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Budgetflucht als Tatmotiv ?

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Während die ÖVP-Tupamaros noch unterwegs waren, die sozialistischen Ahsprungbasen für Neuwahlen zu zerstören, beschloß Kanzler Kreisky gelassen, kurzerhand ohne Basis zu springen. Vom Trampolin schaut’s fescher aus, aber es geht auch ohne.

Damit hat Dr. Kreisky etwas begangen, was nach bisheriger Erfahrung glatter Wahlselbstmord wäre: ganz offen die Schuld für die vorzeitige Parlamentsauflösung übernehmen, nach einigen, von der Opposition nicht ungeschickt abgewehrten Versuchen, dieser den Schwarzen Peter zuzustecken, ihn selbst in der Hand behalten, die zwölfte Legislaturperiode vor versammelter Menge meucheln.

Daß Dr. Kreisky Neuwahlen riskieren kann, ist bekannt. Aber muß er? Einige Probleme wirtschaftlicher Natur lassen es ratsam, wiewohl nicht zwingend erscheinen:

Noch ist die Konjunktur günstig, die Beschäftigung schlägt alle Rekorde; aber die Auftragsbücher der Unternehmer sind nicht mehr so voll wie noch vor kurzem. Es steht uns zwar keine echte Rezession ins Haus, aber einige unvermeidliche Wolken auf dem Konjunkturhimmel genügen, um den schönwettergewohnten Österreicher zu verstimmen.

Noch braucht die Regierung keinen Leistungsbericht für wichtige Fragen vorzulegen, sondern kann allen alles versprechen: den Bergbauem ein Strukturprogramm, dem Fremdenverkehr ein Investitionsprogramm, den Städtern ein Wohnbauprogramm; noch kann sie mit Milliarden jonglieren und braucht die Deckungsmöglichkeiten nur vage anzudeuten. Denn daß hinter den eindrucksvollen Zahlen weniger steckt als zunächst scheint, daß es mit der Finanzierung doch nicht so reibungs- und schmerzlos geht, wird sich erst später herausstellen.

Das soll nicht heißen, daß die sozialistische Regierung nicht entschlossen sei, Taten zu setzen; sie verfügt zum Teil auch über tüchtige Fachleute dafür. Aber die Erkenntnis, daß auch diese mit Wasser kochen, kann früher oder später nicht ausbleiben. Das deutsche Beispiel, wo sich die Regierung schon ganz gewaltig in der Klemme zwischen Verheißung und Erfüllungsmöglichkeit verheddert hat, macht rasche Neuwahlen bei uns für die Sozialisten ratsam, nicht zuletzt, um den erfahrungsgemäß auf die österreichischen Wähler abfärbenden deutschen Bundestagswahlen zuvorzukommen, die für die SPD nicht ganz rosig ausgehen dürften.

Noch bleibt auch der Preisauftrieb in Österreich unter der vorsorglich hoch prognostizierten 5-Prozent- Marke; die „nur“ 4,3 Prozent Steigerung gegenüber dem Vorjahr in den ersten fünf Monaten können daher als „Erfolg“ ausgegeben werden. Doch das Institut für Wirtschaftsforschung schrieb in seinem jüngsten Monatsbericht: „Die Kostensteigerungen wurden zunächst nur teilweise auf die Preise überwälzt, und der Wirtschaftspolitik gelang es, wichtige Preiserhöhungen mit administrativen Mitteln aufzuschieben.“

Wie lange wird der Rückstau gelingen? Zwar brauchen wir keine „Preislawine“, keine galoppierende

Inflation zu befürchten, aber immerhin Teuerungen, die manche Wähler verärgern könnten.

Kernproblem Budget

Wie lange wird man ferner unpopuläre Preisdämpfungsmaßnahmen vertagen, ein verschärftes Preisregelungsgesetz hingegen als schmerzloses Allheilmittel anpreisen können? Gesetzt den Fall, eine im Amt bleibende Regierung könnte dieses im Parlament durchbringen: wie lange würde es dauern, bis diie Österreicher die gleiche Erfahrung wie andere Länder machen, nämlich daß die Preisregelung den Preisauftrieb allenfalls etwas verzögert, längerfristig jedoch bestimmt nicht verringern kann? Die Sozialisten wären um einen zugkräftigen Wahlschlager ärmer.

Das heißeste Eisen ist das Budget. Gewiß hat die Regierung Kreisky ein schweres Erbe übernommen, aber ein von den Sozialisten mit-, zum Teil sogar hauptverschuldetes; denn nicht der jeweilige Finanzminister (auch nicht der sozialistische) ist an der wachsenden Kluft zwischen Ausgaben und Einnahmen schuld, sondern das Parlament, das immer neue Ausgaben beschließt, wobei auch Minderheiten der Mehrheit aufwendige Gesetze, die entsprechend populär sind, aufzwingen können. Die

Wurzeln der heutigen Budgetmisere reichen weit in die „guten alten“ Koalitionszeiten zurück, in denen bereits die meisten dynamischen Ausgaben beschlossen wurden, die ständig den Einnahmen davonlaufen.

Man braucht kein Prophet ziu sein, um vorherzusagen, daß die Budgetdefizite weiter wachsen werden, unter einem roten Finanzminister ebenso wie unter einem schwarzen. Das böse Wort vom Schuldenmachen, das sich so leichthin ausspricht, solange nicht die eigene Partei den Finanzminister stellt, muß für die Sozialisten zum Bumerang werden.

Die Schulden werden unter den Sozialisten sogar besonders stark wachsen, wollen sie auch nur das gesichtswahrende Minimum ihres „Programmes für Österreich“ in einigermaßen glaubwürdigen Fristen verwirklichen. Es wird, trotz wachsenden Defiziten, ohne Steuererhöhungen auf die Dauer nicht abgehen, wohlgemerkt nicht ohne Erhöhung der Massensteuern; denn ,die Reichen sollen zahlen’ ist zwar als politisches Schlagwort (und als soziales Postulat) höchst brauchbar, als finanzielles Ertragswort hingegen ziemlich unergiebig.

Noch winkt zwar als Rettungsring die Mehrwertsteuer, die unter dem Vorwand der Umstellung kräftige Erhöhungen der Verbrauchssteuern und deren Ausdehnung in bisher umsatzsteuerfreie Gebiete (Mieten usw.) gestattet. Aber wie lange wird dieser Rettungsring das Budget angesichts der rasch wachsenden Anforderungen tragen?

Doch das führt schon in zu ferne Zukunft. Zunächst ist sicher: der Budgetentwurf 1972 wird, sobald er zur Gänze vorliegt, der schwarzen Opposition unweigerlich reichliche und gewiß gern ergriffene Möglichkeiten bieten, den Sozialisten ein Vierteljahrhundert unsachlicher Argumente teilweise heimzuzahlen. Wir gehen daher nicht fehl, das eigentliche Motiv für Kreiskys Neuwahlflucht doch in der Budgetangst zu sehen.

Dennoch: wozu Neuwahlen? Wird doch dadurch die Stunde der Wahrheit allenfalls nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Gewiß, aber es werden voraussichtlich mehr als eineinhalb Jahre Regierungszeit für die Sozialisten gewonnen; es bestehen für sie Hoffnungen, in einer neuen Konstellation derzeit nicht mögliche Weichenstellungen in Richtung auf eine sozialistische Gesellschaft durchzuführen, die etwa nachfolgende bürgerliche Regierungen nicht mehr rückgängig machen können. Solche Weichenstellungen würden jedoch der Sozialistischen Partei oder den Gewerkschaften auch dann dauernden Ertrag bringen, wenn jener das Regierungsruder zeitweise entgleitet. Und sollte die Konstellation nicht ganz das halten, was sie verspricht, so sind die Sozialisten die Allein Verantwortung mit ihrer ungeheuren Verschleißgefahr los.

Die Neuwahlen sind also ein sehr genau kalkuliertes Risiko; wäre das nicht der Fall, hätte ein so vorsichtiger Mann wie Anton Benya nicht darauf gedrängt, er hat ja den noch zögernden Bundeskanzler wohl ein wenig geschoben. Aber auch im Computerzeitalter sind Rechenfehler, wiewohl unwahrscheinlicher geworden, nicht ausgeschlossen.

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