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„Bürgen sollst du würgen" und

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Mitgegangen, mitgefangen - wer als Bürge bei Krediten mithaftet, muß bezahlen.

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Mitgegangen, mitgefangen - wer als Bürge bei Krediten mithaftet, muß bezahlen.

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Der Konsum auf Kredit ist in den modernen Industrieländern längst zu einem Massengeschäft geworden. Wohnungen und Wohnungseinrichtungen, Autos, Unterhaltungselektronik, Schmuck und teure Urlaubsreisen werden zunehmend mit Fremdmitteln finanziert. Dies ist bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung zweifellos kein Zeichen von Armut, sondern von Wohlstand. Die leichte Verfügbarkeit von Kreditmitteln auch für

Private ermöglicht es, das Lebenseinkommen so zu verteilen, daß es zu jenem (früheren) Zeitpunkt verfügbar ist, in dem es der Betroffene ausgeben will.

Diese Entwicklung hat bekanntlich auch ihre Schattenseiten. Nicht alle Verbraucher vermögen den Verlockungen zu widerstehen, die mit der leichten Verfügbarkeit von Konsumentenkrediten verbunden sind, und gehen finanzielle Verpflichtungen ein, denen sie - wenn überhaupt - nur bei optimaler Entwicklung der beruflichen und privaten Lebensumstände gewachsen sind. Das böse Erwachen kommt regelmäßig dann, wenn sich die Einkommens- und/oder Bedürfnisstruktur - zum Beispiel als Folge von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Krankheit, Ehescheidung oder „ungeplantem" Nachwuchs - verschlechtert. Hat der Schuldner für solche Fälle nicht genügend finanziellen Spielraum eingeplant, so gerät er nur allzu leicht ins Schleudern. Sofern nicht im Verhandlungsweg eine Lösung erzielt werden kann, droht nunmehr die vorzeitige Fälligstellung des Kredits, die Verrechnung von Spesen und regelmäßig sehr hohen Verzugszinsen sowie in weiterer Folge die Kosten der außergerichtlichen und gerichtlichen Schuldbetreibung.

Durch diese Folgekosten kann der Schuldenberg so anwachsen, daß der Kreditnehmer nicht mehr in der Lage ist, sich aus eigener Kraft

aus der Verschuldung zu lösen.

Eine besondere Facette dieser Problematik, die sich speziell im Zusammenhang mit der Zahlungsunfähigkeit einzelner Kreditnehmer besonders fatal auswirken kann, ist der moderne Trend der Kreditgeber zu den Personalsicherheiten.

Für die überwiegende Zahl der Privatkredite haftet nicht nur der Kreditnehmer selbst, sondern auch sein Ehegatte, sein Lebensgefährte oder seine volljährigen Kinder als Bürgen oder Mitschuldner. Da eine solche Mithaftung naher Angehöriger von den Kreditgebern häufig rein routinemäßig und ohne ernsthafte Bonitätsprüfung verlangt wird, kann es durchaus vorkommen, daß diese Personen bereits beim Abschluß des Vertrages vermögenslos sind und kein oder nur ein geringes Einkommen beziehen. Hier ist von vornherein klar, daß sie ihre Verpflichtungen aus der Bürgschaft oder Mitschuld „im Ernstfall" nicht erfüllen können. Derartige Fälle haben in den letzten Jahren vor allem in Deutschland wiederholt die Gerichte beschäftigt und nicht nur in der juristischen Fachwelt Aufsehen erregt. Einige Beispiele:

• Ein Architekt nimmt bei einer Bank einen Kredit auf, um ein Haus zu kaufen und umzubauen. Zur Besicherung dieses Kredites verlangt die Bank, daß die beiden Söhne des Kreditnehmers, ein 20jähriger Abiturient und ein 21 Jahre alter Student, jeweils eine Höchstbetragsbürgschaft über 350.000 DM ubernehmen. Als der Kreditnehmer die Darlehensraten nicht zahlen kann, kündigt die Bank das Darlehen und nimmt die beiden Bürgen in Anspruch. Beide waren bereits zum Zeitpunkt der Unterschriftsleistung vermögenslos und ohne Einkommen, sodaß von vornherein offenkundig war, daß sie zur Rückzahlung der übernommenen Verbindlichkeiten nicht fähig sein würden.

• Eine Bank verständigt zwei geschäftsunerfahrene ältere Frauen, daß ihr Sohn beziehungsweise

Schwiegersohn Unterschlagungen bei der Bank in Millionenhöhe begangen habe. Auf die Frage, ob der „Übeltäter jetzt ins Gefängnis komme", erhalten die Frauen die Antwort, der geschädigten Bank komme es nicht auf eine Strafverfolgung an, sondern auf die Wiedergutmachung. Um diese sicherzustellen, wird von den beiden Frauen die sofortige Unterzeichnung einer Bürgschaftserklärung über 600.000 beziehungsweise 700.000 DM verlangt. Die beiden Bürginnen sind weder vermögend noch in der Lage, diese Verpflichtung aus ihrem laufenden Einkommen abzudecken. Um die „Fami99

Jeder kann sich grundsätzlich so hoch verschulden wie er will...

lienehre" zu retten, lassen sie sich auf diesen Vorschlag ein. • Eine 21 Jahre alte, geschäftlich unerfahrene und mittellose Tochter verbürgt sich für die Kreditschuld ihres Vaters in Höhe von 100.000 DM, nachdem der Filialleiter der Bank ihr erklärt hat, es handle sich um eine reine „Formsache", er benötige ihre Unterschrift nur für seine Akten.

Allen diesen Fällen gemeinsam ist, daß sie sich tatsächlich ereignet haben und daß der deutsche Bundesgerichtshof die Haftung dieser Personen (und damit deren wirtschaftliche „Totalzerstörung") bejaht hat. Nach herkömmlicher Auffassung der Karlsruher Richter ist nämlich ein Kreditvertrag nicht schon deswegen sittenwidrig, weil der vermögenslose Schuldner oder Bürge die übernommenen Zahlungsverpflichtungen voraussichtlich nie oder nur unter besonders günstigen Bedingungen zu erfüllen in der Lage ist. Jeder kann sich grundsätzlich so hoch verschulden wie er will. In einem dieser Fälle war allerdings aus Karlsruhe bereits ein mahnender Fingerzeig gekommen: Es wurde nämlich ausgesprochen, daß die finanzielle Uberforderung des Darlehensnehmers (oder Bürgen) jedenfalls dann zur Unwirksamkeit seiner Verpflichtung führen kann, wenn dies in Verbindung mit anderen besonderen Umständen des Einzelfalls „aufgrund einer Gesamtwürdigung" gerechtfertigt ist. In den oben geschilderten Fällen wurden derartige Gesamtumstände allerdings nicht erblickt.

Das Faß zum Überlaufen brachte erst ein Kreditfall, der am 22. Jänner 1991 entschieden wurde. Ein in Deutschland ansässiger Grieche, der zunächst als Pelznäher arbeitete, machte sich 1981 selbständig und betrieb fortan ein Pelzhandelsgeschäft. Als er für eine Geschäftserweiterimg einen Kredit benötigte, vereinbarte er mit einem Vertreter seiner Bank eine Besprechung in seiner ehelichen Wohnung. Dort unterschrieben beide Ehegatten einen Antrag auf einen Betriebsmittelkredit von 50.000 DM. Zur Abwicklung dieses Kredits wurde das bestehende Einzelkonto des Mannes in ein gemeinschaftliches Geschäfts-Kontokorrentkonto mit

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