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Bürgerliches Tauziehen...

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Die Berliner Konferenz der Internationalen Demokratischen Union (IDU) zeigte: Die Union hat viele Marktstrategen, aber wenige Sozialethiker in ihren Reihen.

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Die Berliner Konferenz der Internationalen Demokratischen Union (IDU) zeigte: Die Union hat viele Marktstrategen, aber wenige Sozialethiker in ihren Reihen.

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Alois Mock stand letzte Woche, Freitag, im Raum 301 des alten Berliner Reichstags sichtlich gerührt vor den Fernsehkameras. Mit geröteten Wangen und Stolz in der Stimme schilderte der österreichische Außenminister die Dankesrede, die die britische Premierministerin Margaret Thatcher beim Amtswechsel an der Spitze der IDU an ihn gerichtet hatte. Der weltweite Zusammenschluß vieler konservativer und weniger christdemokratischer Parteien hatte als neuen Präsidenten den ehemaligen Premier Norwegens, Kaare Willoch, gewählt.

„Gründervater“ Mock genoß nach vier Jahren Amtszeit als erster Präsident der IDU die Würdigung seiner Verdienste.

Die „Eiserne Lady“ wußte genau, was sie tat. In der IDU und vor allem der Europäischen Demokratischen Union, der europäischen Region der IDU, bilden Engländer und Österreicher seit der britischen Annäherung an die EG ein ideales Gespann. Frau Thatcher stieß damals auf das Mißtrauen der kontinentalen Christdemokraten; Alois Mock und die ÖVP suchten Partner jenseits der Parteibünde, die sich stark an die EG anlehnten. Man muß anerkennen, daß sie und andere ähnlich Empfindende, die finnischen Konservativen zum Beispiel, ihre operativen Defizite zu einer konstruktiven Zusammenarbeit aufaddieren. Vor allem die Briten trugen erheblich dazu bei, daß über die Europäische und die Internationale Demokratische Union (EDU und IDU) in den Massenmedien gesprochen wurde.

Die Deutschen sind die stärkste Kraft mit einem Rollenverständnis von „Brückenbauern“ zwischen der Europäischen Volkspartei (EVP) und der mehr als den EG-Raum abdeckenden Europäischen Union Christlicher Demokraten (EUCD), der zum Beispiel auch die ÖVP angehört.

Helmut Kohl gab früh der Idee nach, französischen Gaullisten und britischen Konservativen Einfluß zu verschaffen, auch wenn dies viele Christdemokraten des französischen CDS verletzte.

Franz Josef Strauß, dessen CSU eine Partei mit ausdrücklichem Programm-Bekenntnis zum Konservativen ist, drängte noch mehr als Kohl und hatte auch keine Bedenken, Parteien wie die spanische Rechtspartei Alianza Populär einzuladen. Auch das verärgerte Christdemokraten, die mit Franco-Epigonen nichts zu tun haben wollten.

fDie vermittelnden Kräfte in Wien und Bonn haben ihrerseits ganz richtig darauf hingewiesen, daß im Europarat und noch mehr im Europäischen Parlament die sachpolitischen Gemeinsamkeiten zwischen Konservativen und Christdemokraten, vor allem in der Wirtschafts- und Außenpolitik gewachsen sind, die ideologischen Differenzen hingegen abnahmen. Gleichwohl zeigt sich, daß - wie so oft im politischen Leben - Stüfragen auch neue Differenzen bringen:

Auf der „ 3. Parteiführerkonferenz“ in Berlin vom 24. bis 26. September gab es Akzente, die bei hochkarätigen Treffen der EVP-Parteien undenkbar sind: drük-kendes Ubergewicht der englischen Sprache bei Politikern und angereisten Presseleuten, massive PR-Arbeit aller Briten für die Heraushebung Margaret Thatchers, Aussperrung der Presse von Essen und Empfängen und Abspeisung mit dürftigen Pressekonferenzen. Das Resultat in Deutschland, wenn auch beeinflußt durch den Rücktritt des Kieler CDU-Premiers Uwe Barschel, war ein ungewöhnlich dünnes Echo angesichts des Zusammentreffens von acht Regierungschefs und 23 Parteien, darunter immerhin Kohl, Strauß und Chirac.

Die der Konferenz vorliegenden Arbeitsergebnisse diverser Kommissionen der IDU und/oder der EDU waren durchaus beachtlich und verdienten große Aufmerksamkeit:

Der Report über Ost-West-Beziehungen, vorgelegt durch den jungen schwedischen Konservativen-Chef Carl Bildt, brillierte durch eine nüchterne, von keiner Abrüstungseuphorie getrübte Analyse der sowjetischen Politik und suchte die Sicherheitsdiskussion weltweit aufzuhellen.

Der Handlungskatalog ist ausgewogen: Zusammenarbeit mit dem Ostblock und Abrüstung sind nach Bildt so wichtig wie die „Ermutigung der evolutionären Prozesse der Nationen im östlichen Lager“. Verträge zwischen den Lagern werden auch für Krisengebiete verlangt, in denen heute ein ungut „freies“ Spiel der Kräfte herrsche. Aus der Konferenz drang keine Kritik am Honecker-Besuch in Bonn, aber — wiederum von Frau Thatcher betont - deutliche Distanz zu Kräften, die über die Nullösung bei den Mittelstrecken hinaus „atemlos weitere Konzessionen machen wollen“.

Die anderen Konferenzdokumente zeigten zum Teil, daß der Graben zwischen Christdemokraten und Konservativen weiter besteht, daß Konservative andere Akzente setzen oder ganze Politikfelder aussparen. So legte Kaare Willoch ein Papier zur Vollbeschäftigung vor, dessen ökonomischer Teil voll scharfer Logik ist, dessen sozialpolitischer Teil aber nur aus fünf phrasenhaften Sätzen besteht.

Auch durch andere Papiere zieht sich der Eindruck, IDU und EDU hätten zwar gestandene Kaufleute und Marktstrategen in ihren Reihen, aber zu wenige Sozialpolitiker und christliche Ethiker. Ein besonders drastisches Beispiel bilden die geäußerten Ansichten zu Lateinamerika. Thesen zur Schuldentilgung, Terror-Bekämpfung und zum Technologietransfer stehen in höherem Kurs als etwa Thesen zur Natur der Herrschaft der lateinamerikanischen Oligarchien, die der Papst auf jeder Reise in diesen Teil der Erde vorträgt.

Wenige Tage nach der Berliner Tagung hat die stark von Italienern dominierte christdemokratische Internationale die US-Politik in Zentralamerika scharf kritisiert. Es wird nicht dabei bleiben. Eine erfolgreich von regierenden Konservativen beherrschte IDU und EDU, der nur wenige kleine C-Parteien angehören und die deutschen und österreichischen „Scharniere“, die selten benutzt werden, droht mit Politikern wie Thatcher zu polarisieren, wo Harmonisieren gefragt wäre. Die C-Parteien Italiens (Ausnahme Südtiroler und Tren-tiner), Frankreichs, Irlands, Belgiens und der Niederlande, in vier. Fällen regierend oder an der Regierung beteiligt, versagten sich dem Mock'schen Werben.

Schon als der ehrgeizige ÖVP-Mann 1978 mit Freunden wie Helmut Kohl zur EDU-Gründung nach Kleßheim rief, winkten die Arbeitnehmerflügel fast aller C-Parteien ab. Daß sich C-Parteien aus Malta, Portugal und der Schweiz beteiligten, heilt den Mangel nicht, daß außer den Deutschen und den Luxembur-i gern keine C-Parteien aus den EG-Gründerländern mitmachen, weil sie das Uberborden britischen Pragmatismus und die Mißachtung der christlichen Soziallehre in der politischen Praxis fürchten.

Ist also das teilweise Miteinander, dann Gegeneinander und oft Nebeneinander von Konservativen und Christdemokraten eine bleibende Schwäche im „bürgerlichen“ Lager? Kaum, denn viele Gegensätze sind in der EG-Praxis und über die EG hinaus ohne große praktische Bedeutung. Prosozialistische Strömungen sind mit dem Versagen von linken Regierungsmustern auch in eher linken C-Parteien abgeklungen. Es bleiben aber Verständigungsschwierigkeiten, die aus unterschiedlichen Kulturen, Stilen und Engagements resultieren.

Der Autor ist Redakteur beim „Rheinischen Merkur“.

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