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Bürokratenvirus im Schulcomputer-System

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Bis vor kurzem wurden sie oft noch als moderne Verbindung zwischen Technik und Unterricht gepriesen. Jetzt fliegen sie raus, die Sprachlabors aus Österreichs Schulen. Und müssen dem nächsten Medium Platz machen: Seit heurigem Schuljahr ist der EDV-Einsatz an Österreichs Schulen gesetzlich vorgeschrieben. Die Rahmenbedin-

gungen allerdings lassen zu wünschen übrig und von der Erfüllung der entsprechenden Verordnung (Unterrichtsministerium, Nr. 477 vom31. Juli 1990)istmannochweit entfernt. Die Schulen wurden überrumpelt.

Der Computer sollte in jedem Gegenstand eingesetzt werden, nicht nur im Wahlpflichtfach Informatik. Also auch in Deutsch, Englisch, Mathematik. Das scheitert daran, daß erst ein kleiner Teil der Lehrer dazu ausgebildet ist. Der größere Teil hat noch nie mit Computer zu tun gehabt und oft eine gewisse Scheu davor, sich mitsamt der Klasse einem Computer-Netzwerk, wie es an vielen Schulen jetzt installiert wurde, anzuvertrauen. Charlotte Gratze von der EDV-Koordinationsabteilung im Unterrichtsministerium: „Natürlich gibt es Kritikpunkte und keine bedingungslose Akzeptanz - und auch Angst, daß der Schüler mehr weiß, als der Lehrer. Der Lehrer bekommt eine andere Rolle im Informatikraum."

Die Einschulung der Lehrer wurde den Pädagogischen Instituten in den einzelnen Bundesländern überlassen. Nicht nur in Niederösterreich begann man damit - abgesehen von ein paar Grundkursen - erst nach Schulbeginn: also zu einem Zeitpunkt, an dem Kollege Computer schon kräftig im Unterricht hätte mithelfen müssen. Doch auch die Installierung der

Computersysteme selbst erfolgte erst nach Inkrafttreten der entsprechenden Verordnung - und ist bis heute noch nicht abgeschlossen. Manchen Schulen fehlt einfach der Platz, um die Terminals aufzubauen. Jede AHS in Österreich erhielt 14 Commodore-Computer mit Phillips Bildschirmen. Und bevor die nicht funktionieren, hätte es wenig Sinn gehabt, Lehrer einzuschulen -auch Lehrer müssen üben können, heißt es. Apropos üben: Bis jetzt ist noch unklar, ob das Unterrichtsministerium auch den Lehrern ein eigenes Terminal im Lehrerzimmer bewilligt, wie es sich zum Beispiel die ARGE Informatiklehrer in Niederösterreich wünscht, um den Kollegen das Vorbereiten und Üben am Bildschirm überhaupt zu ermöglichen. Denn die 14 Schüler-PCs werden ja die meiste Zeit im Unterricht gebraucht.

„Die Lehrerfortbildung wird noch ganz massiv weitergehen müssen," meint Reinhold Raffler vom Tiroler Landesschulrat. Auch hier waren zu den ersten Ein-schulungskursen vor allem die Interessierten gekommen, aber lange nicht alle, die nun den Computer auch einsetzen müßten.

Für die neuen Geräte - sie sind IBM-kompatibel, das heißt, mit fast allem auf dem Markt erhältlichen Zubehör - von Programmen bis zum Drucker - kombinierbar, muß auch neue Software angekauft werden. Die offizielle zentralistische Einkauf spolitik aber stößt nicht immer auf die Zustimmung der Lehrerkollegen.

Das Unterrichtsministerium bestimmt, was gekauft wird. Gekauft wird prinzipiell nur das, wofür die Firmen Generallizenzen anbieten. Das heißt, daß die Software mit einem einmaligen Kaufpreis in allen Schulen jederzeit verwendet werden darf. Damit fallen einzelne Wünsche bereits aus der prinzipiellen Angebotsliste. Das sehr verbreitet Textverarbeitungssystem Word Perfekt zum Beispiel, konnte schon

deswegen nicht angekauft werden, weil die Firma dafür keine Generallizenz anbietet. Man müßte mit jeder Schule Einzelverträge schließen. Was das Land Niederösterreich für seine Pflichtschulen dann auch getan hat. An der AHS hingegen wird österreichweit das Programm Textmaker verwendet. Ungeachtet der Vorbehalte, die die ARGE Informatiklehrer Niederösterreich dagegen vorgebracht hatte.

Nicht nur das. Vielen Programmen, die vom Unterrichtsministerium angekauft wurden, ist gemeinsam, daß sie für den Einsatz im Unterricht viel zu kompliziert sind. Reinhold Raffler: „Sie entsprechen nicht pädagogischen Gesichtspunkten, sagen manche Lehrer, da sie ja für die Wirtschaft entwickelt wurden." Dabei gäbe es längst Alternativen. Denn unter den Lehrerkollegen kursiert eine große Anzahl selbst gebastelter Software, die direkt auf die Bedürfnisse der Schulpraxis eingeht. Erst seit kurzem - und nach massivem Druck einiger Landesschulinspektoren -werden auch diese Lehrerprogram-

me vom Unterrichtsministerium getestet.

In Salzburg hat man daher mittlerweile zur Selbsthilfe gegriffen und am Pädagogischen Institut eine Art Programmbörse eingerichtet. Die dort erhältliche Unterrichtsoftware wurde von Lehrer entwickelt und von Sponsoren angekauft, Banken oder Großfirmen etwa, die dafür ihr Firmenemblem ins Programm schummeln dürfen. Denn offiziell ist Werbung in den Schulen ja verboten.

Aus dieser - aus der Not geborenen - Idee ist mittlerweile ein 30 Programme umfassendes Angebot für Salzburgs Lehrer geworden. „Bei ein bißchen Zusammenarbeit hätte man sofort 100 Programme zusammen," meint Professor Peter Einhorn vom Pädagogischen Institut Salzburg. „Die zentrale Ankaufspolitik des Ministeriums hat keinen Sinn und muß verschwinden. Das solle Ländersache werden." Lehrerprogramme haben nicht nur den Vorteil, daß sie aus der Unterrichtspraxis entwickelt wurden, sie sind auch billiger als

die Angebote der Wirtschaft.

Zermürbende Kleinarbeit idealistischer Lehrer ist es, die den EDV-Einsatz an den Schulen zur Zeit überhaupt im Mindestausmaß möglich macht. Denn auch an Kleinigkeiten könnte man verzweifeln, heißt es zum Beispiel am Gymnasium Stockerau - einer Schulver-suchsschule! Da gibt es für die ganze Schule nur ein einziges Handbuch, um sich ins Programm einarbeiten zu können, da fehlt der oft gewünschte Overhead-Display, mit dem einzelne Tippvorgänge an die Wand projiziert werden können. Wichtige gesetzliche Verordnungen werden mitten in den Ferien erlas-

sen, die Programmwünsche alle abgelehnt, und in der Einschulungsphase mit dem Fachmann werden statt einer ganzen Woche auf einmal nur mehr zehn Stunden bezahlt. Dann ist der Deutsch- oder Englischlehrer mit dem Computer, Schülern und Systemabstürzen alleine. Aus dem Unterrichtsministerium heißt es beruhigend: Anfangsschwierigkeiten, Testphase, das geht vorüber.

Zumindest in den einzelnen Lan-desschulräten hat man Mitleid mit den überforderten Schulen. Und drängt nicht auf die Erfüllung der gesetzlichen Vorschrift Von der „Integration informations- und kommunikationstechnischer Grundbildung in den Unterrichtsgegenständen", wie es offiziell heißt.

Optimisten hoffen, ab dem Sommersemester - also mit halbjähriger Verspätung - mit der geregelten Durchführung beginnen (!) zu können. Skeptiker, wie Professor Einhorn vom Pädagogischen Institut in Salzburg fragen, „wie es nächstes Jahr weitergeht, wenn es jetzt schon so schleppend eingeführt wurde"?

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