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Bürgernähe PoKtik Politiknahe Bürger

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Zwentendorf aufsperren? Hainburg bauen oder doch nicht? Gurtenpflicht und null Promille? Immer häufiger ertönt der Ruf: Laßt das Volk entscheiden! Man muß aber auf der Hut sein. Es gibt Grenzen.

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Zwentendorf aufsperren? Hainburg bauen oder doch nicht? Gurtenpflicht und null Promille? Immer häufiger ertönt der Ruf: Laßt das Volk entscheiden! Man muß aber auf der Hut sein. Es gibt Grenzen.

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Das „Unbehagen vieler öster-' reicher mit einer Form der Demokratie, die trotz Rede- und Ver-sammlungs- und GewisserTsfrei-heit, trotz Wohlstands und äußerer Zufriedenheit innerlich gefährdet ist," hat schon in einem 1968 erschienenen Buch („Zur Re-form der österreichischen Innenpolitik", Europaverlag) ein hellsichtiger „Cato" registriert.

Geschehen ist, wie immer, wenn Propheten warnen, nichts. Nur daß halt nun die innere Gefährdung der Demokratie stärker sichtbar geworden ist.

Dutzende Bürgerinitiativen bezeugen den wachsenden Unmut ebenso wie das Anschwellen der Wahlwerber auf acht Parteien bei der letzten Nationalratswahl.

Ihr relativ dürftiges Abschneiden darf niemanden täuschen. Der Sozialforscher Ernst Gehmacher sieht das Potential der gegen heutige Politik Protestierenden schrittweise auf zehn, 20, vielleicht 30 Prozent anwachsen — sicher dann, wenn am Stil der Politik nichts geändert wird.

Was aber soll geändert werden? „Mehr Bürgernähe" forderte eine am 6. Mai 1983 veröffentlichte Studie eines politikwissenschaftlichen Instituts, und das Echo dieses Postulates schallte landauf landab aus Bergen, Tälern, Häuserschluchten wider.

Am liebsten sähen viele die „ursprüngliche Demokratie, wie sie an der Wiege der Volksherrschaft bestand", restituiert.

Freilich: Auch in der griechischen pölis waren nur Grundbesitzer und Krieger und jedenfalls nicht die Frauen, in der römischen civitas bis 212 nicht einmal alle Freien zur Mitgestaltung der Politik berufen. Und auch die attische Volksversammlung erließ oft längere Zeit keine Gesetze, sondern übertrug das Regieren Vertretungsorganen.

Die heute praktizierte „repräsentative Demokratie", in der Parlamente das Volk vertreten, ist nicht nur Ergebnis der Erkenntnis, daß ein paar Millionen Menschen zuviel fürs Regieren sind, sondern auch der Einsicht, daß die Kunst des Politikmachens vielleicht doch von Fachleuten besser beherrscht wird als von noch so wohlmeinenden Amateuren.

Es kann also nicht um die Abschaffung von Regierungen, Parlamenten und Parteien gehen. Es geht um deren stärkere Rückbin-dung auf den Willen des von ihnen vertretenen Volkes, um die Eindämmung von Machtanmaßung, Willkür, Arroganz.

Um das zu erreichen, schießen Bürgerinitiativen auch aus allen Böden. Den meisten von ihnen ist ein Merkmal eigen: Sie beziehen sich auf ein bestimmtes, konkretes, meist lokales Ereignis oder Anliegen: Es gilt, einen Kraftwerksbau oder eine Stadtautobahn zu verhindern, einen Spielplatz oder einen Radfahrweg zu erreichen.

Vielleicht ist diese Konzentration auf ein Problem („Single issue politics," sagen die Amerikaner) auch ein Protest gegen die immer weniger durchschaubare Komplexität der „großen" Politik: Man will mitreden, wo man von der Sache noch etwas versteht. Das ehrt die Bürgerinitiativler. Aber es erleichtert das Politikmachen nicht.

Wer ist zuständig für eine Autobahn: nur die von Lärm und Abgasen bedrohten Anrainer oder auch die potentiellen Nutznießer anderer Stadtteile? Ist ein Monster-Konferenzzentrum in Wien eine Wiener oder eine gesamtösterreichische Angelegenheit?

Je nach der Antwort auf diese Fragen kann man dann die Ergebnisse direkter Demokratie voraussagen: Wenn die Nutznießer zahlreicher als die Geschädigten einer Stadtautobahn sind, müßte diese gebaut werden. Wenn die

Steuerzahler zahlreicher als die Nutznießer eines Neubaus sind, wird kein Konferenzzentrum in Wien, aber auch kein Arlbergtun-nel und kein Salzburger Festspielhaus mehr gebaut. Da hatte Kreisky mit seinem Einwand nicht ganz unrecht.

Und falls wir wirklich eines Tages wieder mehr Strom brauchen sollten: Kernkraftwerk? Nein danke, zu hohes Sicherheitsrisiko! Kohlekraftwerk? Untragbar, die Luftverschmutzung! Wasserkraftwerk? Stopp - der Auwald! Also Start in die (energieaufwendige) Mikroprozessorenzukunft mit einem Fackelzug?

Mit diesen Überlegungen soll dem Ruf nach mehr direkter Demokratie ebensowenig wie der Forderung nach umweltschonender Industriepolitik widersprochen werden. Aber man muß ehrlich die Problemfelder beschreiben, innerhalb derer sich der Ruf nach mehr Bürgernähe der Politik wie ein Ölfleck ausbreitet und vertieft.

Keine Frage: öfter ein Volksbegehren, um Politikernasen auf ein vernachlässigtes Anliegen zu stoßen; öfter eine Volksbefragung, um unverbindlich Bürgermeinung zu erkunden; öfter eine Volksabstimmung, um Parlamentsbeschlüsse auf ihre Volkstümlichkeit abzuklopfen: Das müßte, das sollte möglich sein.

Aber die Themen dafür muß man sich gut überlegen. Manche sagen: vor allem in Gewissensfragen! Aber gerade das ist problematisch. Es gibt Unabstimmbares auch in einer Demokratie. Dazu gehören die Menschenrechte, gehören die Eckpfeiler des Rechtsstaates, die Grundwerte, auch fundamentale Uberzeugungen, der Minderheitenschutz.

Wenn menschliches Leben außer im Fall der Selbstverteidi-,,Dazu Sind Politiker da: dem Volk nicht nur aufs Maul zu schauen, sondern ihm auch zu sagen, wenn es irrt." gung unantastbar ist, dann bleibt es das, ob fünfhundert oder fünf Millionen ein Votum unterschreiben. Dazu sind Politiker als Mandatsträger, Beauftragte des Volkes, da: dem Volk nicht nur aufs Maul zu schauen, sondern ihm auch zu sagen, wenn es irrt! Beispielhaft auch gegen Widerspruch voranzugehen!

Politik ist Machtausübung. Demokratie ist Machtausübung zugunsten des Gemeinwohls — aber nicht Machtverzicht zugunsten von Politsof ties und Seelenbaum-lern.

Mindestens so notwendig wie bürgernahe Politik sind politiknahe Bürger, die das, verstehen, sich in der Politik und für politische Ziele engagieren, aber nach Spielregeln und ohne jene betuliche Wehleidigkeit, die heute allzu oft schon mit christlicher Liebe verwechselt wird.

Weisheit, Mäßigung, Tapferkeit und Gerechtigkeit: Die vier Kardinaltugenden Piatos müssen in einer Volksherrschaft Wähler wie Gewählte auszeichnen.

Weisheit: Das heißt Ja zur Erfahrung, zu Politik als Kunst des Möglichen, Unterscheidungsfähigkeit, Güterabwägung und Geduld—nach Rudolf Henz die „Erz-tugend" seiner dem Zeitgeist widerstreitenden „Dennochbrü-der".

Mäßigung: Kein „Alles oder nichts", keine extremen Forderungen, Ja zum Kompromiß, Nein zur Gegnervernichtung.

Tapferkeit: also Mut zu Unpopulärem, Absage an Opportunismus, Zivilcourage vor Fürsten-wie vor Wählerthronen.

Gerechtigkeit: keine Eigenbrötelei, Anerkennung auch dessen, was Politiker leisten - eigene und die Gegner!

Sind solche Tugenden das Ziel politischer Bildung, werden politiknahe Bürger auch, wenn bürgernahe Politik gemacht wird, seltener das Unkluge, Maßlose, Unmögliche, Unrechte fordern.

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