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Bulgariens Gold zieht durch die Welt

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Wien, lange Jahre Stiefkind des internationalen Größausstcl- lungswesens. holt allmählich nach, was ein paar desinteressierte Bildungspolitiker Verabsäumt Haben: den Anschluß an die internationalen Wanderschauen zu bekommen und so in Wien das Klima für Kunstausstellungen durch systematische Informationsarbeit zu bereiten. Und nun, nach’der überaus erfolgreichen Präsentation archäologischer Schätze aus China, kommt eine ganze Reihe’bedeutender Ausstellungen: Thrakiens Goldschätze, seit 20. Jänner bereits im Museum für angewandte Kunst deponiert, werden soeben zur repräsentativen Monumentalschau zusammengestellt; Kunstschätze aus dem Ägypten des’Pharaos Echnaton kommen im März, ins Museum für Völkerkunde, und dort wird man auch voraussichtlich eine der schönsten Südamerika-Ausstellungen zeigen: das Inka-Gold aus Peru.

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Wien, lange Jahre Stiefkind des internationalen Größausstcl- lungswesens. holt allmählich nach, was ein paar desinteressierte Bildungspolitiker Verabsäumt Haben: den Anschluß an die internationalen Wanderschauen zu bekommen und so in Wien das Klima für Kunstausstellungen durch systematische Informationsarbeit zu bereiten. Und nun, nach’der überaus erfolgreichen Präsentation archäologischer Schätze aus China, kommt eine ganze Reihe’bedeutender Ausstellungen: Thrakiens Goldschätze, seit 20. Jänner bereits im Museum für angewandte Kunst deponiert, werden soeben zur repräsentativen Monumentalschau zusammengestellt; Kunstschätze aus dem Ägypten des’Pharaos Echnaton kommen im März, ins Museum für Völkerkunde, und dort wird man auch voraussichtlich eine der schönsten Südamerika-Ausstellungen zeigen: das Inka-Gold aus Peru.

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Thrakiens Goldschätze, legenden- umwoben seit den Tagen des römischen Weltreichs, unschätzbare antike Goldschmiede- und Silbertreibarbeiten, Grabbeigaben, Kriegs-, Prunk- und Kultgeräte, waren zuerst in Sofia, Paris, Moskau und Leningrad zu sehen, wo sie Hunderttausende begeisterten. Ab 3. März werden sie nun im Museum für angewandte Kunst gezeigt, um von da nach London, Rom und in die USA zu gehen: Ein Riesenschatz aus Bulgarien, mit über 1000 Objekten, größter als die China-Ausstellung und mit etwa einer Milliarde Schilling Wert nicht viel weniger kostbar als jene.

Was einen an den Kunstschätzen der Thraker vor allem in Staunen versetzt, ist’ die stilistische Verbindung von Orientalischem mit westlich-römischen Eigenheiten. Persische, skythische, griechische, römische Einflüsse wurden da von großartigen liandwerkern zu einer neuen Stileinheit umgesetzt…

Allerdings, bis vor kurzem war die Geschichte der Thraker, waren ihre iLebens- und Kulturformen, war ihre Gesellschaftsstruktur kaum bekannt. Man kannte sie lediglich aus den Schriften der antiken Autoren, von Homer, Xenophon, Herodot, Thuky- dides und Strabo, die immer wie der die Völker Thrakiens nennen, ihre Herrscher, ihre Sitten beschreiben. Doch die archäologischen Beweise dafür haben gefehlt. Erst die wertvollen Funde von Waffen, Münzen, Gefäßen und Skulpturen, schließlich die Freilegung einzelner Baudenkmäler erhellte die legenden- umwobene Geschichte: Wobei vor allem die Ausgrabungen von Välcitran, die zum Beispiel qualität- volle Gefäße aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. zutage förderten, die Funde von Panagjurište (erlesene Goldgefäße), und die Schätze von Letnica und Craiova (silberne Zierplatten und Gefäße aus dem 4. Jahrhundert v. Chr.) am meisten Aufschluß brachten über die Kultur der Thraker. Für Wien wurde übrigens als neueste Kostbarkeit eine Reihe von 30 Objekten hinzugefügt, Funde, die man erst im September 1974 in Varna entdeckt hat. Es sind einmalig schöne Goldobjekte, die man in einer Nekropole, einer über 5000 Jahre alten Friedhofsanlage, ausgraben konnte.

Aber woher stammen die Thraker? Waren sie ein auf dem Balkan alteingesessenes Volk, oder waren sie gleichzeitig mit den Skythen als eine zu diesen gehörige Gruppe aus Asien gekommen? Die Antwort darauf kann — indirekt — vorerst nur ein Faktum geben: Im 4. Jahrhundert v. Chr. waren in Thrakien die Kuppelgräber verbreitet, die völlig denen von Mykene in Griechenland und in der mykenischen Epoche des 2. Jahrtausends v. Chr. gleichen. Das Vorhandensein dieser Kuppelgräber wies — nach Meinung des russischen Historikers Rostowtzews — darauf hin, daß die Thraker sie von den alten Achäern übernommen hatten und demzufolge schon zur Zeit der mykenischen Kultur (1600 bis 1200 v. Chr.) die Balkanhalbinsel bewohnten. Für Rostowtzew sind sie ein Volk, das seit dem Paläolithikum dort ansässig war; das rätselhafte Auftreten von Kuppelgräbem im Thrakien des 5. und 4. Jahrhunderts läßt sich seiner Meinung nach nur durch vorauszusetzende ältere kulturelle Beziehungen erklären, wie sie z. B. die Karer in Kleinasien, bei denen sie auch früher anzutreffen sind, zur mykenischen Welt hatten, ebenso wie die Etrusker in Süditalien. Daß diese Kuppelgräber in Thrakien ein Jahrtausend später aufzutreten scheinen, wäre darauf zurückzuführen, daß wir nur ihren spätesten Vertretern begegnen (Ve- nedikov und Gerassimov).

Fest steht jedenfalls, daß die Thraker bereits sehr früh zahlreiche Balkanstädte gründeten — Sofia, Nesebar, Enos, Plovdiv, vermutlich auch das früheste Byzanz —; etwa im 5. Jahrhundert v. Chr. erreichten sie die Organisationsform eines größeren Staatsgebildes, das unter der Führung der „Priesterkönige“, dann der Odrysen stand. 436 v. Chr. drangen die Makedonier in Thrakien ein; 359 eroberte schließlich Philipp II. von Makedonien, der Vater Alexander des Großen, das Territorium. 46 v. Chr., also unter Cäsar, wurde Thrakien dem römischen Reich einverleibt, und in Hinkunft tauchen die Thraker vor allem als Rekruten der römischen Armee auf.

Die Geschichte der thrakischen Kunst ist vor allem von einer großen Wandlung beeinflußt worden: sie war in der persischen Expansion begründet, durch die die Thraker mit der Kunst und Kultur Persiens durch die Truppen des Dareios und Xerxes bekannt wurden, ja zeitweise dienten die Thraker sogar in den Heeren der Perserkönige, wo sie eine ihrer eigenen Kultur wesensmäßig verwandte Kunst vorfanden. Weniger Einfluß kam hingegen aus Griechenland: Zwar standen die

Thraker ständig in Kontakt mit griechischen Kolonien, wie Abdera oder Ainos, deren Waren sie zwar kauften, deren Kultur sie allerdings kaum annahmen.

Gravierendes Moment in der Geschichte Thrakiens waren, wie der Historiker Thukydides berichtet, schon die organisatorischen Schwächen des Staates der Priesterkönige, Schwächen, die während der Herrschaft der Odrysen ihren fatalen Höhepunkt erreichten. Die armen Bergbauern, die das Reich ursprünglich geschaffen und gestützt hatten, waren gegen Ende des 5. Jahrhunderts bereits reiche Großgrundbesitzer, Verwalter und Beamte, die das gesamte Land beherrschten. Das bedeutete einen Zerfall der odrysischen Macht, die das Territorium nicht mehr einigen konnte. Einer der Odrysenherrscher, wir müssen ihn etwa in der Position eines Statthalters sehen, wurde vertrieben, gewann sich aber ein griechisches Söldnerheer und eroberte damit weite Teile Thrakiens. Seit diesem Kriegszug blieb Thrakien in zwei Reiche geteilt, die einander in erbitterter Feindschaft aufrieben, um schließlich den Expansionsgelüsten der Makedonier zum Opfer zu fallen …

Viele dieser Entwicklungen aus der Geschichte Thrakiens kannte man nur aus den Schriften der griechischen Historiker. Erst durch die archäologischen Funde der letzten Jahrzehnte konnten die meisten Details dieser Schilderungen bewiesen werden. Aber noch stehen der bulgarischen Archäologie — wie übrigens den Archäologen fast aller Staaten Osteuropas — enorme Aufgaben bevor. Denn die alten thrakischen Siedlungen auszugraben, die Reste der Festungsanlagen etwa, ist wesentlich schwieriger als es die Ausgrabungen der Gräberfelder waren: Die alten Siedlungen liegen, das weiß man heute genau, tief unter den modernen Städten der östlichen Balkanhalbinsel. Freilich, allein schon die Schätze, die man in den leicht zugänglichen Grabhügeln gefunden hat, lassen die Frage auftauchen, * welche Kostbarkeiten sich wohl erst in den tiefer gelegenen Siedlungsresten finden lassen. Ja, die bisherigen Grabungsergebnisse zwingen geradezu, konsequent weiterzuarbeiten: So fand man unter anderem in einem Grabhügel bei Plovdiv Goldschmuck im Gesamtgewicht von 436 Gramm, im Kubov- Hügel etwa 1200 Gramm Goldschätze und im Schatz von Valčitran gar rund 12 Kilo Gold…

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