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Bürgerinitiative oder Barrikadenkampf?

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Kreisky macht es möglich. Am 5. November sollen bekanntüch Herr und Frau Österreicher selbst die Frage entscheiden: Wie hältst du es mit Zwentendorf? Die plebiszitäre Demokratie feiert damit auch in unseren Landen Premiere auf Bundesebene. Eine Entwicklung strebt einem Höhepunkt zu, die sich auf allen Ebenen des politischen Geschehens und in vielen Staaten bemerkbar macht: die Mündigwerdung des Bürgers.

Bürgerinitiativen sind Ausdruck des Ringens um eigenständige Meinung. Man will nicht länger durch Parteien, Verbände, Bürokratie, Machthabende jeglicher Couleur manipuliert werden. Denke ich allerdings an manche Protestdemonstrationen gerade von Atomkraftwerksgegnern in der Bundesrepublik Deutschland, wird mir ein wenig bange ob des neuen Demokratieverständnisses, das sich in diesen Gruppen manifestiert. Der Pflasterstein -im günstigsten Fall - wird buchstäblich zum schlagenden Argument.

Bürgerinitiative führt bisweilen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen. Es geht uns wie Goethes Zauberlehrling. Am Anfang war der Zauberlehrling hoch zufrieden, als er sich mit Hilfe von Zaubersprüchen einen Besen verschafft hat, der eifrig Wasser schleppte. Als Überschwemmung drohte, war da niemand mehr, der den Besen stoppen konnte. Ähnlich scheint es den Bürgerinitiativen zu gehen. Am Anfang wurden sie als demokratisches Wundermittel gepriesen. Dann merkte man, daß man die schweigende Mehrheit auch auf diese Art täuschen konnte. Ein paar hundert Menschen übten plötzlich Druck aus, erzwangen Entscheidun-

„Bürgerinitiative führt bisweilen zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen.“

gen, die nur einer kleinen Gruppe nützten. Idealisten wurden von Radikalen als Statisten mißbraucht. Atomkraftgegner wurden zu Rammböcken gegen die demokratische Ordnung.

Wir sind in Österreich erfreulicherweise noch nicht so weit. Daher sollte in einem politischen Klima, das noch Diskussion im Sinne geistiger Auseinandersetzung zuläßt, einmal die grundsätzliche Frage nach den Grenzen der Möglichkeiten des Bürgerprotestes in der freiheitlichen Demokratie gestellt werden. Was steckt hinter der vielzitierten Parteiverdrossenheit, die allzu leicht zu

Staats- und Demokratieverdrossenheit werden kann? Nutzen nur ein paar Hitzköpfe, Gschaftlhuber und Ehrgeizlinge die Gunst der Stunde -oder geht es nicht doch um mehr?

Bürgerinitiativen sind in der Bundesrepublik Deutschland mit geschätzten zwei Millionen Mitgliedern bereits stärker als sämtliche Parteien zusammengenommen. Grüne Listen erreichten in einzelnen deutschen Bundesländern viel beachtete Wahlerfolge. In Österreich trat erstmals bei den letzten Salzburger Gemeinderatswahlen eine Bürgerinitiative als wahlwerbende Gruppe auf und

Beim Bau von Kindergärten und Spielplätzen entsteht mancher Ärger mit der Verwaltung oder mit Politikern, aber im allgemeinen ist ein vernünftiges Gespräch möglich. Es gibt also eine große Gruppe von Bürgerinitiativen, die auch besorgten Anhängern der repräsentativen Demokratie keine Sorge bereiten. Es sind die Organisationen der sozialen Selbsthilfe, die mindestens ein Drittel der Bürgerinitiativen ausmachen. Selbstbewußte Bürger werden aktiv, und zwar dort, wo die staatliche Großorganisation versagt oder wo sie Fehlentwicklungen produziert.

Erst vorige Woche hat Rupert Gmoser, der Leiter der Otto-Möbes-Volkswirtschaftsschule in Graz, wieder von sich reden gemacht, als er die Hexenjagd einiger seiner Parteifreunde auf die „Bacher-Umfaller“ im ORF-Kuratorium öffentlich kritisierte und den neuen FPÖ-Obmann Götz rügte. In diesem Beitrag nimmt er die Bürgerinitiativen kritisch unter die Lupe. Auch wer sein Ja zur Volksabstimmung über Zwentendorf nicht teilt, wird seiner sonstigen Argumentation aufmerksam folgen.

schaffte auf Anhieb zwei Mandate. Politisches Credo all dieser Gruppierungen ist leider allzu oft „Wir sind dafür, daß wir dagegen sind! Wenn i' was z'reden hätt', i' schaffert alles aW“

Warum sind überhaupt solche Aktionen entstanden? Ein Hauptmotiv ist alles, was mit dem Umweltschutz zusammenhängt. Die Auseinandersetzung um Atomkraftwerke wurde zum zweiten Kristallisationspunkt. Aber neben solchen Volksbewegungen, die sich nicht auf eine Stadt oder eine Region beschränken, sondern bundesweit wirken, gibt es unzählige lokale Bürgerinitiativen. Die Stadtplanung, das Ringen um Kinderspielplätze, Altenhilfe, Resozialisierung von Strafgefangenen, Ausländerbetreuung sind einige Beispiele für praktische Anwendungsfälle für Bürgerinitiativen.

Manche Aktionen sind kurzlebige Spontanbewegungen, andere Bürgerinitiativen werden zu Traditons-vereinen. Da treffen sich romantische Naturliebhaber und radikale Gesell-schaftsveränderer, da gibt es bereits kluge Leute, die sich ihren Protest teuer abkaufen lassen, und eine überwältigende Mehrheit von Idealisten. Da erscheinen Gschaftelhuber und Ehrgeizlinge, die sonst zu kurz gekommen sind, und unzählige Menschen, die an Einsatzbereitschaft und politischem Verantwortungsgefühl kaum zu übertreffen sind: Bürger, die eine Demokratie am Leben erhalten.

Sehr oft trifft man gerade in diesen Aktionsgruppen intelligente und durchsetzungsfähige Frauen, oft mit einer anspruchsvollen Berufsausbildung. Natürlich gehen auch solche Gruppen den jeweils Machthabenden von Zeit zu Zeit auf die Nerven -durch Hartnäckigkeit oder auch durch Gruppenegoismus und Unbelehrbarkeit. Aber insgesamt kann die gute Seite dieser Form von Bürgerinitiative nicht geleugnet werden. Eine Verwaltung, die alles verwalten soll, gerät nur allzu schnell an ihre finanziellen und organisatorischen Grenzen. Sie erstickt nur zu leicht die Mitmenschlichkeit. Wo Bürgerinitiativen Aufgaben, die vom Staat weder gelöst werden können noch sollen, aufgreifen, kann man ihnen nur dankbar sein.

Aber dann gibt es die ganz anderen, die Enttäuschten, die Verbitterten, die zum Kampf gegen das bestehende System des Unrechts antreten. Sie verstehen sich selbst als Protest gegen die derzeitigen politischen Parteien, die sie als Intrigantenhaufen betrachten, von Cliquenwirtschaft durchsetzt. „Aktuelle Beispiele, wie Gebietsreformen, Rentendebakel, Streckenstillegungspläne der Bundesbahn, Kostenexplosion im Gesundheitswesen, Konzeptlosigkeit in der Energiepolitik und vieles andere mehr verdeutlichen, wie verbürokratisiert unser öffentliches Leben, wie selbstherrlich unser Staat und seine Instanzen geworden sind“, schreibt

der stellvertretende Vorsitzende des Dachverbandes der Bürgerinitiativen in Westdeutschland.

Bei nicht wenigen Repräsentanten der Bürgerinitiativen ist ein sehr starkes Elitegefühl vorhanden. Aus der Gewißheit, im Alleinbesitz der Wahrheit zu sein, entspringt missionarischer Eifer. Daher lehnt man selbstverständlich das ab, was Wesenselement jeder demokratischen Politik sein muß, die Bereitschaft zum Kompromiß. Anstatt demokratischen Konsens zu suchen, Lösungen, die für alle von einer Entscheidung Betroffenen tragbar sind, tritt der Hang zur gewaltsamen Durchsetzung der eigenen Zielvorstellungen.

Die Frage der Einstellung zur Gewalt als taktisches Mittel ist heute vielleicht das wichtigste Kriterium innerhalb der verschiedenen Bürgerinitiativen in Westeuropa, will, man eine Antwort auf ihr Verhältnis zur Demokratie finden.

Die Gesellschaftsideologie, die bewußt oder unbewußt hinter vielen Bürgerinitiativen steht - sie allein vertreten die Basisdemokratie, haben das richtige gesellschaftliche Leitbild -, ist der zweite Punkt, an dem sich die Gretchenfrage stellt: Wie hältst du es mit der freiheitlichen Demokratie? Wo radikaldemokratische und gesellschaftskritische Strömungen in den Bürgerinitiativen zusammentreffen, liegt es nahe, daß militante Gruppen versuchen, diese Tendenzen für sich nutzbar zu machen. So stehen die Bürgerinitiativen dort, wo ihre Entwicklung konsequent weitergeführt wurde - in Österreich sind wir allerdings noch

„Den Machtapparaten jeglicher Farbschattierung sind die Grenzen der Macht bewußt zu machen!“

weit entfernt von diesem Stadium -, im Spannungsfeld von friedlichem Protest und Gewaltaktion.

Sind Bürgerinitiativen die Absage an die bestehenden demokratischen Parteien oder sind sie nur ein Ausdruck des vielzitierten Unbehagens in der Demokratie? Ich glaube, sie können sowohl das eine als auch das andere oder auch beides sein.

Man wird immer wieder ein Faktum berücksichtigen müssen: Es gibt keine Reform allein von oben herab. Reform ohne Basisdemokratie muß scheitern. Auch Österreichs Demokratie wird allzu oft geprägt von der Macht der Organisationen und der Ohnmacht der Organisierten. Ich meine, Basisdemokratie, die Übermacht- und Machtmißbrauch verhindern oder zumindest abbauen soll, muß diese Grundstruktur auf den Kopf stellen: Den Machtapparaten jeglicher Farbschattierung sind die Grenzen der Macht bewußt zu machen!

Für den Staatsbürger muß auf allen Gebieten des Lebens die freie Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit gesichert werden.

Der Formaldemokratie, die sich darauf beschränkt, seine Majestät, den Wähler, alle paar Jahre zu den Urnen zu rufen, auf daß er nach vollzogenem Wahlakt wieder in Schweigen zurückkehrt, soll der initiative Bürger die reale Alltagsdemokratie, Demokratie als Lebenshaltung, entgegensetzen.

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