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Busineß statt Wodka

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Glasnost und Perestrojka sorgen schon seit einigen Jahren für Hoffnung und Aufregung innerhalb des gesamten Ostblocks und im übrigen Teil der Welt. Die geradezu revolutionär anmutenden Reformversuche Michail Gorbatschows muntern zahlreiche Firmen im Westen auf, sich intensiver um Geschäftsbeziehungen mit dem Osten zu bemühen.

Finnland, geographisch wie politisch eng an den übergroßen Nachbarn gebunden, bekommt die Umbruchsituation in der Sowjetunion besonders deutlich zu spüren. Die neue Politik des Kremlherrn beschert den Wirt-schaftätreibenden nämlich nicht nur Positives, sondern auch Negatives.

„Es ist schwierig geworden, jemanden in der Sowjetunion zu fin-

den, der klare Kompetenzen hat und Verantwortung übernimmt; der Ja oder Nein sagen kann“, schildert Juhani Pohjolainen, leitender Präsident einer führenden Zellstoff- und Papierfabrik, seine jüngsten Erfahrungen mit sowjetischen Geschäftspartnern amerikanischen Wirtschaftsfachleuten. Der finnische Industrielle weiß, wovon er spricht. Betreibt doch seine Firma seit rund hundert Jahren schon intensiven Handel mit dem östlichen Nachbarn.

Das wahre Problem an der derzeitigen Situation ist, vermutet Pohjolainen, daß die sowjetischen Funktionäre durch Perestrojka völlig verunsichert sind. Sie wissen jetzt eigentlich nicht genau, wie weit sie bei Verhandlungen gehen dürfen, wo ihre Grenzen liegen.

Vor Gorbatschow spielten sich nämlich west-östliche Wirtschaftsverhandlungen nach einem jahrzehntelang eingespielten Ritual ab. Nach russischer Manier floß dabei stets reichlich Wodka, wodurch beide Seiten bei langwierigen Verhandlungen wesentlich rascher handelseinig wurden.

Die finnischen Politiker und Handelsdelegierten konnten so im Laufe der Zeit ein intensives Netz an Beziehimgen und auch persönlichen Freundschaften bis in die unteren Funktionärsebenen knüpfen. Der Umgang mit dem schwerfälligen Beamtenapparat des sowjetischen Außenhandels-ministeriums wurde so wesentlich erleichtert.

,J»erestrojka hat ims da echte Probleme beschert“, klagt auch Kari Airaksinen, Chef der Wartsila Marine Co., Finnlands größter Schiffshersteller. Ein Viertel seiner Produkte geht auf den sowjetischen Markt. Besonders schlimm trifft es seiner Ansicht nach jene Firmen, die sich auf Ostexporte spezialisiert haben.

Sie sehen sogar ihre langfristigen Aufträge gefährdet.

Seit Ende der vierziger Jahre bestimmt ein enger Freundschafts- und Handelsvertrag das wirtschaftliche Verhältnis beider Länder. Zum Erstaunen der Weltöffentlichkeit konnte sich aber das finnische, knapp fünf Millionen zählende Volk gegenüber der übermächtigen Sowjetunion behaupten und allem Gerede über eine „Finnlandisierung“ Lügen strafen.

Da die Sowjetunion kaum andere hochwertige und attraktive industrielle Erzeugnisse anzubieten hat, beschränkt sich der Importanteil der Finnen zu 90 Prozent auf Erdöl, während das Land seinerseits eine Position als hochentwickeltes, westlich-orientiertes Industrieland weiter ausbauen konnte. Weil der finmsch-sowje-tische Handelsvertrag auf Dollarkurs und ölpreis basiert, bedeuten fallende ölpreise und ein sinkender Dollarkurs auch einen Rückgang dieser Wirtschaftsbeziehungen. So rutschte der finnische Exportanteil in die Sowjetunion seit 1983 von 26 Prozent auf nunmehr 14 Prozent im vergangenen Jahr.

Wirtschaftskontakte mit dem westlichen Ausland waren in der Sowjetunion seit jeher streng getrennt von innersowjetischen Angelegenheiten. Daher waren bei Verhandlungen mit ausländischen Geschäftspartnern nur selten Funktionäre aus der Provinz vertreten: Die Letztentscheidung blieb stets der Zentrale in Moskau vorbehalten.

Mit Gorbatschow kam aber eine radikale Andenmg. Dezentralisierung heißt nun die Devise. Selbst Vertreter kleinerer Wirtschafts- und Industriekombinate aus der entfernten Provinz sollen nun von sich aus Kontakte mit ausländischen Geschäftspartnern aufnehmen. Neue Formen der wirtschaftlichen Kooperation wie Joint Ventures sollen erprobt werden. Nicht zuletzt erhofft sich Moskau dadurch verstärkten Zugang zu westlicher Technologie, harte Devisen und auch eine bessere Versorgimg mit Konsum-imd Industriegütern.

Nutznießer des regelrechten

Booms an Moskaureisenden ist nicht zuletzt die finnische Luftfahrtgesellschaft „Finnair“. Die täglichen Flüge nach Moskau und Leningrad sind seit langem mit Wirtschaftsleuten aus dem Westen ausgebucht. Tallinn, die Hauptstadt der Sowjetrepublik Estland, steht als nächstes Anflugsziel schon auf der Wunschliste von „Finnair“.

Um das verlorene Terrain wieder wettzumachen, zeigen sich fixmische Wirtschaftsstrategen jedenfalls nicht einfallslos: Mit konkurrenzfähigen Hochtechnologie-Produkten beweisen sie, daß mit ihnen auch auf dem Binnenmarkt der EG in Zukunft zu rechnen sein wird.

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