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Bündnis an der Peripherie

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Seit dem 12. Mai 1974, als sie — zu ihrer eigenen Überraschung — im Referendum den Kampf um die Beibehaltung der Ehescheidung mit 60 Prozent der Stimmbürger im Rücken gewannen, wittern die kirchlich nicht-gebundenen Parteien Italiens Morgenluft. Prominente Vertreter dieser sogenannten Laienparteien sind überzeugt, daß der Hegemonie der Democrazia Cristiana im italienischen Staat die Stunde geschlagen habe und daß mit einer Art von Laienblock die christdemokratische Vorherrschaft bald gebrochen werden könne.

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Seit dem 12. Mai 1974, als sie — zu ihrer eigenen Überraschung — im Referendum den Kampf um die Beibehaltung der Ehescheidung mit 60 Prozent der Stimmbürger im Rücken gewannen, wittern die kirchlich nicht-gebundenen Parteien Italiens Morgenluft. Prominente Vertreter dieser sogenannten Laienparteien sind überzeugt, daß der Hegemonie der Democrazia Cristiana im italienischen Staat die Stunde geschlagen habe und daß mit einer Art von Laienblock die christdemokratische Vorherrschaft bald gebrochen werden könne.

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Italiens bestredigierte Zeitung, Montanellis „Giomale“, plädiert fast täglich für den Laieniblock. Allerdings schwebt Montanelli zunächst ein Mini-Bündnis zwischen Liberalen, Sozialdemokraten und Republikanern vor. Der Liberalenführer Malagodi ist zumindest für ein „Collegamento“, eine Anknüpfung zu haben. Der ehemalige Staatspräsident Saragat möchte die Vereinbarung der Laienparteien auch auf die Linkssozialisten ausdehnen. Ob sich Malagodi allerdings bereitfindet, sich mit de Martino an den grünen Tisch zu setzen, ist fraglich. Liberale und Sozialisten sind einander in Italien seit Jahrzehnten spinnefeind. Anfangs der zwanziger Jahre waren es die Sozialisten, die der 60jährigen liberalen Epoche den Todesstoß versetzten. Aus dem damaligen Kampf der beiden großen Parteien — der Liberalen und der Sozialisten — gingen 1922 die Faschisten als lachende Dritte hervor. Benito Mussolini war bekanntlich bis zur Gründung des Fascio im Jahr 1919 Sozialist und einige Monate lang sogar Chefredakteur des heute noch bestehenden Parteiblattes „Avanti“.

Abneigung und Haß gegenüber der christdemokratischen Hegemonie (und Mißwirtschaft) müssen also noch erheblich wachsen, ehe sich Lmikssozialisten, . Sozialdemokraten,

Republikaner und Liberale zu einer Aktionsgemeinschaft gegen die Democrazia Cristiana zusammenschließen. Fanfani tut als Generalsekretär der DC allerdings viel, um die Tuchfühlung unter den Laienparteien zu beschleunigen.

Mit ihrem bald schon sprichwörtlichen Sinn für die Wahrung der Macht im Staate sehen die italienischen Christdemokraten dem verräterischen Gebaren der mit ihnen seit 10 bis 25 Jahren verbündeten Parteien nicht tatenlos zu. Einige linksstehende Vertreter der Democrazia Cristiana arbeiten offen auf einen Schulterschluß mit der KPI hin. Was dm Regierungsgebäude, dem Palazzo Chigi, noch immer tabu ist — was würden die Amerikaner zu einer solchen „Portugalisierung“ Italiens sagen? — braucht es an der Peripherie, bei Bestellung der Kommunal-, Provinz- und Regionalverwaltungen, gleichsam hinter dem Rücken der öffentlichen Weltmeinung, noch lange nicht zu sein. So haben sich denn in Avellino, Agri- gent, Civitavecchia und 24 anderen Städten mit über 5000 Einwohnern Christdemokraten und Kommunisten miteinander verbündet Dies zum mehr oder weniger gut gespielten Entsetzen der betreffenden Parteizentralen in Rom. Die einzigen, denen diese sogenannten „Mini- Kompromisse“ zwischen Democrazia Cristiana und KPI uneingeschränkt in den Kram passen, sind die Kommunisten, die seit Jahr und Tag von einem Bündnis mit der DC träumen und mit Ausdrücken wie „Dialog“ und — neuerdings — „historischer Kompromiß“ dafür vor aller Welt geworben haben.

Auf seiten der rechtsstehenden Christdemokraten stößt der von KPI- Chef Berlinguer propagierte „historische Kompromiß“ nicht auf Gegenliebe. Sie möchten ihn im wörtlichen Sinn verstanden wissen, eben als einen historischen Kompromiß der sechziger Jahre, in denen die Kommunisten mit Hilfe der Linkssozialisten wenigstens zweitrangige

Posten in der italienischen Verwaltung besetzten und kaum ein Gesetz ahne ihre Zustimmung verabschiedet werden konnte. Zweifellos hat diese „stille Machtergreifung“ der KPI den Neofaschisteri iui .Beginn dim,

siebziger Jahre erheblichen Auftrieb gegeben. In den Augen des Bürgertums und vieler Unternehmer waren jahrelang die Jünger Mussolinis die einzigen zuverlässigen Garanten vor dem Abgleiten in eine totale Linksöffnung. Erst der Nachweis, daß die Neofaschisten die demokratische Ordnung noch mehr gefährdeten als die Kommunisten und daß den „Kameraden“ in Sachen Gewalt und Umsturz noch weniger zu trauen sei als den „Genossen und Kameraden“, ließ die Wähler wieder vermehrt ihre Stimmen der DC, den sozialdemokratischen, liberalen und republikanischen Parteien zuwenden.

Unter solchen Vorzeichen läßt sich die DC in ihrer Gesamtheit kaum herbei, den Kompromiß mit der KPI in Rom zu verwirklichen. Ihre Vertreter wissen, daß sie bei einem solchen Schulterschluß mit der zweitgrößten Partei, die acht Millionen hinter sich weiß und nach wie vor in einem ausgezeichneten Zellensystem organisiert ist, leicht den kürzeren ziehen und sich derart bald um die Macht im Staat gebracht sehen könnte. Wie die DC, hat auch die KPI eine Art von Kirche mit Heilsanspnxh im Rücken; den

Kreml nämlich und seine kommunistische Botschaft vom Paradies auf Erden nach der Erlösung vom kapitalistischen Joch. Eine Allianz zwischen KPI und DC wäre schon deshalb verhängnisvoll für die italienische Demokratie, weil diese beiden Parteien fast drei Viertel der Stimmbürger hinter sich haben und intern derart hierarchisch ausgerichtet und geordnet sind, daß sie das freie Spiel der Kräfte, das bisher nicht zuletzt von der kommunistischen Opposition lebte, gemeinsam im Handumdrehen stören und unter ihre wenig zimperliche Fuchtel nehmen könnten.

Mag die Stunde für den historischen Kompromiß in Rom auch noch lange nicht schlagen, so dienen die Mini-Kompromisse an der Peripherie den Christdemokraten als Drohung an die Adresse der Laienparteien, damit diese ihr Spiel mit dem Feuer einer Entmachtung der Democrazia Cristiana in Grenzen halten. Unter beidseitigem Verzicht auf eine grundlegende Kursänderung besteht für kirchlich gebundene und nicht-gebundene Parteien die größte Chance für die Beibehaltung des status quo, der lamentabel genug, aber immer noch nicht das größte aller Übel ist.

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