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Bücherberge und Verlagsgeschäfte in Frankfurt

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Im Herbst, wenn die Frankfurter Buchmesse stattfindet, wird den deutschsprechenden Medienkonsumenten ein mächtiger Informationsstoß über Bücher und deren Autoren, über literarische Moden und Sachbuchtrehds ins Hirn gejagt. Einst war die Buchmesse vor allem Treffpunkt derer, die die Bücher machen. Aber ihre Ausstrahlung auf die, die sie lesen, nahm immer mehr zu. Und damit ihr werblicher Zusatznutzen. Heute ist die Buchmesse die größte und wirkungsvollste Werbeveranstaltung für das deutschsprachige Buch.

Die Zahlen der ausgestellten Buchtitel und der Besucher wuchsen Jahr für Jahr um die Wette. Heuer, so schien es, war der Plafond erreicht. Die Zahl der ausgestellten Bücher nahm nur noch um ein Prozent zu (es waren 282.000), die der Neuerscheinungen um 1,2 Prozent auf 85.000. Etwa die Hälfte in deutscher Sprache.

177.000 Besucher kamen im Vorjahr. Gut vier auf jede deutschsprachige Neuerscheinung. Schon das bedeutet einen gewaltigen Werbeeffekt, denn unter den Menschenmassen, die täglich ab Mittag, wenn der Eintritt freigegeben wird (vorher hat nur das Fachpublikum Zutritt), vor allem die „schöngeistige“ Halle stürmen, bis die Luft kaum mehr atembar und das Gedränge fast lebensgefährlich wird, dürften nur wenige sein, die Buchhandlungen nur von außen kennen.

Ganz zu schweigen vom Multiplikationseffekt .von Fernsehen und Hörfunk, die in der Messewoche dafür sorgen, daß selbst Leute, die kein neues Buch brauchen, weil sie schon eines haben, den einen oder anderen Titel oder Autorennamen aufschnappen (denn auch sie werden vielleicht zu Weihnachten das eine oder andere Buch verschenken). Für die differenzierte Information eines anspruchsvolleren Publikums sorgt jede deutsche Zeitung, die auf sich hält, mit einer dicken, mit Rezensionen (und Buchanzeigen) gespickten Messebeilage.

So traf es sich ganz gut, daß die Frankfurter Buchmesse heuer so spät im Jahr stattfand wie schon lange nicht mehr, nämlich erst zwei Monate vor Weihnachten: Da verblaßt die Erinnerung an das über Bücher Gehörte und Gelesene wenig-

stens nicht bis zum großen vorweihnachtlichen Büchereinkauf.

Alle, die Jahr für Jahr dem deutschen Buchmarkt sorgenvoll den Puls fühlen, stellten erleichtert fest: Er schlägt ruhig und fest. Keine Ungesunde Titelschwemme, aber auch kein Verlust der Vielfalt. Dem Vernehmen nach soll unter den Autoren der heuen Romane ein besonders hoher Prozentsatz von Debütanten festgestellt worden sein.

Natürlich gab es, wie immer, ein großes Ratespiel. Diesmal galt es der Frage: Welchem Verlag wird es gelingen, den heiß umworbenen Edgar Hilsenrath an sich zu binden? Hilsen-rath errang mit seinem gespenstischen Roman „Der Nazi & der Friseur“ einen späten, explosiven, sehr verdienten Erfolg, verließ aber seinen Verleger Helmut Braun, weil der, so Hilsenrath, die fälligen Tantiemen nicht bezahlen konnte oder wollte. Herbert Fleißner gewann ihn für seine Verlagsgruppe Langen-Müller.

Wie immer gab es einen Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels - Astrid Lindgren bekam ihn für ihre Kinderbücher, mit denen sie „behutsam, aber nachdrücklich zu Toleranz, Fairneß, Verständnis und Verantwortung erzieht“. Ansonsten war vom Messemotto „Kind und Buch“ wenig zu merken.

Wie immer gab es Messeskandäl-chen - etwa, als der Wiener Ossi Wiener, eingedenk seiner Verpflichtung als selbsternannter bedeutendster lebender österreichischer Autor, in einem für eine Veranstaltung des Hanser-Verlages zur Verfügung gestellten Museum in nicht völlig zurechnungsfähigem Zustand das Skelett eines Sauriers zu ruinieren begann.

Natürlich gab es, wie immer, auch den echten Messeskandal: Ein Branchen-Fachblatt warf dem DTV-Chef Friedrich (Deutscher Taschenbuch-Verlag) vor, seine Stellung als Verbandsfunktionär eigennützig mißbraucht zu haben, als er vehement dagegen wetterte, daß nun, außer den üblichen Bestsellerlisten, auch noch Taschenbuch-Bestsellerlisten veröffentlicht werden. Sicher haben alle Bestsellerlisten auch den Effekt einer „self-fullfilling prophe-cy“, die zumindest hilft, das prophezeite Ereignis herbeizuführen, und sind daher kaum ein die Vielfalt der Bücherwelt fördernder Faktor.

Und natürlich wurden auch heuer

viele Verleger gefragt, welches Buch denn ihrer Meinung das wichtigste dieses Herbstes sei, und natürlich wußte jeder sofort eines oder zwei oder auch drei zu nennen - natürlich nur welche aus dem eigenen Verlag. Denn Jahr für Jahr zieht alles, was mit Büchern zu tun hat, nach Frankfurt, um alles, was sich dort tut, in drei Kategorien zu ordnen: In das wirklich Wichtige, das den jeweiligen Beobachter selbst betrifft, in das Interessante, das seine Urteile und Vorurteile, Erwartungs- und Abwehrhaltungen bestätigt (oder ihnen widerspricht und dann flugs verdrängt oder verteufelt wird) und in den gewaltigen Ozean des weder in die eine noch in die andere Kategorie fallenden und daher unwichtigen, schlimmer, des nicht existenten Rests.

Dabei ist die Buchmesse Jahr für Jahr einer riesigen, heuer 70.000 Quadratmeter großen Wiese vergleichbar, die voll der potentiellen Entdeckungen und auf der der Zufall nicht der schlechteste Wegweiser ist. Um zu erfahren, daß Siegfried Lenz heuer wieder einen großartigen Roman - „Heimatmuseum“ - geschrieben hat, mußte niemand nach Frankfurt reisen. Daß ein winziges Büchlein mit dem Titel „handmade hou-ses“ (in einem Verlag mit dem lustigen Titel „Comic Companie“), mit Photos teils großartiger, teils skurriler oder verrückter Holzhäuser, die von ihren amerikanischen Bewohnern eigenhändig errichtet wurden, 10.000 Käufer fand, trotz 4000 Vorbestellungen nicht nachgedruckt werden kann, weil die Original-Dias in den Strudel eines amerikanischen Verlagszusammenbruches gerieten und heute eine hochbezahlte Antiquariatsrarität darstellt, sagt einiges über das Unbehagen in und an unserer betonierten, verglasten und zentralgeheizten Welt.

Auf der großen Bücherwiese wachsen aber auch Giftpilze. Vor einer Pressekonferenz über das Unwesen der westdeutschen Neonazi-Verlage ergriff ich aus Zeitmangel die Flucht. Kaum eine Minute später stolperte ich über den Stand eines dieser Verlage - und über ein bereits in zweiter Auflage erschienenes Buch, in dem der Anschluß Österreichs an Hitlerdeutschland nicht entschuldigt, sondern gelobt und gepriesen wird.

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