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Bundesgenosse Freimaurer?

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Die Begriffsverbindung „Jesuiten und Freimaurer” ziert nicht nur den Titel eines Buches des ehemaligen ungarischen Jesuitenpaters Töhötöm Nagy, der nach seiner Laisierung Freimaurer in Lateinamerika geworden ist, oder findet sich in fragender Umstellung „Sind Jesuiten Freimaurer?” auf der Broschüre über P. Hermann Gruber. Sie war eine durchaus ernsthaft diskutierte These im 18. Jahrhundert. Damals, als die Macht der Jesuiten an den europäischen Höfen und in den überseeischen Missionen einem schrecklichen Haß und einer ungeheuren Verfolgung zum Opfer fiel, hieß es, die Jesuiten hätten die Freimaurerei erfunden. Zumindest hätten sie kurz nach der Entstehung der spekulativen Freimaurerei sich ihrer bemächtigt, um das Haus Stuart in England wieder auf den Thron zu bringen und um den Katholizismus in Deutschland und Frankreich im Sinn der Gegenreformation zu stärken.

Die Jesuiten hätten die schottischen Hochgrade erfunden und mit ihrer Hilfe eine Umdeutung, eine Uminterpretation der drei englischen Grade Lehrling, Geselle und Meister zu bewirken gesucht.

Wie sich herausstellte, gehören diese Ansichten in das Reich der Legende; ihr tatsächlicher Kern war die Angst vor der missionarischen Erfindungsgabe, dem Eifer, der Beweglichkeit und der Monopolstellung der Jesuiten von damals.

Die Jesuiten wurden im 18. Jahrhundert als konservatives Element betrachtet. Sie versuchten im Zeitalter eines rapiden Dechristianisierungsprozesses den Kampf für die Rechtgläubigkeit zu führen. Sie waren daher in der Gegenposition zu den österreichischen Spätjansenisten, die die päpstliche Unfehlbarkeit und den päpstlichen Universalprimat bezweifelten; sie standen in der Kampflinie gegen die Freimaurer, deren System im Prozeß des religiösen Synkretismus entstanden war.

Tatsächlich gab es in Wien bis zur Aufhebung der Gesellschaft Jesu von 1773 nur drei Logen, erst nachher blühte das Logenleben auf. Innerhalb der Exjesuiten fanden auch verschiedene Klärungsprozesse statt; ein Teil blieb der alten Regel treu, ein anderer - damals moderner - Flügel befaßte sich mit weltlichen Wissenschaften, wieder andere wurden sehr weltlich und traten, wie verschiedene aufgeklärte Geistliche, den neu emporwachsenden Freimaurerlogen bei. In Frankreich bestanden vor der Französischen Revolution 629 Logen, in denen überall Geistliche aufgenommen waren.

Während in Wien unter Joseph II. die Freimaurerei zwar erlaubt, jedoch parallel zum josephinischen Klostersturm 1784 durch das Freimaurerpatent reguliert und schließlich zur Selbstauflösung veranlaßt wurde, brach über Frankreich die Französische Revolution herein. Der Einsturz der feudalen Welt und die Ströme von Blut und Grauen, die Liquidation von Kirchen und Klöstern war ein solches Ereignis, das von vielen als Gottesgericht über das philosophische 18. Jahrhundert erkannt wurde.

Unter diesen Erschütterten fand sich auch der ehemalige französische Jesuitenpater Augustin Barruel, der zwischen 1762 und 1773 auch in den österreichischen Erbländern arbeitete. Er betrachtete die Revolution von seinem englischen Exil aus und schrieb ein seelsorglich-politisches Werk „Memoires pour servir ä l’hi- stoire du jacobinisme”, das er 1797/98 in London verlegte. Seine Thesen beeinflußten sämtliche kirchlichen und monarchistischen Stellungnahmen des 19. Jahrhunderts zu dem Problem der Freimaurer. Sie werden auch heute noch von den Anhängern französischer oder deutscher Traditionalisten und von Erzbischof Lefebvre selbst vertreten.

Barruel meinte: die Enzyklopädisten (Voltaire, Rousseau, Diderot), II- luminaten und Freimaurer seien die dreifache Sekte der Sophisten. Um sich zu tarnen, hätten sie den Namen Jakobiner angenommen. Da sie in ihrer Geistigkeit aus den Quellen der Anarchie kämen, seien sie für dieses Gottesgericht der Französischen Revolution verantwortlich.

Barruels Thesen beeinflußten die Antifreimaurerenzyklika Gregor XVI., „Mirari vos”, den Syllabus Pius IX. und das Rundschreiben „Huma- num genus” Leos XIII. Damals, am Ende des 19. Jahrhunderts, spezialisierte sich der Tiroler Jesuitenpater Hermann Gruber auf die Bekämpfung der Freimaurer; seine 70 Freimaurerschriften sind Quellen der Antifreimaurerapologetik. Beim Studium der Freimaurerliteratur kam er immer mehr zu anderen Auffassungen, die schließlich in der Ära Papst Pius XI. um 1926 durchbrachen.

P. Gruber veröffentlichte in der Zeitschrift „Das Neue Reich” die Serie „Der Kampf gegen die Freimaurer im Lichte der jüngsten Kundgebungen Pius XI.”, wobei er die Freimaurerei auf weltanschaulicher Basis zum Gegenstand einer philosophischen Analyse machte. Er stellte die deistische Grundidee und das naturalistischhumanitäre Prinzip heraus und leitete den Entsatanisierungsprozeß der Freimaurer ein. Aus dieser publizistischen Tätigkeit kam es zu Korrespondenzen mit dem Freimaurer und philosophischen Schriftsteller Dr. Kurt Reichel und zu einer Artikelserie in der Wiener Freimaurerzeitung.

Ein Beginn des heute versuchten Dialogs war die Konferenz in Aachen 1928, an der Gruber, Reichel, Lennhoff und Ossian Lang (New York) teilnah- men. Damals wurde beschlossen, auf unsachliche, verleumderische und persönlich verletzende sowie läppische Kampfmittel in der geistigen Auseinandersetzung zu verzichten.

Als P. Gruber wenige Jahre später starb, übernahm die Weiterführung seines Anliegens P. Muckermann, der angesichts der sich ausweitenden Gottlosigkeit und des Bolschewismus zur Zusammenarbeit mit all jenen aufrief, die noch an die Werte der Humanität glauben. Dieser damals begonnene Dialog wurde nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgenommen und durch das ausgezeichnete wissenschaftliche Buch des holländischen Jesuitenpaters Michael Dierickx „Freimaurerei, die große Unbekannte” auf eine Grundlage gebracht, von der aus vor einigen Jahren die differenzierten römischen Entscheidungen über die Einschränkung der Exkommunikation von Freimaurern auf qualifizierte Fälle getroffen wurden.

Der Geist von Augustin Barruel ist aber noch immer wirksam, die Legendenbildung hat sich jedoch umorientiert: verschiedene Traditionalisten behaupten, der Papst, die Bischöfe, große Teile der Kurie seien dem Freimaurerbund beigetreten und sie hätten die gesamte Kirche auf dem Konzil in die Häresie geführt. Nachdem die Kirche nun die Postulate der Französischen Revolution nicht mehr ablehnt, wird sie mit ihr und ihren angeblichen Urhebern, den Freimaurern, identifiziert. .

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