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Bukarester Trümpfe

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Die Jubiläumsfeiern zum 30. Jahrestag des Sturzes des Re’ gimęs Antonescu und des Bruches Rumäniens mit dem nationalsozialistischen Deutschland gestaltete der rumänische Staatsund Parteichef Ceausescu zu einer Demonstration der Selbständigkeit, wie sie im Ostblock als sehr ungewöhnlich bezeichnet zu werden verdient.

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Die Jubiläumsfeiern zum 30. Jahrestag des Sturzes des Re’ gimęs Antonescu und des Bruches Rumäniens mit dem nationalsozialistischen Deutschland gestaltete der rumänische Staatsund Parteichef Ceausescu zu einer Demonstration der Selbständigkeit, wie sie im Ostblock als sehr ungewöhnlich bezeichnet zu werden verdient.

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Nebst anderer sozialistischer Prominenz wohnten der stellvertretende chinesische Ministerpräsident Li Hsien-nien und der sowjetische Ministerpräsident Kossygin den Feierlichkeiten bei. Ceausescu ließ sich nicht einmal durch die Anwesenheit des letzteren davon abhalten, zu erklären, Rumänien wünsche, in den Auseinandersetzungen zwischen der Sowjetunion und China neutral zu bleiben.

Seine Entschlossenheit, den eingeschlagenen Weg auch durchzuhalten, unterstrich die Militärparade. Die Abteilungen des Heeres marschierten und fuhren in Uniformen nach französischem Schnitt vorbei. Diesen Verbänden folgten Einheiten der bewaffneten patriotischen Arbeitergarden.

Bedenkt man, daß die Umrüstung vom russischen Uniformmuster und Stahlhelmtyp auf ein älteres französisches Vorbild keine militärische Notwendigkeit war, und erinnert man sich, daß jene Arbeiterformationen 1968 nach dem Einmarsch der Roten Armee in die Tschechoslowakei gegründet wurden, um einen verstärkten Grenzschutz für alle Fälle zu garantieren, so kann man ermessen, welche deutliche und gezielte Lehre den Sowjets durch diese Aufmachung erteilt werden sollte.

Es ist nicht persönlicher Ehrgeiz allein, der Ceausescu veranlaßt, eine so gefährliche Partie zu wagen. Er trägt damit dem durch die Russen verletzten nationalen Selbstgefühl der Rumänen Rechnung.

Rumänien unternahm in der letzten Zeit alle Anstregungen, seiner Simme im internationalen Konzert mehr Gehör zu verschaffen. Rumänische Diplomaten traten bei jeder Gelegenheit laut für die Grundsätze von Selbständigkeit und Selbstbestimmung der Staaten ünd von Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ein. Diese Schlagworte finden sich auch im sowjetischen Vokabular. Sie werden gerne im Hinblick auf die jungen Staaten der Dritten Welt mit einer nicht zu übersehenden Spitze gegen den Westen in die Debatte geworfen. Bezieht man sie aber auf Rumänien, so kehrt sich ihre Spitze unversehens gegen Osten.

Auf den europäischen Konferenzen für Sicherheit und Truppenabbau versuchten die Rumänen, sich zum Wortführer der kleinen und mittleren Staaten aufzuschwingen. Das gelang ihnen zwar nicht, doch scheint Ceausescu schon aus seiner Mitarbeit die Legitimation für ein selbstbewußteres Auftreten herzuleiten.

Wagt er zuviel? Überschätzt er seine Stellung gegenüber Moskau? Eine Analyse ergibt, daß seine Position gut abgesichert sein dürfte.

Er ist ein alter, eingefleischter Kommunist und weiß mit den mächtigen Genossen im Kreml umzugehen.

In der Innenpolitik kennt er keinen Kompromiß, die Ideologie ist unantastbar. Harte Gewaltmaßnahmen, wie die Verhaftung des Schriftstellers Zoltän Kalos, werden selten ergriffen. Sie sind insofern nicht mehr nötig, als die berüchtigten Methoden der fünfziger Jahre der Bevölkerung klargemacht haben, daß niemand eine Chance hat, das System zu ändern. Diese Sachlage wird in Moskau mit Genugtuung registriert.

In Rußland besteht die Garde der Spitzenpolitiker aus alten Männern. Sie warten auf den Abgang des noch älteren Dissidenten Tito von der politischen Bühne. Die Durchsetzung ihres zweifellos vorhandenen Konzeptes, die Verwirklichung ihrer Vorstellungen, betreffend das Jugosla-

Wien der Zukunft, wird sie bald sehr in Anspruch nehmen. Sie haben keine Hoffnung, den um vieles jüngeren Ceausescu zu beerben. Gegenüber seiner Agilität und Sprunghaftigkeit mangelt es ihnen an Flexibilität. Alles deutet darauf hin, daß sie resignieren und es ihren Nachfolgern überlassen werden, mit dem Enfant terrible der kommunistischen Welt fertig zu werden.

Ceausescu besitzt außerdem eine Trumpfkarte, die er jedesmal hervorzieht, wenn der Kreml größere Botmäßigkeit der Rumänen fördert. Es ist die Erinnerung an die Provinz Bessarabien, die bei den Rumänen nationale Erbitterung und bei den Russen peinliche Gefühle und vielleicht sogar schlechtes Gewissen wachruft.

Das Gebiet zwischen Dnjestr und Pruth wurde der Sowjetunion 1940 von Hitler und Ribbentrop zugeschanzt. Das rKriegsziel der Rumänen im Zweiten Weltkrieg war die Rückgewinnung dieser Provinz, deren Fruchtbarkeit der Wirtschaft des Landes sehr zustatten gekommen wäre. Aber die Sowjets ließen nach dem Krieg über diese Frage nicht mit sich reden. Sie folgten gewissen Zwängen der politischen Geographie und der Tradition der Zaren, deren Expansionsbestrebungen mit Stoßrichtung auf die Meerengen bekannt sind. Mit der Erwerbung Bessarabiens ist Rußland Donaiuuferstaait geworden. Die wirtschaftspolitischen Vorteile, die sich daraus ergeben, liegen auf der Hand.

Schließlich fällt auch Ceausescus Reputation in zahlreichen überseeischen Gebieten in die Waagschale. Seine Staatsbesuche in vielen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gaben ihm Gelegenheit, als Apostel der Selbstbestimmung, Gleichwertigkeit der Nationen und Nichteinmischung aufzutreten. Die sowjetische Politik würde sich gerade in jenen Teilen der Welt, wo sie in schwerem Konkurrenzkampf gegen den chinesischen und, regional verschieden, auch gegen westlichen Einfluß steht, mit einer allzu schweren Hypothek belasten, wenn sie diesen Mann beseitigte.

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