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Bücher wie Maulwürfe

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Der Besucher der Bundesmuseen merkt es allmählich: Die aus privater Sammelleidenschaft der Habsburger entstandenen und zu einem bevorzugten Treffpunkt nationaler und internationaler Touristen erkorenen Institutionen sind nicht mehr budge-täre Stiefkinder der Republik. Dank einer Finanzspritze von bislang fünf Milliarden Schilling zeigen sich Schritt für Schritt nicht nur die Fassaden mit neuem Putz. Auch die Inneneinrichtungen entsprechen schon da und dort modernen (Sicherheits-) Ansprüchen. Ja selbst die vor hundert Jahren registrierte und zunehmend ärger gewordene Raumnot wird spürbar gemildert: indem man ähnlich wie bei der Lösung von Verkehrsproblemen immer öfter maulwurfartig in die Tiefe ausweicht.

Das Naturhistorische Museum und das Museum für angewandte Kunst haben bereits Tiefspeicher erhalten. Für die Österreichische Galerie im Oberen Belvedere wird ein Bunker aus dem Zweiten Weltkrieg adaptiert. Vom Parlament genehmigt ist der Bau unterirdischer Speicher für das Museum des 20. Jahrhunderts und für die Graphische Sammlung Albertina. Das Kunsthistorische Museum bekommt zusätzliche Schauräume unter dem Maria Theresienplatz (FURCHE 267 1992).

Seitens der Österreichischen Nationalbibliothek hat man erstmals 1950 und dann 1957 abermals erwogen, einen unterirdischen Bücherspeicher zu errichten. Nachdem alle ministeriell bewilligten billigen Versuche zur Linderung der Raumnot nicht zielführend waren, konnte Generaldirektorin Magda Strebl dann 1984 tatsächlich den Planungsauftrag für einen Tiefspeicher an das Architektenbüro Melchiar, Schwalm-Theiss & Gressenbauer vergeben.

Magazine überall

Allerdings platzte währenddessen nicht nur das im 18. Jahrhundert von Vater und Sohn Fischer von Erlach errichtete Gebäude am Josefsplatz aus allen Nähten. Gleiches geschah auch im von der Nationalbibliothek als Benutzer- und Speicherbereich okkupierten Teil der Neuen Hofburg, wo man sogar Keller- und Bodenräume zu Magazinen umfunktioniert hatte. Vermehrte sich doch die Nationalbibliothek entsprechend ihrem gesetzlich verankerten Auftrag des Sammeins und Archivierens des gesamten in Österreich erscheinenden Schrifttums jährlich um rund 100.000 Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Broschüren, Flugschriften, Plakate, Landkarten, Notendrucke, Fotos, Handschriften, Mikrofilme und Mikrofi-ches, Tonbänder, Ton- und Videokassetten. Und auch das Leserpublikum vermehrte sich - seit 1980 um das Sechsfache - sodaß es im Lesesaal immer wieder zu stundenlangen Wartezeiten auf einen Sitzplatz kam.

Nach Standortuntersuchungen und Probebohrungen unter dem Burggarten, von dem man wußte, daß er über den Resten der im Verlauf der Napoleonischen Kriege von 1809 zerstörten Stadtbefestigung errichtet worden war, wurden im März 1988 die Bauarbeiten am 200 Meter langen und zwölf bis 36 Meter breiten, viergeschossigen Speicher aufgenommen. Im September 1989 wurden sie abgeschlossen, und man begann mit der Übersiedlung sämtlicher 1,5 Millionen Druckschriften bis hin zu den Mikro-formen und A V-Medien der Zeitungsbibliothek in die erste unterirdische Ebene. Nach dem Vollausbau, der dem Zuwachs der nächsten 30 Jahre entspricht, wird die Speicherkapazität über vier Millionen Bände betragen. Der Zugang zum Tiefspeicher erfolgt vom Heldenplatz. Die Ober-flächengestaltung im Burggartenareal erfolgte in Absprache mit Denkmalpflegern und Bundesgärtnern.

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