie einsetzte. Das relativ beste Stück des Abends, ein Trio für Klavier, Violoncello und Schlägwerk, stammte von einem älteren Herrn, Endre Szekely (1912), der es freilich auch mit der modernen Klangkomposition hält. Das VII. Konzert des Italieners Goffredo Petrassi, vom Radio-Orchester unter György Lehel am folgenden Abend geboten, ließ kaum Form und Gestalt erkennen, eher noch sind in der Komposition „Sonoritä“ von Andräs Szöllösy (Jahrgang 1921) Werte verborgen, die über den bloßen Klangreiz hinaus Wirkungen auszulösen vermögen. Herrlichste Musik im besten Sinne des Wortes brachte schließlich eine makellose Wiedergabe der „Lulu-Symphonie“ von Alban Berg, deren Vokalpartien von Adrienne Csengery beachtenswert gesungen wurden. Das Publikum nimmt solche Konzerte freundlich zur Kenntnis, Mißfallensäußerungen scheinen verpönt, der Applaus hält sich freilich auch in Grenzen. Insgesamt 14 Orchesterkonzerte und Kammermusikveranstaltungen folgen so einander in dichter Folge. Gekrönt werden sie von einem Abend, der dem polnischen Komponisten Penderecki gewidmet ist.

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