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Cannes läßt sich die Show nicht stehlen

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War es im vorigen Jahr eine mit Zelluloid belegte Semmel, die als Symbol für die 27. Berlinale warb, so grüßt heuer eine buntgestrickte Pudelmütze, wie man hier im Norden sagt, von Plakaten und Dokumentationen. Gleichsam als Signum für die winterlich-frostige Atmosphäre an der Spree. Folge einer Terminvorverlegung, mit welcher der junge, neue Festival-Boß Wolf Donner und der Berliner Senat glauben, den nachfolgenden Festivals, allen voran Cannes, den Rang ablaufen zu können.

Das ist aber offenbar danebengegangen, denn die Franzosen und auch die Amerikaner halten ihre filmischen Knüller anscheinend für den Filmreigen an der Cöte d'Azur im Frühling zurück. Was bisher hier in Berlin geboten wurde - 21 Filme aus 24 Ländern nehmen teil -, ist eher mager; abseits der Konkurrenz, in der Marlene-Dietrich-Retrospektive, beschert allerdings das österreichische Filmarchiv den Filmhistorikern eine besondere Delikatesse. Nämlich eine - allerdings unvollständige - Kopie des verschollenen Stummfilms „Cafe Elektric“ mit Marlene Dietrich und Willi Forst, der 1927 von der Sascha-Film AG gedreht wurde, bei dem es sich um die letzte Produktion handelt, die Sascha Ko-lowrat noch selbst geplant hat, bei dem ein Sohn von Gustav Klimt (Gustav Ucicky) hinter der Kamera stand - und den Marlene Dietrich später verleugnete, als sie den „Blauen Engel“ als ihren ersten Film bezeichnete. Eine Kopie des Films (leider fehlt der letzte Teil) wurde in Moskau aufgespürt.

Als Auftakt des zwölftägigen Marathonlaufes durch fast ein halbes Tausend Filme - wenn man die Vorführungen des Internationalen Forums des jungen Films, die Marlene-Dietrich-Retrospektive, die Informationsschau und die allein mit über 200 Streifen beschickte Filmmesse dazurech-net - gab es den amerikanischen Film „Premiere“ (Opening Night), in dem John Cassavetes als Regisseur und Schauspieler zusammen mit seiner schauspielerisch hervorragenden Gattin Gena Rowlands die von Neurosen und Hysterien gekennzeichnete Krise eines alternden Broadwaystars in eindrucksvollen Großaufnahmen über zwei Stunden zelebriert und seziert. Daß man neuerdings auch im Ostblock den eher kranken und gestrauchelten Existenzen am Rande der menschlichen Gesellschaft psychologisches und filmisches Augenmerk zuwendet, versuchten Beiträge aus Jugoslawien und Bulgarien nicht ganz überzeugend und mit zuweilen verwirrender Simplizität zu demonstrieren. So zeigt der Jugoslawe Goran Paskaljevic in seinem zweiten Spielfilm „Der Hund, der die Züge liebt“ als einen wahren Alptraum das Schicksal von drei ausgehöhlten Randexistenzen der jugoslawischen Gesellschaft, ein Mädchen, einen heruntergekommenen Stuntman und einen Burschen, der auf einem Motorrad mit Beiwagen durch die Lande fährt, um seinen ihm während der Kindheit entlaufenen Hund zu suchen. Ein sehr realistischer, harter Film über nicht erfüllte menschliche Träume. In „Der Vorteil“ wagt sich der Bulgare Georgi Djulgerov mit unverdauten westlichen Stilmitteln (Rückblenden, Visionen und realen Recherchen) an die seelische Durchleuchtung eines Königs der Taschendiebe und versierten Herzensbrechers. Ein für den Betrachter mühseliges und verwirrendes Unterfangen, an dessen Ende er aber über den balkanischen Taugenichts ebensowenig weiß wie am Anfang.

Ähnlich konstruiert und voller Un-glaubwürdigkeiten präsentiert sich auch der mit ultralinken Einsprengseln zur Terroristenszene angereicherte Film „Ein Kapitel Liebe“ von Maurice Rabinowicz, dem auch die Mitwirkung von Geraldine Chaplin wenig Attraktivität geben kann. Um Außenseiter, wenn auch witzig, frech und doch irgendwie liebenswert interpretiert, dreht es sich ferner bei dem kanadischen Beitrag „Ausgeflippt“ von Richard Benner, der eine schizophrene Schriftstellerin und einen munteren Transvestiten zusammenspannt und am Ende doch zu einem gewissen Glücksgefühl der Zusammengehörigkeit kommen läßt. Ein Reinfall ersten Ranges hingegen war „Rheingold“ von Nikiaus Schilling, der einfach am schauspielerischen An-titalent seiner Produzentin und Hauptdarstellerin Elke Haltaufder-heide scheiterte.

Pubertäre Jugendprobleme waren ein weiteres Anliegen im hypertrophen Angebot der Winter-Berlinale, die mehr Einkäufer gesehen haben soll als in den vergangenen Jahren. Handelten die Israeli das Thema in „Eskimo Limon“ mit amüsiert schmunzelnder Sentimentalität und viel Musik von Elvis Presley bis Pat Boone in den Hits der sechziger Jahre ab, so machte der Hamburger Hark Böhm in „Moritz, lieber Moritz“ daraus eine bitterernste, an die Grenze büdlicher Perversion reichende, vielfach schockierende Auseinandersetzung zwischen den Generationen. Ein Fünfzehnjähriger erlebt den Niedergang seines großbürgerlichen Elternhauses, in dem er seiner Großmutter mit eingeschmuggelten Schlaftabletten Sterbehilfe leistet, um schließlich in einer Rocker-Band Halt zu suchen.

Auf ultralinke Unterwanderung deutete alarmierend in zweieinviertel Stunden eine von neun mehr oder minderjungen Fümemachern, unter ihnen Volker Schlöndorff, Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Edgar Reitz, inszenierte filmische Bestandsaufnahme der politischen Szene „Deutschland im Herbst“ hin. In einer Mischung aus authentischem Doku-mentarmaterial und manipulierenden Spielszenen wird nach einem Drehbuch von Heinrich Boll und Peter Sternbach der Terrorismus in einer Weise dargestellt, die auf Entschuldigung, wenn nicht gar Glorifizierung hinausläuft

Österreich war mit dem in Koproduktion mit dem polnischen Fernsehen entstandenen Kurzfilm „Todesfuge“ nach dem Gedicht von Paul Celan vertreten, in dem Adolf Opel an die Schrecken der Konzentrationslager erinnert.

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