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„Carlos“ - gibt es ihn überhaupt?

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Die Nihilisten haben den Terror über fünf Kontinente ausgesät. Ihr Superstar ist gegenwärtig Barlos, ,4er Schakal“. Bürgerlich-prosaisch heißt er Iiioh Ramirez Sänchez und ist der Sohn eines venezolanischen Anwalts und Lenin-Bewunderers. Daher der Vorname Iljitsch — spanisch Ilich. Carlos soll 28 oder 29 Jahre alt sein. Seine Grundausbildung erhielt er in einem kubanischen Lager für Jugendliche. Seine höheren revolutionären Studien begann er an der Moskauer Lumumba-Universität. Später wurde er aus der Sowjetunion ausgewiesen, traf in Westeuropa ein und wollte seinen Kritikern beweisen, daß er imstande sei, Terrorakte besser zu planen und erfolgreicher auszuführen als seine Lehrmeister.

Agenturmeldungen zufolge soll „der Schakal“ derzeit in Lateinamerika herumgeistern, mit dem Plan, einen noch spektakuläreren Angriff, als es die Blitaaktion gegen die OPEC in Wien war, nämlich die Entführung oder Ermordung des chilenischen Diktators General Pinochet, in Szene zu setzen.

Daß Carlos Phantasie, Mut und Entschlossenheit besitzt, hat er hinlänglich, wenn auch nicht gerade auf sympathische Weise bewiesen. Außer spanisch spricht er englisch, französisch, arabisch und deutsch. Im vergangenen Jahr tauchte er bald in Tripolis, bald in Beirut, Paris, London, Wien und Zürich auf. Seine Verfolger kamen immer zu spät.

Nicht unähnlich dem amerikanischen Mördermonstrum Manson, scheint Carlos eine starke Anziehung auf junge Frauen auszuüben. Seine besten Helfershelfer waren immer Mädchen, unter ihnen Mari Teresa Lara und Nancy Sänchez in Venezuela, die Engländerin Angela Armstrong und Silva Masmela aus Kolumbien.

Der „Schakal“ machte im Sommer 1975 neuerlich von sich reden, als in Paris drei Sürete-Polizisten, von einem arabischen Terroristen begleitet, ein Appartement in der Avenue Touillier betraten, Carlos sie einließ, kaltblütig tötete und entkam... Dies war aber noch kein Grund für ihn, aus der französischen Hauptstadt Hals über Kopf zu fliehen. Eine Untersuchung hat festgestellt, daß eine Bombenexplosion in der „Saint-Germain“-Apotheke ebenfalls sein Werk war. Dabei wurden zwei Menschen getötet und nicht weniger als 38 verletzt, darunter vier kleine Kinder und 18 Frauen.

Interpol könnte ein eigenes Carlos-Referat aufstellen. Seine Dossiers sind zu beträchtlichem Umfang angeschwollen, die Interpol-Beamten sind aber deshalb noch keineswegs zu einer einheitlichen Auffassung gelangt. Einige behaupten zum Beispiel, daß Carlos anläßlich des Attentats gegen das OPEC-Hauptquartier überhaupt nicht in Wien war. Andere Polizeiexperten glauben, daß Carlos längst tot sei, ermordet von einem israelischen Kommando. Wieder andere behaupten, daß „Carlos“ gar nur der Deckname für eine ganze Gruppe von Terroristen sei. Die französische Polizei fand eine Carlos zugeschriebene Liste mit 50 Namen, deren Träger „zum Tode verurteilt“ waren. Einer von ihnen, ein englischer Geschäftsmann, wurde inzwischen bereits ermordet ... Man entdeckte einen anderen, Carlos zugeschriebenen Plan, demzufolge die Terroristen ein Schiff im Suezkanal versenken wollten, um den Verkehr neuerlich für längere Zeit zu unterbinden.

Ein anderer Carlos-Spezialist, Gerard Bonnot vom „Express“, sohreibt, daß „der Terrorist gar kein Krimineller, sondern ein Geisteskranker“ sei. „Er ähnelt einem Kind, das sein Spielzeug zerbricht. Der Terrorist tötet, wie andere Selbstmord begehen.“ Der französische Journalist folgert schließlich: „Im Laufe der Geschichte erfuhr die Gesellschaft niemals grundlegende Veränderungen infolge terroristischer Aktionen. Die von den Terroristen bedrohte Gesellschaft trat ihnen entgegen und vernichtete sie.“

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