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Bunt raus und Grau rein ?

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Mitte April 1985 will die ÖVP ein sogenanntes Zukunftsmanifest beschließen. Über seine grundsätzliche Zielrichtung darf bis dahin noch -ausführlich diskutiert werden.

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Mitte April 1985 will die ÖVP ein sogenanntes Zukunftsmanifest beschließen. Über seine grundsätzliche Zielrichtung darf bis dahin noch -ausführlich diskutiert werden.

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„Politik und Lebensgefühl müssen in einer Demokratie immer wieder in Einklang gebracht werden." Schon der erste Satz des Zukunftsmanifestes der ÖVP signalisiert Anspruchsvolles — zeigt er doch ein Dilemma traditioneller Politik auf.

Während es sich längst bis zum letzten politischen Hinterbänkler herumgesprochen hat, daß seine Profession in der Gunst der Bevölkerung eine beachtliche Talfahrt mitmacht, hat offenbar noch niemand einen Ausweg aus dieser demokratischen Sackgasse gefunden. Traditionelle Politik scheint ratlos gegenüber diesem Phänomen.

Lebensgefühl ist auch keine Kategorie, die den etablierten Parteien jemals Kopfzerbrechen bereiten mußte, solange sie sich auf halbwegs stabile Stammwählerpotentiale stützen konnten, die „großen" Ziele der Politik auf breiteste Zustimmung stießen.

Zum politischen Problem wurde es erst mit dem Auftreten grüner Bewegungen. Sie signalisierten einen Wertewandel, der sensible Politiker aufhorchen ließ — im großen und ganzen den politischen Routinebetrieb aber nicht veränderte.

Das Ergebnis: Eine zunehmende Diskrepanz zwischen politischen Machern und vertretenen Bürgern. Die repräsentative Demokratie ist an eine Grenze gestoßen, Konflikte am Ende der 2. Republik nähern sich wieder dem Ober-Untertanen-Schema.

Politik interessiere Menschen nur dort, wo sie in ihre konkreten Lebensbeziehungen eingreife, wo sie hautnah am eigenen Leib verspürt werde, ist eine These, die den Rückzug der Bürger aus der großen Politik zu erklären versucht, während Bürgerbeteiligung in den kleinen Lebensbereichen Gemeindepolitiker oftmals schon vor unlösbare Probleme stellt.

Politik ist nicht mehr das, was sie einmal war, ist der ratlose Kommentar freudlos gewordener Bezirkskaiser, die, aus Gemeindestube und Sitzungszimmer herausgeholt, sich neuem Lebensgefühl stellen müssen.

Die Politik muß dem Bürger auf den neuen Wegen folgen, ihn in seiner Betroffenheit aufspüren, sagt das Zukunftsmanifest. Sie muß die Begegnung mit ihm neu organisieren, ihn als Partner akzeptieren.

Nur mit ihm gemeinsam könnten die wichtigen Zukunftsfragen angegangen werden, eine Kurskorrektur in Richtung humanen Fortschritts vorgenommen, ein neues Verhältnis zur Natur gefunden werden.

Die Wirtschaft von morgen, kreativer Alltag, soziales Wohlbefinden, die neue Freiheit, lebendige Demokratie und Österreich in uns sind weitere Themen, zu denen ein Kreis von Vordenkern der ÖVP vorgedacht hat.

Sich aber keineswegs überall verständlich machen konnte. Po-littechnokraten und gestandene Praktiker hängen an der Notbremse. Das Zukunftsmanifest gehöre ergänzt, programmatisch erweitert, formulieren die einen.

Eine Gegenbewegung hat sich gebildet, die das Manifest auf „ordentliche" Beine stellen will, meinen realistischerweise die anderen.

Jedenfalls: Weite Politikbereiche seien nicht erwähnt, und mit bunten Gedanken könne man keine Wahl gewinnen.

Also habe man sich hinzusetzen und das Manifest zu bearbeiten, bis es den herkömmlichen Vorstellungen eines Parteiprogramms — oder noch besser, einer Wahlplattform entspricht.

Man kann es aber auch anders sehen: Es besteht die Gefahr, daß der Weg durch die Parteimühlen aus dem Zukunftsmanifest Bunt raus und Grau reinzwingt.

Nach dem Salzburger Programm, den „Plänen zur Lebensqualität" und diversen „Modellen" hätte die ÖVP wieder ein Papier zum Herzeigen, die Denker könnten sich bis zum nächsten Mal zurücklehnen, die Pragmatiker das Papier zur Legitimation in ihrem Schreibtisch ablegen. An der Politik würde sich nichts Grundlegendes ändern.

Eine weitere Chance, darüber nachzudenken, was eigentlich alles Politik sei, wie die tendenzielle Verkürzung der Politik in Richtung Krisenmanagement gestoppt werden kann, wäre vertan.

Der Nachweis, daß politisches Engagement etwas mit gelebten Wertvorstellungen zu tun hat, wird weiterhin den neuen politischen Bewegungen vorbehalten bleiben.

Der „Zukunftskongreß", den sich die ÖVP im Frühjahr 1985 verordnet hat, wird jedenfalls auf die eigene Zukunft reflektieren.

Denn eine Partei, die den Ubergang in die dritte Republik unbeschadet überstehen will, muß ihre Praxis ändern. Sich auf Papiere berufen, mag in den Siebzigern noch ausreichend gewesen sein, für die neunziger Jahre bieten sie keine Gewähr.

Gesellschaftspolitisch manövrierfähig wird eine Partei nur dann sein, wenn es ihr gelingt, ihre Positionen in einen neu zu findenden gesellschaftlichen Grundkonsens- einzubringen.

Voraussetzung dazu ist allerdings, die Schnittstelle zwischen Bürger und Partei neu zu gestalten und mit dem Bürger Zielrichtungen zu formulieren, die für ihn als sinnvoll, weil in seinem Lebensgefühl verankert, erlebt werden.

Einen Anstoß dazu versucht das Zukunftsmanifest zu geben. Die Zielrichtung kann denn auch nicht in Selbstdarstellung und ausformulierten Programmpunkten liegen, sondern bei aller Buntheit und Unausgewogenheit eine Einladung zur Diskussion und zur Mitgestaltung an einer lebenswerten Umwelt über den nächsten Wahltag hinaus darstellen.

Eine Einladung auch an Parteimitarbeiter, den politischen Wald zu suchen und nicht an sauren Bäumen zu verzweifeln. Anhand der destillierten Fragen für die Gemeindearbeit den Weg zu den Bürgern wiederzufinden.

Ein Einwand wäre aber sicherlich richtig, wenn er nicht ins Leere gehen würde: Ohne die großen alten Themen der Politik wird es auch in Zukunft nicht gehen. Keine Partei kann sich Antworten in traditionellen Politikfeldern ersparen.

Aber staatstragend kann man wohl nur sein, wenn man das Fundament unter den Füßen nicht verliert. Und das ist in den letzten Jahren ja unzweifelhaft brüchig geworden.

Der Autor ist Chefredakteur der „Acade-mia" und Mitautor des OVP-Zukunftsmani-fests.

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