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Canettis Dritter

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Das Erzählen der eigenen Lebensgeschichte ist üblich geworden, aber die autobiographische Trilogie von Elias Canetti stellt etwas anderes vor. Sie ist zwar authentisch, hält jedoch Satz für Satz das höchste Niveau zeitgenössischer Prosa durch. Nicht bloß um Faktenreportage geht es, sondern mit aller literarischer Kraft um den Entwicklungsroman eines von Geburt an ungewöhnlichen Menschen: Immer ist es der Vortrag, was an dieser Prosa fesselt, wiewohl die Umstände abenteuerlich genug wären, Interesse zu wecken.

Im Ganzen: Der ehrgeizige Sohn einer ehrgeizigen Mutter beschreibt den schwierigen Weg seiner Emanzipation. Sinnvoll der Titel der drei Bände: „Die gerettete Zunge”. Er gibt der mehrsprachigen Kindheit beredten Ausdruck, „Die Fackel im Ohr” erklärt, wie aus dem Erlebnis Karl Kraus das Sprachgehör des jungen Canetti so empfindlich wird, daß der Tonfall des nie verleugneten Lehrers schließlich die Empfindlichkeit stört. „Das Augenspiel” bezieht sich zwar auf das Verhalten der Tochter Gustav Mahlers, wird jedoch zum Erlebnisanstoß, alles mit kritischen Augen zu sehen.

Die Prominenz kommt hier zur Sprache, zur Sprache Canettis. In dem aufschlußreichen Kompendium schließt er mit artistischem Elan auf, was sonst in Klischees verpackt geboten wird. Noch in der Karikatur porträtgetreu zeichnet Canetti alles aus der Perspektive seines persönlichen „Augenspiels”. Ein Meisterwerk.

DAS AUGENSPIEL. Von Elias Canetti. Carl Hanser Verlag, München 1985. 355 Seiten, geb., öS 310,50.

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