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Bürokratisierung endlich stoppen!

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Ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität Wien suchte anhand der Analyse des Ist-Zu-standes nach neuen Organisationsformen in der öf-' fentlichen Verwaltung.

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Ein Forschungsprojekt an der Technischen Universität Wien suchte anhand der Analyse des Ist-Zu-standes nach neuen Organisationsformen in der öf-' fentlichen Verwaltung.

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Ziel der Untersuchung war es, einen Beitrag dahingehend zu leisten, was Verwaltungsreform sein soll und wie sie realisiert werden kann. Als dafür nützliches Untersuchungsobjekt wurde das Wachstum der öffentlichen Verwaltung ausgewählt.

Dabei wird davon ausgegangen, daß sich in strukturellen Elementen der Organisation, nämlich Aufbau und Personal, die Reaktion auf die Umweltkräfte abbildet, und zwar im Rahmen der inneren Situation der Bürokratie.

Mit diesen Annahmen wird der Gedanke explizit eingebracht, daß Verwaltungsreform weder

auf ein Bürokratieproblem reduziert noch einfach als Problem mit der Beamtenschaft gesehen werden darf.

Zufolge gesellschaftlicher Veränderungen ist die Sicherung der Stabilität der gesellschaftlichen Entwicklung aufwendiger geworden, was sich auf die öffentliche Verwaltung ausgewirkt hat. Als dabei auftretende Problemfelder wurden insbesondere die folgenden festgestellt:

• Lösungsversuche aus einem „Marketing-Konzept" der Politik bringen mehr formale Regelungen, was die Verantwortung und Problemlösungsfähigkeit beispielsweise der Bürger vermindert.

• Lösungsversuche für mehrdimensionale Probleme in Form von Reduktion auf eine Dimension und deren Befriedigung sind ineffektiv, das heißt: noch so großer Aufwand bezüglich einer Dimension bringt keine Lösung des Problems, sondern immer mehr Arbeit.

• Lösungsversuche durch Aufgaben- und Entscheidungszentralisierung scheitern an der Unmöglichkeit der Datenbeschaffung für jeden Einzelfall oder/und führen zur Reduktion von Möglichkeiten.

Aus der Struktur der aufgezeigten Probleme ergibt sich, daß sie auf das Budget expansiv wirken. Dies deshalb, weil das vorgegebene Ziel nicht erreicht wird, ja nicht.erreicht werden kann, was aber irrtümlich auf nicht ausreichende Finanzmittel zurückgeführt wird.

In weiten Bereichen der öffentlichen Verwaltung läßt sich das anzustrebende Ergebnis oft nur qualitativ angeben; zudem bleibt eine oft bestehende Zielkonkurrenz unbeachtet. In der Praxis muß dann versucht werden, mit den vorhandenen Mitteln ein Maximum an Ergebnis zu erzielen.

Im Feedback wird dies allerdings als nicht ausreichend gemeldet, was zur Anmeldung eines höheren Finanzbedarfes führt. Im Rahmen des bürokratischen Systems bei gegebenen Bedingungen der logische Vorgang.

Die Globalentwicklung der Bundesministerien-Zentralleitungen (BM-ZL) zwischen 1954 und 1978 zeigt eine zunehmende Strukturierung der Zentralleitungen, die Veränderung der Qualifikationsstruktur der Sachbearbeiter durch starke Abnahme des Anteils derjenigen in der höchsten Qualifikationskategorie A und einen geringen Anteil der neu hinzukommenden Aufgabeninhalte an der Gesamtentwicklung, gemessen an der Zahl der Abteilungen und Sachbearbeiter.

Diese Fakten deuten darauf hin,

daß sich in den Bundesministerien-Zentralleitungen nicht eine am Beginn stehende Entwicklung abbildet, sondern eine zumindest in der Differenzierungsphase befindliche Entwicklung und die damit zusammenhängenden Probleme der Perfektionierung und Detailregelung. Die angewendeten Lösungsversuche weisen, wie obige Globalentwicklung zeigt, in Richtung zunehmender Bürokratisierung.

Die Entwicklung der Zahl der Bundesministerien (neun auf 14), der in der Regierung tätigen Bundesminister (zehn auf 14) und Staatssekretäre (drei auf neun) zwischen 1950 und 1980 sowie der Aufgabenbereiche mit stark gestiegener Zahl an Abteilungen (1954:63,5; 1978:207) und Sachbearbeitern (1954:312; 1978:1070) in den Zentralleitungen deutet auf eine zunehmende Dominanz des politischen Subsystems (Staat, formale Regeln) über das ökonomische (Unternehmen, Markt) und das sozio-kulturelle (Familie, personaler Bereich) mit Hilfe des Instruments öffentlicher Verwaltung.

Die Ausdifferenzierung auf Regierungsebene durch Neugründung beziehungsweise Ausgliederung von Bundesmijjisterien und den BM-ZL werfen das Problem der Integration auf. In manchen BM-ZL wird dies durch Hierar-chisierung versucht, auf Regierungsebene durch Freispielen des Bundeskanzlers mit Hilfe von Staatssekretären in Alleinregie-rungszeiten sowie durch Koalitionsausschüsse bei Mehrparteienregierung. Für sich betrachtet plausible und übliche Maßnahmen zur Lösung des Problems der Integration.

Bevor weitere Überlegungen dazu angestellt werden, soll ein zweites Problemfeld angesprochen werden: Status-quo-Verhalten wird durch blockierte Kapazitäten gefördert. Ein solcher Zustand scheint sich in der Entwicklung der Struktur der BM-ZL ab-

zubilden, insbesondere im geringen Anteil neuer Auf gabeninhalte und der relativen Abnahme der Mitarbeiter mit höchster Qualitätsanforderung.

Damit besteht die Gefahr, daß in den Zentralleitungen nicht regiert, sondern verwaltet wird, das heißt immer mehr Details durchgeführt und zumindest relativ immer weniger initiiert wird.

Ein Lösungsansatz erscheint in den folgenden Überlegungen gegeben: Es gilt den politischen Willen zum Tragen zu .bringen, die Bundesregierung und die BM-ZL von Detaildurchführungsaufgaben zu befreien, im Ansatz radikal, in der Ausführung behutsam.

Elemente einer solchen Neuorientierung gibt es mehrere, sie stehen miteinander in Wechselbeziehungen und müssen mitbedacht werden.

Ein Beispiel für ein solches Element an Maßnahmen besteht in einer radikalen Reduzierung der Zahl der Bundesministerien auf etwa sechs bis acht Bundesministerien. Das wäre eine Maßnahme der Integration, würde die Bundesminister zwingen, sich auf politische Rahmenentscheidungen zu konzentrieren und in der Folge ein Schritt zu mehr Ausgewogenheit zwischen den Teilsystemen der Gesellschaft sein, nämlich Regierung, Familie und Markt.

In der Folge wird es notwendig, die BM-ZL auf vorschauende Planungsaufgaben zu konzentrieren und die Verwaltungsaufgaben im engeren Sinne nach dem Prinzip der kleinen Funktionskreise in mittelbarer Bundesverwaltung oder durch Bundesämter erfüllen zu lassen. Natürlich wären auch Kompetenzverlagerungen auf Landes- und Gemeindeebene möglich.

Wir konnten aus der empirischen Analyse sehen, daß innerhalb der BM-ZL eine aufgabengerechte Sachbearbeiterveränderung auftritt, sowohl der Zahl als auch der Qualifikation nach.

Allerdings konnte auch festgestellt werden, daß dadurch die Zahl der Sachbearbeiter insgesamt nicht verringert wird, sondern es lediglich zu Verschiebungen gekommen ist. Das knappe Gut Sachbearbeiter wird also einem Bedarf entsprechend von einer Organisationseinheit zur anderen umgeschichtet. Dies bedeutet, daß innerhalb der BM-ZL Flexibilität bezüglich Personal besteht.

Wenden wir diese Knappheitsüberlegungen auch auf die strukturelle Differenzierung an — was aufgrund unserer Analyseergebnisse berechtigt ist —, so stellt die Vermehrung der Bundesministerien durch Teilung eine ineffektive und ineffiziente Maßnahme dar.

Dies deshalb, weil durch Teilung Knappheit umgangen wird und vorhandene Reserven stabili-

siert werden. Eine neue Schwerpunktsetzung anstatt Teilung schafft Knappheitsrelation und damit die Wahrscheinlichkeit einer bedarfsgerechten Differenzierung und Zuordnung. Die' bei den geteilten Bundesministerien stark gestiegene Zahl an Abteilungen bestätigt diese Interpretation.

Ähnliche Überlegungen gelten für die Sektionen. Detailanalysen haben gezeigt, daß von den drei geteilten Bundesministerien nur in einem die formal verbliebene gemeinsame Präsidialsektion auch in den Sachbearbeitern weitestgehend ident erhalten wurde. Bei den anderen sind faktisch zwei parallele Sektionen entstanden, die in der formalen Leitung Personalunion aufweisen.

Ein anderes Ergebnis der Analyse hat gezeigt, daß die Zahl der Sachbearbeiter A je Abteilung über den Betrachtungszeitraum von 24 Jahren nahezu konstant geblieben ist. Dieses Faktum sowie die dargestellten Beispiele der Abteilungsteilung deuten auf

eine personell mitgesteuerte Abteilungsvermehrung hin.

Die Sachbearbeiter A streben in den Zentralleitungen offenbar nicht — wie eventuell zu erwarten — primär mehr Mitarbeiter an, sondern möglichst eine eigene Abteilung. Dies führt zweifellos zu mehr struktureller Komplexität, wodurch wieder Koordinations- und Kooperationsprobleme entstehen, die sich auch auf die Betriebskosten erhöhend auswirken.

Diese Tendenz wird durch zwei Fakten gefördert. Einerseits durch die herrschende monokra-tisch-autoritäre Grundkonzeption im praktizierten bürokratischen System und die damit verbundene Tendenz der Mitarbeiter, möglichst in eine Leitungsfunktion zu gelangen und selbst wenig ausführende Tätigkeit übernehmen zu wollen beziehungsweise als professioneller Spezialist einen möglichst autonomen Status innezuhaben.

Andererseits stellt das Erreichen der Leitungsfunktion für den Sachbearbeiter häufig die einzige Form des Aufstiegs dar, aber auch der Leistungsentlohnung. Jedenfalls bedarf es daher auch organisatorischer und pädagogischer Maßnahmen, um dem aus den oben dargestellten Gründen entstehenden Druck zur Teilung von beispielsweise Abteilungen entgegenzuwirken.

Es geht um das Selbstverständnis der Mitarbeiter, die Einstellung zueinander und zur Arbeit.

Das knappe Positionsgut Abteilungsleitung kann ohne Abteilungsteilung dadurch vermehrt werden, daß es jeweils nur auf Zeit vergeben wird. Ein solcher Abteilungsleiter hätte für die dann größeren Abteilungen tatsächlich Managementfunktionen zu erfüllen.

Beispiele für solche institutionalisierte, zeitlich begrenzte Funktionszuweisungen gibt es in der öffentlichen Verwaltung im Bereich der Universitäten bei der Institutsleitung und neuerdings bezüglich des Generaldirektors für die Post- und Telegraphenverwaltung. Im Bereich der Stadt Wien hat der Magistratsdirektor die Möglichkeit, Bediensteten -auch zeitlich beschränkt — Sonderaufgaben zuzuweisen.

Die aufgezählten Beispiele zeigen nicht nur, daß es auch im Bereich des pragmatisierten Berujs-beamtentums das Faktum „auf Zeit" gibt, sondern auch die bestehende Breite des erfolgten Einsatzes.

Der Autor leitete das Forschungsprojekt „Aufgabenplanung und neue Organisationsformen in der öffentlichen Verwaltung" am Arbeits- und Betriebswirtschaftlichen Institut der Technischen Universität Wien. Der Forschungsbericht erscheint demnächst in Buchform unter dem Titel „Aufgabenplanung. Ansätze für rationale Verwaltungsreform", Böhlau Verlag, Wien.

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