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Canossagang des Kardinals

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Großmama schien die Kunde vom Besuch des Kardinals bei Hitler kaum wahrgenommen zu haben. Sie zog sich in diesen Tagen noch mehr als sonst in ihr empfindsames Innere zurück und schloß sich dort ein, wo das arme Herz ihrer Traurigkeit schlug. Sie sprach noch weniger als sonst und schien auch kaum zuzuhören, wenn man ihr etwas sagte...

Uber den Canossagang Kardinal Innitzers verbreiteten sich alsbald allerlei Gerüchte. Die Menge auf der Ringstraße, die unermüdlich zu den Fenstern des Hotels Imperial, hinter denen ihr

„Führer" Hof hielt, hinaufbrüllte („Wir wollen unseren Führer sehen!"; „Lieber Führer, sei so nett und zeige dich am Fensterbrett." „Führer befiehl, wir folgen dir!"), soll in wilde Pfuirufe ausgebrochen sein, als sie des Kardinals ansichtig wurde.

Einige Leute sollen sogar die Absperrungen der SS durchbrochen und den Kardinal angespuckt haben, nachdem er mit seinem Sekretär Weinbacher und dem Kaplan Johann Jauner, Ritter v. Schroffnegg (Elferdragoner) seinem schönen schwarzen „Graf & Stift" entstiegen war und auf das Hotelportal zuschritt.

Sieben Jahre später — die schwere Trauerzeit ging ihrem Ende zu — erzählte mir der Kardinal von seinem Erlebnis in dem hohen hellen Haus am Ring, zu dem ich bei den Fahrten mit der

Großmama nach Schwechat so gerne hinaufsah.

Wir saßen beim runden Tisch in seinem Empfangszimmer. Die Glasscheiben der in der Wand eingebauten Bücherkästen waren zum Teil noch mit sogenanntem „Naturpapier" ersetzt. Die Hitlerjugend hatte sie alle am 8. Oktober 1938 eingeschlagen. Hier erzählte mir der Kardinal seine Geschichte vom Hotel Imperial...

Es ist die Geschichte vom Kardinal, der das Zimmer des „Führers" betritt, die Hand zum „deutschen Gruß" hebt und dem der „Führer" die Hand mit sanfter Gewalt herunterdrückt: „Lassen Sie den Schwindel, Eminenz", soll der „Führer" dabei gesagt haben. So zumindest sagte es mir der Kardinal, und er setzte hinzu: „Und das hab* ich notwendig gehabt ..."

Kardinal Innitzer erklärte mir in unserem Gespräch nochmals mit aller Unbefangenheit und ohne Ausflucht sein umstrittenes Verhalten im Unglücksmärz 1938:

Es mußte ein „modus vivendi"

gefunden werden: nicht nur um kirchliche Einrichtungen zu retten, sondern auch, um bedrängten Menschen zu helfen. Die wandten sich immer an den Kardinal. Und er wollte helfen, mußte helfen: aus seiner innersten Natur heraus.

Da war ihm, dem Mann der Spontaneität, manches recht, was andere, kühlere Naturen, überle-gendere — nicht überlegenere — Geister nicht getan hätten: einfach weil das Helfenwollen, das Helfenmüssen nicht den Primat ihres Lebens ausmacht.

Uber die Begegnung zwischen Kardinal Innitzer und Adolf Hitler gibt es die verschiedensten Darstellungen: offiziöse, wenn auch keine einzige „offizielle". Meine Geschichte, die der Kardinal mir selbst geschenkt hat, damit ich sie aufbewahre und vielleicht auch weitergebe, will nur Zeugnis sein: Zeugnis für ihn, der in seinem Leben so viele Opfer für andere gebracht hat.

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