6845481-1976_18_03.jpg
Digital In Arbeit

Bürgermeister und ein „Dialekt“

Werbung
Werbung
Werbung

Für gewöhnlich wird, wenn von der Minderheitenfrage in Österreich die Rede ist, nur von den Ansprüchen der slowenischen Volksgruppe in Kärnten gesprochen. Das hat seinen Grund nicht zuletzt in der Grenzlage dieser Volksgruppe, die immer wieder die Befürchtung aufkommen läßt, daß Jugoslawien doch noch an eine Gebietsabtretung denke, die es ja schon so oft erreichen wollte, zuletzt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Deutschkärntner demonstrieren „Urangst“ und diese Urangst geht auf die bitteren Erfahrungen zurück, die sie 1918/20, und dann wieder in den Partisanenkämpfen des Zweiten Weltkrieges, und schließlich auch noch anläßlich der Vorbereitungen zum österreichischen Staatsvertrag gemacht haben. Sie sehen auch in dem von slowenischer Seite gemachten Versuch, heute noch den Bestand eines Slowenisch-Kärnten zu insti-tuieren, obwohl es nur ein gemischtsprachiges Gebiet gibt, das sehr exakt aus der deutschen Volkszählung von 1939, wie auch aus der britischen Schulsprachenverordnung von 1945 heraus zu umschreiben ist (dessen Ausdehnung wieder von der deutsch-kärntnerischen Mehrheit bestritten wird), eine solche Gefahr. Endlich wird von mehr oder weniger allen Österreichern, mit Ausnahme der Kommunisten, Jugoslawien, da ein kommunistisch regierter Staat, in welchem keine echte Religionsfreiheit besteht, von vornherein als Schutzmacht der Kärntner Slowenen kritisch beurteilt, obwohl man sicher sein kann, daß ein Slowenien mit einer rechtsgerichteten Laibacher Regierung gegenüber

Österreich wesentlich radikalere Töne anschlagen würde. (Das kann man in fast jeder Nummer der katholischen slowenischen Exil-Wochenzeitung „Svobodna Slovenija“, Buenos Aires, und in anderen Exilpublikationen — sie sind in Jugoslawien verboten — nachlesen.)

Für den Bereich der Volksgruppen im Burgenland, vor allem für die Burgenlandkroaten, gibt es diese Problematik nicht. Territoriale Ansprüche Jugoslawiens bestehen dort nicht. Sie haben eigentlich nur 1919 im tschechischen Wunschtraum des slawischen Korridors von Preßburg bis Varasdin bestanden, der ohnehin eine Utopie war. Die Burgenlandkroaten unterhalten zur SR Kroatien nicht annähernd so gute Beziehungen wie die beiden slowenischen Dachverbände Kärntens zu Laibach und Belgrad, und das gilt auch von den der SPÖ nahestehenden Burgenlandkroaten. Der maßgebende Kroatische Kulturverein im Burgenland (Hrvatsko kulturno drustvo u Gra-diäci), der vor kurzem in der Dr.-Lorenz-Karall-Straße 23, Eisenstadt, ein sehr modernes, seinen Bedürfnissen entsprechendes Sekretariatsbüro bezogen hat und dadurch eine Aufwertung erfuhr, tritt zwar für eine enge kulturelle Zusammenarbeit mit der SR Kroatien ein, wo es einen für den cakavischen Sprachzweig des Kroatischen, der im Burgenland heimisch ist, sehr aktiven Verlag, den Cakavski Sabor, mit ausgezeichneten Buchreihen (Biblio-teka za Gradiäcanske Hrvate — Bibliothek für die Burgenlandkroaten) mit vorwiegend burgenländi-schen Autoren gibt und da das kroatische Muttervolk in Jugoslawien

auch heute noch religiös-kulturell in vollem Gleichklang mit den katholischen Burgenlandkroaten ist, erweist sich diese Zusammenarbeit als fruchtbar, bedeutet aber in keiner Weise eine Gefahr für die Gebietsintegrität Österreichs. Auch sahen sich die Burgenlandkroaten in

ihrer Geschichte seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts nie, wie die Slowenen, einem slawenfeindlichen Pangermanismus gegenüber, vielmehr mußten sie sich mit ihren un-garländisch-deutschen Mitbürgern bis 1922 stets gegen einen noch weit mehr überbordenden magyarischen

Nationalismus zur Wehr setzen (den es aber im heutigen Ungarn nicht mehr zu geben scheint).

Dennoch gibt es ein akutes Minderheitenproblem auch im Burgenland und es zeugt vom politischen Weitblick des Bundeskanzlers Kreisky, daß er sich diesem Problem nicht verschließt und ein Kontaktkomitee einberufen hat, dem auch der Kroatische Kulturverein trotz seiner ÖVP-Nähe angehört und daß er nicht mehr die sozialistische Konferenz der Bürgermeister kroatischer Gemeinden begünstigt. Die eigentliche Crux des Burgenland-Kroaten-problems liegt in dieser Bürgermeisterkonferenz, die vom ehemaligen

Nationalratsabgeordneten Friedrich Robak aus Steinbrunn, der sich als Kroate bezeichnet, präsidiert wird. Friedrich Robak ist der Meinung, daß kein Bedürfnis nach Berücksichtigung des Kroatischen in Schule und öffentlichem Leben bestehe und hat erst Ende März 1976 in der „Burgenländischen Freiheit“ wieder einen vehementen Artikel gegen das Burgenlandkratische publiziert. Stets gipfeln die Forderungen der nur aus SPÖ-Bürgermeistern bestehenden „Bürgermeisterkonferenz“, die juristisch eine Unperson ist, in der Forderung nach Preisgabe des Kroatischen als einer minderwertigen Dialektsprache und im Ubergang zur deutschen Sprache auf allen Lebensbereichen. Abgesehen davon, daß die Behauptung von der Minderwertigkeit des Burgenlandkroatischen ebensowenig zutrifft wie wenn man so etwas vom Baskischen, Okzitani-schen, von Urdu oder vom Sorbischen sagen würde, lebt jedenfalls in Österreich jede Volksgruppe und ethnische Minderheit in erster Linie aus ihrer Sprache heraus (vgl. Franz Kemöny, Das Sprechenlernen der Völker, Wien, Braumüller, 1975). Wohin diese Preisgabe der Muttersprache führt, kann man im Burgenland in jenen Kroatendörfern sehen, die einen SPÖ-Bürgermeister haben. Dort findet man keine kroatische oder zweisprachige Aufschrift etwa

auf dem Gebäude der Volksschule, Kroatisch ist verpönt, während man in den anderen Kroatendörfern schon heute, noch ohne Volksgruppenförderungsgesetz, solche Aufschriften antrifft (sogar im gemischtsprachigen Gebiet Kärntens gibt es das bezüglich des Slowenischen).

Der Staatsvertrag von 1955 ist für Kärnten teilweise, für das Burgenland jedoch mit Ausnahme der Schulsprachenregelung überhaupt nicht erfüllt (vgl. hiezu das groß angelegte, vom Kroatischen Kulturverein herausgegebene „Symposion Croaticon.

Die Burgenländischen Kroaten“, Wien, Braumüller, 1974). Die zweifellos großzügige Schulsprachenregelung stammt noch aus der „bösen“ Zeit vor dem „Anschluß“, nämlich aus dem Jahre 1937, sie ist nach dem Kriege nach und nach zum Nachteil der Minderheit (sowohl der kroatischen wie der magyarischen) verschlechtert worden, vor allem durch die Verordnung der Landesregierung LGB1. Nr. 12/1962, die einem Verbot des Besuches einer Volksschule mit zweisprachigem Unterricht durch Schulpflichtige deutscher Umgangssprache gleichkommt. Als ob es für ein solches Schulkind nachteilig wäre, die zweite Landessprache zu erlernen!

Wie wenig die diskriminierende Behauptung von der Minderwertigkeit des Kroatischen zutreffen kann, läßt sich aus der imponierenden Liste bedeutender Burgenlandkroaten (mit Bibliographie) des Burgen-länders Martin MerSic, Znameniti i zasluzhi' gradiscanski Hrvati), Zagreb 1972, entnehmen. Und es wird nicht viele Volksgruppen geben, für welche aus ihrer Mitte heraus ein so gediegenes Werk wie „Gradiscanski Hrvati“ (Die Burgenilandikroaten), Zagreb 1973,, publiziert wurde (mit deutschem Vorwort von Zvane Crnja und Blanka Jakid). Von Jahr zu Jahr mehr profiliert sich auch der vom Kroatischen Kulturverein herausgegebene „Gradiscanski Kalendar“ (Verlag des Kroatischen Pressevereins, Eisenstadt/Zeljezno), der auch volkskundlich wertvolle Beiträge enthält

Der Kroatische Kulfcurverein hat 1955 nach Inkrafttreten des Staatsvertrages eine Denkschrift an die Bundesregierung mit übrigens sehr maßvollen Forderungen, die sich aus dem Wortlaut des Staatsvertrages von selbst ergeben (Kroatisch als Amts- und Gerichtssprache neben dem Deutschen, Hauptschulen und höhere Schulen mit Kroatisch als Unterrichtssprache, Kulturförderung der Volksgruppe), überreicht. Erfüllt wurde keine der Forderungen, auch zweisprachige Ortstafeln gibt es (außer im kirchlichen Bereich der Gottesdienstankündigiungen am Ortseingang) nicht. Beantwortet wurde das Memorandum erst 1975!

Der Kroatische Kulturverein hat, ebenso wie die Slowenen, die Sprach-zähliung besonderer Art Anfang 1976 eindeutig abgelehnt, weil auch im Burgenland ein gesellschaftspolitischer Druck auf die Minderheit ausgeübt wird, um sie zu bewegen, ihr Volkstum zu verleugnen. Allerdings herrscht im Burgenland ein wesentlich gemäßigterer Ton als in Kärnten. Im Burgenland wird es wohl keinem Minderheitenvertreter in den Sinn kommen, die Teilnahme an Gesprächen und Verhandlungen mit Mahrheitsvertretern oder Regierung nur deshailb abzulehnen, weil dort auch Minderheitsgegner oder sich bewußt auf den Weg der „Umvolkung“ und „Umsprachung“ begebende Angehörige der Volksgruppe Gesprächsteilnehmer sind. Im Burgenland blickt niemand im poli-

tischen Sinne über eine Staatsgrenze. Aber allmählich wird es auch den Burgenlandkroaten und ihren allein für die Volksgruppe vertretungsbefugten Führungsgruppen, nämlich jenen, die die Volksgruppe erhalten und ihre Erhaltung sichern wollen, unerträglich, daß Österreich den Artikel 7 des Staatsvertrages mit keinem Buchstaben erfüllt hat. Das ergibt sich aus einer ausgezeichnet zusammengestellten Dokumentation in teils deutscher, teils kroatischer Sprache des Kroatischen Kulturvereins (leider ohne Datum, jedoch vom Frühjahr 1976).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung