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Bücher dschungel

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Seit 34 Jahren verleiht der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seinen international renommierten Friedenspreis. Nun endlich erreicht die an Friedrich Heer vorbeigegangene Ehrung einen aus Österreich stammenden Autor, einen, der ihrer wahrhaft würdig ist: Manės Sperber.

Siegfried Lenz hielt dem Dichter und Philosophen, der in Kenntnis aller vergangenen und noch möglichen Schrecken des 20.

Jahrhunderts sich einen vorsichtigen, rational begründeten Optimismus erhalten hat, die Laudatio.

Freude beim Wiener Europa- Verlag: Alle wichtigen Bücher Sperbers hat er herausgebracht, das bedeutet nicht nur Ehre, sondern auch Geld.

Helle Freude natürlich auch bei allen jenen deutschen Verlagen, die William Golding auf Lager hatten, als der Name des Nobelpreisträgers bekanntgegeben wurde. Auch ein Nobelpreis bedeutet schließlich nicht bloß für den Geehrten, sondern auch für seine(n) Verleger: Geld.

Auf der Frankfurter Buchmesse geht es, so offen wie legitim, nicht so sehr um Literatur wie um die Ware Buch, das mit Büchern, Literatur oder nicht, verdiente Geld, Arbeitsplätze, für manchen Sein oder Nichtsein.

Wieder einmal schlug sie alle Rekorde: Mehr Aussteller denn je! 5.890 Verlage, davon 1.558 westdeutsche! 300.000 Bücher! 88.000 Neuerscheinungen! Davon 61.000 aus dem Gastgeber-Land!

Verheißt das bessere Zeiten? Oder heißt es, daß alle doppelt so hart strampeln, weil ihnen das Wasser beim Mund steht? Nun, im Vorjahr war die Stimmung schlicht dreckig, heuer war sie sozusagen rosig gedämpft. Manche jubeln, manche kämpfen ums Überleben, die große Mehrheit sieht schon darin einen Erfolg, daß sie lebt.

Die zahlenmäßige Zunahme der Verlage täuscht ja. Rührige Kleinverlage wachsen zu interessanten Mittelverlagen heran. Potente Großverlage kaufen interessante Mittelverlage auf und führen sie nominell selbständig, faktisch aber oft nur als bessere Unternehmens-Abteilungen weiter.

Jeder von dem halben oder ganzen Dutzend Verlagsnamen, mit dem so ein Großverleger auftritt, zählt als Verlag. Von unten wachsen neue rührige Kleinverlage nach, zu interessanten Mittelverlagen heran … Bäume wachsen bekanntlich nie in den Himmel, aber oft kräftig in die Breite.

Geht ės mit der Belletristik wirklich bergab? Die Zahl der belletristischen Neuerscheinungen bundesdeutscher Verlage sank zwar um über 1.000 Titel, das scheint viel — aber trotzdem sind 18.875 belletristische neue Bücher erschienen, mehr, als ein Mensch in zehn Leben lesen kann.

Bloß: Das „große Buch” fehlt. Romane lassen sich auf Bestellung schreiben, von „Leicht” über „Gehoben” bis „Anspruchsvoll”, wie vom Verleger gewünscht, und manches läßt sich hochloben in mehr oder weniger kleinem Preis. Aber das Buch mit literarischem Wert und zugleich Ausstrahlung, das vielen Menschen etwas zu sagen hat — das wird geschrieben oder wird nicht geschrieben. Termingerecht für Herbst 83 wurde keines geschrieben.

Immerhin: Uwe Johnson hat seine große Bestandaufnahme eines deutschen Bewußtseins, den vierten Band der .^Jahrestage”, vollendet. Und das ist schon ein Ereignis.

Und der Engländer Le Carrė hat mit seinem neuen Agentenroman „Die Libelle” samt Filmrechten weltweit schon an die 50 Millionen Schilling verdient, und bekanntlich ist er kein übler Autor.

Und ein österreichisches Autorenteam verschaffte seinem deutschen Verlag mit blitzschnell verkauften 250.000 Exemplaren von „Bitteren Pillen” (FURCHE 38/ 83) ein zuckersüßes Supergeschäft.

Dabei muß gar nicht alles neu sein, was zieht. Ein österreichischer Verlag verkaufte im Handumdrehen 3,6 Millionen Bände Karl May, jeweils 36 Romane in einer Ka&ette, zu besonders günstigem Preis, und vermasselte damit der Konkurrenz das Geschäft mit einem noch billigeren Karl May.

Eine Minute lang war die ganze Buchmesse sprachlos. Nicht ob eines plötzlich bekanntgewordenen Super-Hits in Super-Auflage, sondern weil die Schriftsteller Europas am 15.10. um 15.10 Uhr zu einer Schweigeminute für Frieden und Abrüstung aufgefordert hatten.

Nach 59 Sekunden, auf meiner Uhr, hob das Gesumm in den Hallen wieder an, aber vielleicht habe ich mich geirrt — und es waren doch 61 Sekunden.

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