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Carillo bereitet Berlinguer Sorgen und wenig Freude

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Die Hauptdarsteller der Kommunistischen Parteien Italiens, Spaniens und Frankreichs werden nicht müde, der Welt zu versichern, daß der Eurokommunismus keineswegs tot sei, vielmehr eine ernstzunehmende politische Bewegung innerhalb des Welt- kommunismus darstelle. Kaum nach Rom zurückgekehrt, hielt es KP-Chef Berlinguer sich und den in Moskau versammelten Genossen zugute, daß er seinen Standpunkt in der großen Kongreßhalle hatte vertreten können. Auf die Frage, warum denn der spanische KP-Chef im Kreml nicht ebenfalls hatte sprechen dürfen, wußte Berlinguer keine Antwort. Darüber hatten sich die beiden auch nicht unterhalten, als sie sich kurz vor der Rückreise zufälligerweise in einem

Warenhaus trafen. Wer vor den - für Ausländei; - büligen Sowjetprodukten steht und die Wahl der Qual hat, hegt offensichtlich andere Sorgen, als über Glück und Unglück einer Reise ins Arbeiterparadies zu räsonieren.

Wo der vorsichtige Sarde schwieg, war der eloquente Spanier umso gesprächiger. Er warf schon bei der Zwischenlandung in Luxemburg den Journalisten einige Antworten an den Kopf: Berlinguer habe eben nicht, wie er, ein Buch über den Eurokommunismus geschrieben, ein eigentliches Pamphlet gegen die Sowjetunion. Überdies habe er, Carillo, schon vor der Moskauer Reise die Einladung zu einer Reise nach den UA angenommen. In Madrid gab der nie verlegene Carillo den jhn bestürmenden West- Journalisten zu bedenken, daß Berlin-

guer „so nahe an der Macht steht, daß er nicht einfach totgeschwiegen werden konnte”. Wie um zu sagen: „Ich, mit meinem kümmerlichen 9 Prozent-Anteil am spanischen Elektorat, kann eher als derroße Bj-uder in Rom vom Kreml als Quantité négligeable behandelt werden.”

„In der Politik ist der Sieger immer im Recht. Der Pechvogel immer im Unrecht”, erklärte Machiavelli vor 400 Jahren in seinem „Principe”. Was Jupiter geziemt, ist noch lange nicht schicklich für den Römer. In Sachen Eurokommunismus gilt es überdies zu berücksichtigen, daß Berlinguer innenpolitisch außerordentliche Erfolge verbuchen kann. Jüngstes Beispiel hierfür ist La Malfas Vorschlag einer Aufnahme der KPI in die Regierung. Der Republikanerführer glaubt, daß nach Berlinguers Moskauer Rede „für einen demokratischen Eigenweg der italienischen Kommunisten, die Stunde gekommen sei, sie zu direkter Verantwortung heranzuziehen.” Nur so ließen sich die großen Probleme des Landes lösen, heißt es in einem Artikel La Malfas. „Also im Sinne Lenins ein nützlicher Idiot”, sagen sich politische Beobachter auf der Rechten.

Für den Liebesdienst der Repräsentanten einer anderen Partei haben sich die Kommunisten zwar bedankt, das Angebot dann aber abgelehnt. Sie wissen: eine Aufnahme der KPI in die Regierung bedarf der Zustimmung nicht nur der Republikaner, sondern vor allem der Christdemokraten, und diese wollen nach wie vor nichts wissen von einem Schulterschluß mit dem früheren Erzfeind.

Wie die Dinge liegen, muß Carillo einem Berlinguer mehr als Störenfried denn als Freund in der Not vorkommen. Der KPI-Chef bietet den Kremlgewaltigen viele Angriffsflächen, die bald der KPI und ihrem derzeitigen Chef gefährlich werden könnten. Deshalb hat Berlinguer Carillo mit gemischten Gefühlen empfangen: Die Freude darüber, daß sich die sowjetische Verurteilung des Eurokommunismus fast ausschließlich gegen Carillo richtet, ist getrübt von der Überzeugung, daß die KPI viel von ihrer Schlagkraft und vom Rückhalt bei den Arbeitern, vor allem in der „Roten Zone”, einbüßt, wenn sie als neue Spielart der alten Sozialdemokratie abgestempelt werden kann. Carillo setzte Akzente im Weltkommunismus, die dem unheimlichen Spiel der Kräfte in Rom gefährlich werden können.

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