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Carter und die Demokratie auf dem Prüfstand

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Das für viele Beobachter noch immer unerklärliche Phänomen Jimmy Carter dürfte in den letzten Tagen verständlicher und transparenter geworden sein. Alle politischen Tricks, alle Kosmetika zur Erreichung hoher Popularitätsraten stehen nun im Einsatz, um das neue Energiekonzept und auch die zu erwartenden Abrüstungskonzessionen an Moskau im Kongreß und in der Bevölkerung durchzusetzen. So ganz nebenbei läuft auch noch der Versuch, den Ausgleich mit Kuba zu erreichen, obwohl auf der Zuckerinsel die von Carter so leidenschaftlich verteidigten Menschenrechte mit Stiefeln getreten werden und kubanische Soldaten im Solde Moskaus eingesetzt wurden, um den amerikanischen Einfluß in Afrika auszuschalten. Das wird jedoch in den nächsten Monaten alles durch die Energiedebatte in den Schatten gestellt werden, weil den Amerikanern (und nicht nur ihnen) das Auto im eigenen Land wichtiger ist als Moskaus Vormarsch in der Welt.

Dabei unterscheidet sich Carters Energiekonzept von jenem Fords, das vor 16 Monaten dem Kongreß vorgelegt worden ist, nur wenig. Beide Konzepte gehen davon aus, daß man Benzin- und Heizölpreise erhöhen müsse, um den Konsum zu drosseln. Beide sind gegen Bewirtschaftung und beide legen mehr Gewicht auf Einsparung als auf Produktionsausweitung. Hier wie dort ist die Handschrift James Schlesingers zu erkennen.

Auf Carters Plan jetzt bereits im Detail einzugehen, bedeutet zuviel „Energieverbrauch”. Nicht einmal in der Regierung erwartet sich jemand, daß der Kongreß das Konzept in seiner jetzigen Form annehmen werde. Vielmehr kann man mehr über den Plan lernen, wenn man die massive Kritik analysiert, die sich bereits erhoben hat.

Wie die Furien heulten die Konsumentenvertreter auf, als sie hörten, daß sich der Benzinpreis bis zum

Jahre 1985 verdoppeln werde. Wenn - so droht Carter - der Konsum nicht jährlich aus freien Stücken zurückgehe, werde der Staat jährlich, und dies 10 Jahre lang, 5 Cents auf den Benzinpreis aufschlagen. Das so eingenommene - die Konsumentenvertreter sprechen von „erpreßtem” - Geld soll in Form von Steuerrabatten jenen zugute kommen, die Kleinautos kaufen, ihre Wohnstätten isolieren oder sie mit Sonnenenergie heizen und kühlen. Die so subventionierten Kleinautos müssen allerdings amerikanischer Herkunft sein, denn man will ja schließlich Detroit nicht zerstören. Daß es solche Autos heute kaum mehr gibt, sei nur nebenbei bemerkt, denn die amerikanischen Versuche, Modelle dieser Art nach der Energiekrise des Jahres 1976 zu entwickeln, endeten mit einem Fiasko. Das US-Publi- kum will keine amerikanischen Kleinwagen. Wenn überhaupt, dann japanische oder deutsche, als Zweitwagen.

Im Bereich der Automobil- und Stahlindustrie wächst daher der organisierte Widerstand und dies nicht nur seitens der „bösen Unternehmer”, die ihre Profite verteidigen, sondern auch seitens der Gewerkschaften, die um Arbeitsplätze zittern.

Man sollte meinen, daß nun die Ölindustrie jubiliert, aber dem ist nicht so. Der Carter-Plan wird ihr weiterhin Preiskontrollen auferlegen. Da somit der Anreiz zur Produktion nicht gegeben ist, wird diese auch nicht wesentlich zunehmen.

Verstärkt soll die Kohlenproduktion werden, die E-Werke und die großen Industrien sollen wieder auf Kohlenverbrauch umsatteln. Das ruft die „Umweltschützer” auf den Plan, die, anders als ihre Kommilitonen in Europa, einen süßen Sieg zu verkosten meinten, als die E-Werke sich allmählich auf Kemkraft umstellten… Die Ausnützung der Sonnenenergie steckt übrigens in den Kinderschuhen, doch werden oft gerade in der Krise industrielle Erkenntnisse geboren.

Das Wort „Krise” ist aber der eigentliche neuralgische Punkt des Konzepts: Glaubt die demokratische Gesellschaft wirklich an eine Krise? Kann sie heute zum Sparen gebracht werden, damit die nächste Generation ausreichend Treibstoff habe? Oder wird sie, wie nach der OPEC-Krise, bald wieder zum Alltag zurückkehren und so weiter leben, als werde sich alles von alleine regeln? Ein Leitartikler bemerkte zynisch: „Carter gebärdet sich wie Churchill am Vorabend der Schlacht um England.”

Alle diese komplexen und ungeheuer weitreichenden Entscheidungen werden nun einem Kongreß in den Schoß gelegt, der sich erst kürzlich ein neues Führungsteam gegeben hat, das noch keinerlei politisches Kapital besitzt und daher noch auf Impulse aus der Bevölkerung reagiert. Kein Wunder, daß man die ersten seriösen Beratungen nicht vor dem Winter erwartet und daß politische Propheten Bündnisse von unglaublicher Komplexheit voraussehen, die das Carter-Konzept zerreißen und durchlöchem dürften.

Des Präsidenten Führungsqualitäten werden dabei jedenfalls mehr getestet werden als in der Außen- und Rüstungspolitik. Hier wird nicht bloß seine Intelligenz und sein gesunder Menschenverstand geprüft werden, sondern vor allem das, was man von einem Politiker erwartet und bei ihm fast nie antrifft: Charisma. Wird es Carter gelingen, der Bevölkerung verständlich zu machen, daß Opfer unvermeidlich sind, daß sie schon heute gebracht werden müssen und nicht erst morgen, wenn die Krise existenz- gefahrdend geworden ist -? Hier steht nicht Carter, sondern die amerikanische Demokratie als Einrichtung auf dem Prüfstand. Vom Ergebnis der Prüfung hängt die Zukunft der freien Weitab.

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