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Cadillacs für die Baschkiren
Rom und Byzanz reizten ihre Provinzen durch fiskalische Ausplünderungen zu Revolten. Steht Moskau, das „dritten Rom", vor einem ähnlichen Schicksal? Die Lage spitzt sich jedenfalls zu.
Rom und Byzanz reizten ihre Provinzen durch fiskalische Ausplünderungen zu Revolten. Steht Moskau, das „dritten Rom", vor einem ähnlichen Schicksal? Die Lage spitzt sich jedenfalls zu.
Als Gorbatschow Mitte Jänner in Vilnius gegen die Abspaltung Litauens agitierte, stieß er auf eisige Ablehnung. Gerade jetzt, wo man in Westeuropa einen gemeinsamen Markt errichten wolle, drohe der einheitliche Wirtschaftsraum der UdSSR zu zerfallen, grämte sich der Kremlchef. Daß aber Litauen für den Hafen in Memel keine Kopeke bekäme, davon wollte er allerdings nichts hören.
Stellvertretend für andere geißelte der Parteisekretär des Koly-mer Goldreviers in einer Reportage der „Moskauer Nachrichten" die zentrale Wirtschaftsführung: „Alle Ministerien und alle Hauptverwaltungen sitzen in Moskau. Alles wird geschluckt, als säße da ein unersättlicher Moloch!" Die Goldsucher in Kolyma erhalten für ein Gramm Gold sechs Rubel, der Staat verkauft das Gramm für 50 Rubel weiter. Diese Gewinnspanne beflügelt die Phantasien. Kein Wunder, daß die Sibirer, großteils Russen, mit dem Rechenstift in der Hand über eine Abspaltung von der Moskauer Zentralgewalt sinnieren. In Sibirien lagern vier Fünftel der Erdgas- und Kohlereserven und drei Viertel der Holz- und Wasserkraftreserven der Union. Aber außer Extraktion und Abtransport der Naturschätze tut sich nichts. Die zentrale Wirtschaftsbehörde findet es zu mühsam, an Ort und Stelle weiterverarbeitende Industrien aufzubauen. Dafür müssen die Fertigprodukte unter erheblichem Aufwand Tausende Kilometer retour gekarrt werden. Der Baum wird hier geschlägert, der Tisch wird in Tallinn gezimmert. Und der Groll steigt.
Lage und Stimmung sind in den anderen Teilen des Imperiums nicht viel anders. In den südlichen Republiken sieht es besonders trist aus. So hat sich in Usbekistan zwar die Bevölkerung seit 1960 mehr als verdoppelt, die zugewiesenen Haushaltsmittel blieben aber gleich. Von 17 Millionen Usbeken sind 2,5 Millionen arbeitslos. Der Lebensstandard erreicht nur die Hälfte des Unionsstandards - und der ist schon erbärmlich genug. Die Überdüngung der riesigen Baumwollfelder hat die Toxizität des Trinkwassers derart erhöht, daß elf von 100 Säuglingen sterben. Die Baumwolle aber wird zu niedrigsten Preisen nach Rußland zwangsausgeführt. Textilien sind in Usbekistan selbst knapp. In den anderen „Baumwollrepubliken" ist die Lage auch so.
Aserbeidschan produziert Güter im Wert von 50 Milliarden Rubel, Moskau reinvestiert davon nur vier Milliarden. Der Ökonom Achmed Ismailow kritisiert die Einseitigkeiten: Baumwolle, in Aserbeidschan produziert, würde in den Spinnereien Zentralrußlands auf das Zehnfache ihres Wertes gesteigert. Die Rohstoffe für die Textilindustrie werden zu 90 Prozent im Süden produziert, aber zum selben Prozentsatz im Norden weiterverarbeitet. Die Zentrale läßt alle Investitionsmittel für Betriebsgründungen in russische Erde fließen, die islamischen Regionen erhalten nur kärgliche acht Prozent zugeteilt.
Solange man an Moskaus Gängelband zappelt, kann sich die regionale Wirtschaft nicht entfalten. Wirtschaftsdaten sind für militante Nationalisten allerdings längst zum ABC der Agitation geworden. Simplifikationen sind da gang und gäbe: Würde die Baschkirische Republik - ein wichtiger Erdölproduzent - unabhängig werden und der OPEC beitreten, würde der ganze Erlös vom Verkauf des Erdöls in die republikseigenen Taschen fließen. Statt Baracken, Wolkenkratzer in Ufa! Jedem Baschkiren ein amerikanischer Straßenkreuzer!
Entschiedene Nationalisten finden immer ein Haar in der Suppe: Wird investiert, so nur deshalb, um Bewohner und Ressourcen besser ausbeuten zu können. Wird wenig investiert, so will Moskau die Region aushungern. Liegt das ProKopf-Einkommen über dem Unionsdurchschnitt, so fühlt man den Verband gleich als Klotz am Bein, siehe Baltikum. Liegt das Pro-Kopf-Einkommen unter dem Unionsdurchschnitt, gilt russischer Chauvinismus als Wurzel allen Übels.
Die Russen sind natürlich erbost über derartige Unterstellungen: Hat man nicht den islamischen Völkern erst den Eintritt in die Moderne gebracht? Nun sieht man sich plötzlich mit dem „Gesetz der kolonia-len Undankbarkeit" konfrontiert. Der sowjetische Wirtschaftsexperte Wladimir Kwint meint, daß nur Rußland, die Ukraine und Weißrußland wirtschaftlich unabhängig existieren könnten: So kämen etwa 91 Prozent des Erdöls aus russischem Gebiet. Schon eine Verringerung der sibirischen Energielieferungen an Estland um 25 Prozent würde die dortige Produktion um 40 Prozent reduzieren. Das sibirische Erdöl kostet obendrein nur einen Bruchteil des OPEC-Preises, nämlich sechs Dollar pro Faß. Der niedrige Preis und die hohen Erschließungskosten der Öllager in der eisigen Tundra machen das Ganze zu einem Verlustgeschäft für Rußland. Demgegenüber zahlen die anderen Sowjetrepubliken für Produkte aus dem Baltikum Preise, die oft das Zehnfache des Weltmarktpreises betragen.
Es liegt auf der Hand, daß die Monopolstellung der einzelnen Teilrepubliken in bestimmten Produktionsbereichen bei nationalistischen Spannungen via Wirtschaftsblockaden zum Funken im Pulverfaß mutieren könnten.Wer da nun wirklich wem zu Dankbarkeit verpflichtet ist, läßt sich schwer feststellen. Die sowjetische Wirtschaftsstatistik ist auch in Zeitenvon Glasnost ein Werk von Orakelsprüchen: Die Betriebe „frisieren" nach wie vor ihre Berechnungen, um höhere Prämien kassieren zu können. Viele Kredite werden nur auf dem Papier vergeben. Eine vernünftige Preisbildung wird durch Subventionen verhindert. So läßt sich auch nicht feststellen, wer zu den „Geberrepubliken" und wer zu den „Nehmerrepubliken" gehört. Experten des Kölner Instituts für Ostforschung sind sich einig, daß die Sorge um „Verteilungsgerechtigkeit" bezüglich der Nationalitätenproblematik eine „Hauptrolle" spielt. Allerdings, so das Kölner Institut, fehlten objektive Daten über Leistungstransfer und Budgetbeziehungen zwischen den verschiedenen Teilrepubliken. Deshalb sei es schwierig festzustellen, welche Regionen mittels der „ökonomischen Balance des Internationalismus" zu kurz kommen und welche ungerechtfertigt Vorteile erlangen. Jede Unausgewogenheit verwandle sich aber in „nationale Ungerechtigkeitskomplexe" .
Wie auch immer man die Berechnungen „wer wen ernährt" anstellen mag, die subjektive Betroffenheit überlagert alles. „Eine wirtschaftliche Abkapselung der Teilrepubliken würde zu drastischem Absinken der Produktivität führen", warnt der Wirtschaftsjournalist Michail Pogossow. Aber Warnungen aus „russischem" Munde wollen die Nationalitäten nicht mehr entgegennehmen.
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