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Bürokratie ersetzt Papst?

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Die langsamer als erhofft fortschreitende Genesung Papst Johannes Paul II., die in einigen Wochen sich anschließende zweite Operation an der römischen Universitätsklinik „Gemelli" lassen in den Gläubigen neben anteilnehmenden Genesungs wünschen auch die Frage aufkommen, wer wohl in einer solchen Situation das Steuer des „Schiffes Petri" in Händen hält. Welche Vertretungsbefugnisse liegen in wessen Händen, was muß aufdie persönliche Erledigung durch den Papst warten? Die folgenden Informationen sind der „Kathpress" entnommen.

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Die langsamer als erhofft fortschreitende Genesung Papst Johannes Paul II., die in einigen Wochen sich anschließende zweite Operation an der römischen Universitätsklinik „Gemelli" lassen in den Gläubigen neben anteilnehmenden Genesungs wünschen auch die Frage aufkommen, wer wohl in einer solchen Situation das Steuer des „Schiffes Petri" in Händen hält. Welche Vertretungsbefugnisse liegen in wessen Händen, was muß aufdie persönliche Erledigung durch den Papst warten? Die folgenden Informationen sind der „Kathpress" entnommen.

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Auch ein kranker Papst übt sein Amt aus. Johannes Paul II. läßt daran kei­nen Zweifel. So wurde die Nachfolge Kardinal Wyszynskis am Krankenbett geregelt. Das eine oder andere Schrei­ben „im Namen des Papstes“ verläßt das Krankenzimmer. Die wenigen, aber wichtigen Audienzbesucher pas­sieren statt der gewohnten Schweizer Gardisten Krankenhauspersonal in weißen Kitteln. Tonbandaufzeichnun­gen mit der Stimme des Papstes trösten die Pilger auf dem Petersplatz, die sich zur gewohnten Stunde am Sonntagmit­tag zum Angelus versammeln.

Die Vatikanischen Kongregationen und Ämter haben zur Abwicklung ihrer normalen Dienstgeschäfte die notwen­dige Entscheidungsfreiheit. Auch die Ortskirchen und Bischofskonferenzen sind mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet, so daß das Schiff Petri bei begrenzter Einsatzbereitschaft seines Steuermannes nicht gleich ins Schlin­gern gerät. Der internationale Kardi­nalsrat, der auf Wunsch des Papstes den Vatikan einer „Wirtschaftsprü­fung" unterzieht, kann ohne Johannes Paul II. arbeiten und hätte dies auch ge­tan, wenn der Hausherr wohlauf gewe­sen wäre.

Dennoch sieht die Wirklichkeit hin­ter der Vatikanmauer etwas anders aus. Denn eine Reihe von „außerordentli­chen“ Aufgaben kann nur auf dem päpstlichen Schreibtisch ihre Erledi­gung finden: Hier blieb das Dokument zur Familiensynode zur letzten Begut­achtung liegen. Im „Osservatore Ro­mano“ sind nach dem eingehenden Rap­port, den der österreichische «Salesia­nerpater Alfons Stickler, Präfekt der Vatikanbiliothek, für den Papst anfer­tigte, gravierende personelle und struk­turelle Veränderungen fällig.

Die vatikanische Arbeitnehmerverei­nigung wartet auf das „Nihil obstat“ zu ihrem Statut, Kardinal Seper auf sei­nen Nachfolger im Amt des Präfekten der Glaubenskongregation, die neu er­nannte Familienkommission auf einen Präsidenten. Aktuell hätte Johannes Paul II. die Möglichkeit, acht neue Kardinale zu ernennen. Doch vor Ende des Sommers ist mit einem Konsisto­rium nicht mehr zu rechnen. Frühestens ist ein solches zu Allerheiligen oder am 8. Dezember zu erwarten. Die Rück­trittsfrage von Jesuitengeneral Arrupe, die Johannes Paul II. persönlich in die Hand genommen hat, bleibt weiterhin ungeklärt.

Die Nachteile eines bei aller Kolle­gialität zentralistisch organisierten Lei­tungssystems, das die Züge einer „Wahlmonarchie“ hat, werden im Krankheitsfall des obersten Chefs spür­bar. Ausgestattet mit weitreichenden Kompetenzen könnte im einen oder an­deren Fall Kardinalstaatssekretär Ago­stino Casaroli einspringen: Seine Auf­gabe ist es, „dem Papst sowohl in der Sorge um die Universalkirche als auch in den Beziehungen zu den Dikasterien der römischen Kurie zur Seite zu ste­hen“. So steht es jedenfalls im Dekret zur Kurienreform von 1967.

Kardinalstaatssekretär Casaroli hin­gegen bleibt der feinsinnige Diplomat, sorgsam darauf bedacht, seine Kompe­tenzen nicht zu überschreiten. Er neigt - dies ehrt ihn - eher dazu, bei Erkran­kung seines Dienstherrn mitzuleiden, als selbst das Heft dort in die Hand zu nehmen, wo er es könnte. Der Papst er­teilt ihm dazu nur von Fall zu Fall den Auftrag. Kardinal Ciappi, päpstlicher Haustheologe, wurde-wie schon zuvor Kardinal Tomasek - vom Papst beauf­tragt, an seiner Stelle den Rosenkranz im Radio Vatikan zu beten. Wichtigere Delegierungen von Regierungs- bzw. Leitungsaufgaben dagegen sind nicht bekannt.

Eine umfassende und befriedigende Regelung, wer im Krankheitsfall des Papstes dessen Amtsgeschäfte über­nimmt, gibt es nicht. Nur im Todesfall eines Papstes ist alles genau festgelegt. Da übernimmt der Kardinal-Camer- lengo - zur Zeit Kardinal Paolo Bertoli - vorübergehend die Erledigung der dringlichsten Angelegenheiten der Kir­che. So makaber es ist, aber juristisch ist in einer Sedisvakanz die Kirchenlei­tung besser geregelt als unter einem vorübergehend erkrankten Papst.

Nun ist es abzusehen, daß Johannes Paul II. nach den Sommerferien wieder voll im Einsatz ist. Doch das eigentliche Problem ist nicht sein momentaner Ar­beitsausfall, sondern daß dieser Ar­beitsausfall, das Fehlen seiner pastora­len Aktivität, eine Führungsschwäche im Vatikan aufgedeckt hat, die älter ist als das Attentat vor St. Peter.

Die Londoner „Times“ zitiert den le­gendären Monsignore aus dem Vati­kan: „Für viele von uns in der Kurie hat seit der Wahl von Johannes Paul II. eine Sedisvakanz bestanden“. Ein „Manager“ wird gesucht. Hinter vor­

gehaltener Hand wurde im Vatikan schon vor dem Attentat der Name des früheren Substituten und jetzigen Erz­bischofs von Florenz genannt: Gio­vanni Benelli, derselbe Mann, dem we­gen seiner rigorosen Arbeitsdisziplin bei seinem Ausscheiden aus dem Amt kaum ein Kurienprälat rfachtrauerte. Jetzt vermißt man die Effizienz, die Be­nelli in den späten Jahren Paul VI. in­nerhalb der Kurie garantierte.

Dieser Papst ist geschätzt, weil er kein Bürokrat ist. Der Widerspruch liegt nicht in ihm, sondern darin, daß ein pastoral ausgerichteter Papst für die vatikanische Bürokratie (noch dazu eine der ältesten der Welt) Sorge zu tra­gen hat. Diese Sorge nimmt Johannes Paul II. mit in seinen langen Gene­sungssommer nach Castel Gandolfo, wo er in den Gärten der päpstlichen Villa Zeit zum Nachdenken hat. Kommt er als derselbe zurück, den die Welt kennengelernt hat?

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