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Bulgariens Regierung der Sozialverantwortung

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Bulgarien ist dieser Tage gemeinsam mit seinem nördlichen Nachbarn Rumänien unter den Druck der internationalen Öffentlichkeit geraten: Unverfroren brechen serbische Donau-Tanker das Embargo. Die politische Führung - mit dem neuen Premier Ljuben Berow wurde knapp vor Ende 1992 eine schwere Regierungskrise beendet - ist bestrebt, das Land unter allen Umständen aus dem immer deutlicher ausufernden militärischen Balkan-Konflikt herauszuhalten.

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Bulgarien ist dieser Tage gemeinsam mit seinem nördlichen Nachbarn Rumänien unter den Druck der internationalen Öffentlichkeit geraten: Unverfroren brechen serbische Donau-Tanker das Embargo. Die politische Führung - mit dem neuen Premier Ljuben Berow wurde knapp vor Ende 1992 eine schwere Regierungskrise beendet - ist bestrebt, das Land unter allen Umständen aus dem immer deutlicher ausufernden militärischen Balkan-Konflikt herauszuhalten.

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Ljuben Berow hat gleich zu Beginn seiner Amtsübernahme sein Experten-Kabinett nicht nur als „Regierung der Privatisation”, sondern auch als „Regierung der sozialen Verantwortung” bezeichnet Und seine Arbeit unter das Motto „hoher Professionalismus” und „Nein zur Konfrontation” gestellt. Nach den Plänen seines Ministers für Industrialisierung, Rumen Bikow, der als einziger aus der früheren Regierung auf seinem Posten verblieb, sollen binnen Jahresfrist an die 100 Unternehmen mit Umsätzen bis zu zehn Millionen Lewa (etwa fünf Millionen Schilling) in private Hände gelangen.

Es gibt allerdings eine Reihe anderer schwerwiegender Probleme, die zu lösen sind: Die Arbeitslosenrate in Bulgarien liegt bei 13 Prozent, die galoppierende Inflation beträgt zwar nicht einmal die Hälfte der prophezeiten 200 Prozent, liegt aber trotz Gegenmaßnahmen immer noch bei etwa 80 Prozent. Da das Einkommen der Beamten, Pensionisten und Studenten real gesunken, die Kriminalitätsrate hingegen rasant gestiegen ist, zielte schon einer der ersten Regierungsbeschlüsse darauf ab, durch

Anhebung der Einkommen der Verelendung entgegenzuwirken.

Der Regierungskrise am Ende des Vorjahres war der Zerfall der stillen Koalition zwischen den zwei fast in jeder Beziehung ungleichen Partnern SDS (Union Demokratischer Kräfte) und DPS (Bewegung für Rechte und Freiheiten) vorangegangen. Die SDS war bis vorige Woche noch die größte, in sich aber zerstrittene Parlamentsfraktion. Sie besteht aus mehr als einem Dutzend Parteien und Grüpp-chen. Aufgrund interner Querelen gab die SDS ihre führende parlametari-sche Rolle auf und überließ sie den Ex-Kommunisten der BSP.

Düstere Schatten

Die vorwiegend von ethnischen Türken unterstützte, nach außen eher monolithisch auftretende „Bewegung für Rechte und Freiheiten” (DPS) fühlte sich nicht ausreichend ernst genommen und fand, daß ihre konkreten Forderungen nach Verbesserung der Situation der vernachlässigten notleidenden, zumeist landlosen und nunmehr auch arbeitslosen türkischstämmigen Bevölkerung unge-hört verhallten.

Als ein beträchtlicher Teil ihres Wählerpotentials aufgrund der tristen ökonomischen Lage keine Zukunft mehr für sich im Lande sah und den Weg in die Türkei einschlug, erreichte die Spannung zwischen den beiden ehemals treuen Verbündeten ihren Höhepunkt. Der Bruch zwischen SDS und DPS kam zuletzt zum Ausdruck, als nach fast einjähriger Regierungszeit Ende Oktober 1992 Filip Di-mitrowindervon ihm selbst gestellten Vertrauensfrage an der von vielen für unmöglich gehaltenen gemeinsamen Ablehnungsfront von ehemaligen Opfern (DPS) und Tätern (BSP/ Kommunisten) scheiterte.

Als die kleinste, nur 24 Abgeordnete zählende DPS an die Reihe kam, eine Persönlichkeit für das vakante Amt des Premiers vorzuschlagen, fiel ihre Wahl auf den 68jährigen Wirtschaftshistoriker Ljuben Berow. Bis dahin war dieser zwei Jahre lang persönlicher wirtschaftspolitischer Berater des Staatspräsidenten Schel-ju Schelew.

Berow erhielt im Parlament nicht nur die Stimmen der DPS- und des überwiegenden Teils der BSP-Abge-ordneten, sondern auch die Zustimmung von etwa zwei Dutzend Deputierten aus dem linken SDS-Lager -alles in allem 124 der 149 abgegebenen Stimmen.

Über der neuen Regierung lastet aber von Anfang an ein düsterer Schatte: am Vorabend der parlamentarischen Abstimmung über den neuen

Premier wurde in einer überraschenden Nacht- und Nebelaktion die erst vor wenigen Monaten gefällte Entscheidung des Parlaments über die Aufhebung der parlamentarischen Immunität des führenden BSP-Abge-ordneten und ex-kommunistischen Politikers Andrej Lukanow, mit den Stimmen von BSP und DPS revidiert. Lukanow war vor 1989 Außenhandelsminister und danach sogar Premier gewesen. Darauf folgte dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft. Dieser politische Schachzug wird allgemein für den inoffiziellen Preis gehalten, der seitens der BPS für die parlamentarische Unterstützung des DPS-Premiers und seiner Regierung gefordert wurde.

Politische Retourkutsche

Die politische Retourkutsche ließ jedoch nicht lange auf sich warten: Vor zwei Wochen wurde nach einer spannend verlaufenen zwölf stündigen Debatte der Forderung des Generalstaatsanwalts durch die Stimmen von SDS und DPS stattgegeben, die parlamentarische Immunität eines anderen BSP-Granden, des Ex-Chefideo logen der KP Bulgariens, Alexander Lilow, aufzuheben. Lilow wird derselbe Tatbestand wie Lukanow vorgeworfen. Er soll sich als ZK-Sekretär und Politbüro-Mitglied der seinerzeitigen BKP von 1981 bis 1983 der Veruntreuung von 250 Millionen Dollar aus dem bulgarischen Staatshaushalt schuldig gemacht haben.

Da die Auslieferung Lilows gegen den Willen der Ex-Kommunisten (BSP) geschah, muß die DPS-Regie-rung Berows nun fürchten, die parlamentarische Unterstützung der erzürnten „Sozialisten” zu verlieren. Das könnte auch den Sturz der neuen Regierung und in Folge die vorzeitige Ausschreibung von Parlamentswahlen bedeuten.

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