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Bücher im Haus der Bischöfe

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Eine „Frischzellenkur des Geistes" sich selbst zu verordnen, bietet sich die neu eröffnete Buchhandlung des Grazer Styria-Verlages in Wien an. Im ersten Bezirk an der Ecke Rotenturmstraße/Wollzei-le gelegen, also zu Füßen des Steffi, lädt ein freundliches Lokal zum Lesen und Stöbern ein. Bei der Gestaltung der Räume wurde ein Mittelweg gewählt zwischen jenen altehrwürdigen Buchhandlungen,

die in ihrer Schönheit eher alche-mistischen Tempeln gleichen, und den neumodischen Buch-Diskontmärkten, in denen jedes Produkt aus dem Ramsch zu kommen scheint. Die neue Styria-Buchhandlung hat Flair.

Zwar riecht alles noch frisch, noch fehlt die Patina, doch schon der erste Überblick verrät, daß hier das Buch als „Lebensmittel des Geistes", wie Sty-ria-Generaldirektor Hanns Sassmann bei der Eröffnung sagte, betrachtet wird. Die „Manifestationen gegen die Sprach-Unkultur" stehen griffbereit, nach Sachgebieten geordnet: Reiseführer, Literatur, Bücher verschiedener Wissenschaftsbereiche, Kochbücherund viele andere. Der erste Überblick wird leicht gemacht.

In Vitrinen warten geologische Kostbarkeiten auf Käufer. Wer noch den trostlosen Schulunterricht mitgemacht hat, weiß, wie sehr die theoretischen Grundlagen und die un-

sinnliche Vermittlung des Lehrstoffes aus der Mineralogie ein angstbesetztes Lehrfach machen konnten. Die geschickte Präsentation in der Buchhandlung vermittelt die natürliche Schönheit der Mineralien. Gerne würde man sich darauf einlassen, auch theoretisches Wissen zu erwerben, um selbst in der Natur fündig werden zu können.

Seit dreißig Jahren gibt es in Wien Styria-Buchhandlungen. Zunächst auf der Dominikanerbastei gelegen, dann auf den Opernring übersiedelt, mußte ein neuer Standort gesucht werden, nachdem ein Weiterverbleib im Haus am Ring unmöglich wurde. So sehr ins Zentrum gerückt war eine Styria-Buch-

handlung noch nie. Der Standort garantiert eine Käuferschicht mit besonderen Ansprüchen, die nicht •nur in der Wollzeile alteingessene-ne Buchhandlungen und Antiquariate gewohnt ist.

Lokalhistorisch interessant ist das Gebäude, in dem die neue Buchhandlung untergebracht ist. Das sogenannte „Erzbischöfliche Palais" ist die Residenz der Wiener Bischöfe und Erzbischöfe, und wurde unter Bischof Anton Wolfrath und seinem Nachfolger Philipp Graf Breuner von 1632 bis 1641 erbaut. Der zur Wollzeile gelegene ältere Teil war ursprünglich der alte Pfarrhof (1267 erbaut), der nach der Erhebung Wiens zum Bistum

1475 den Namen Bischofshof erhielt. Bis zum Jahr 1640 befand sich an der Ecke zur Wollzeile ein Wehrturm, der dem Neubau des Bischofshofes weichen mußte. Seit der Ernennung Siegmund Graf Kollonitsch zum Fürsterzbischof (1723) trägt der Bischofshof den Namen „Erzbischöfliches Palais". Die Stuckdekoration der Fassade stammt aus dem Jahr 1716; 1869 wurde die ebenerdige Fassade modernisiert und Läden eingebaut. Die im „Palais" befindliche Andreaskapelle wurde 1638 vollendet, ihre Vorgängerin ist bereits 1271 nachweisbar.

Der Bedeutung des Hauses angemessen waren auch die Gäste der Eröffnung: Autorinnen wie Ilse Tieisch und Jean-nie Ebner, Vertreter des Buchhandels, unter ihnen Buchhändler-Generalsekretär Wolf gang Ramjoue und Styria-Buchhändler Hans Steinbock, Repräsentanten der Kirche und Vertreter der Medien. Nach der Eröffnung und der Segnung der Räume durch Generalvikar Rudolf Trpin las Adolf Lu-kan vom Volkstheater aus dem Aphorismenband „Viele Herren von heute waren gestern noch Genossen" des Styria-Au-tors Zarko Petan. Die scharf geschliffenen Sätze gegen den Ungeist menschlicher Dummheit konnten als Aufruf für das Buch verstanden werden. Und Buchhandlungen als Orte, an denen Rede und Gegenrede gefragt ist, wo in der Alltagshektik Zeit bleibt, Ausschau zu halten nach jenem bestimmten Buch, das man gerade braucht.

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