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Carter und die Menschenrechte

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Als Präsident Carter seine Regierungstätigkeit vor etwas mehr als sechs Mo’naten begann, ließ er durch- blicken, daß seine ersten Anliegen innenpolitischer Natur seien. Daß er das Land nicht verlassen wolle und sich vordringlichen Aufgaben der Wirtschaftsbelebung und der Behebung sozialer Mißstände widmen werde. Jetzt, nach sechs Monaten, gewinnt man den Eindruck, daß Carter der Außenpolitik mehr Aufmerksamkeit und Arbeit widmet, als den inneramerikanischen Problemen und daß ihn diese Aufgaben auch stärker faszinieren.

Ein intimer Beobachter der Arbeitsmethoden im Weißen Haus hat kürzlich den Unterschied zwischen Kabinettsitzungen unter Ford und unter Carter beschrieben. Beim Punkt Außenpolitik erteilte Ford Kissinger das Wort zu einem zusammenfassenden Referat. Im Kabinelt Carter dagegen beginnt Außenminister Vance einige einleitende Sätze und dann redet Carter, gelegentlich bei Vance rückfragend, ob nun auch alles behandelt worden sei. Eine kürzlich in der „New York Times“ erschienene Glosse führt auch aus, daß der Präsident Vance oft „wie einen Schulbuben abkanzle und einschüchtere“. Da Vance de facto aus der Afrikapolitik ausgeschaltet ist - die von UN-Botschafter Young und Vizepräsident Mondale dirigiert wird - verbleiben dem ehemaligen Anwalt Vance eigentlich mehr oder weniger administrative Aufgaben und Verhandlungsfunktionen in einem genau abgesteckten Rahmen. Carter ist sein eigener Außenminister, der Pole Brzezinsky, Direktor des Nationalen Sicherheitsrates, nur eine Art von Ideenproduzent.

Was für ein „Außenminister“ ist nun Carter? Die Public-Relations-Abtei- lung im Weißen Haus weiß stets Nachrichten zu lancieren, wonach ausländische Besucher verblüfft seien, wie kenntnisreich Carter sei. Kein Detail entgehe ihm, er sei auf Staatsbesuche vorbereitet wie auf Collegeprüfungen. Was man dagegen von den ausländischen Delegationen erfahrt, ist, daß Carter das Verständnis für die größeren Zusammenhänge fehle, die Kenntnis historischer Axiome und die richtige Einschätzung des Möglichen. Was aber Carter völlig fehle, sei Geduld, die aus dem tieferen Verständnis erwachsene Erkenntnis, daß außenpolitische Probleme einer Lösung entgegenreifen müssen und daß man Lö-

sungen nicht dekretieren könne. Die schier nicht mehr zählbaren „Ausrutscher“, die Carter bei seinen außenpolitischen Tours de force begeht, sind daher nicht etwa nur Mängel an Takt, sondern das Bemühen, Lösungen schnell herbeizuführen, ein Problem ad acta legen zu können, weü bereits das nächste drängt und man schließlich für soviel Arbeit innenpolitisch belohnt werden will.

Bei allen seinen angestrengten, zähen Bemühungen ist ihm jedoch bis dato der Erfolg versagt geblieben. Vielleicht mit einer Ausnahme: bei der Einigung über den neuen Pana- ma-Kanal-Vertrag, der aber erst vom Kongreß ratifiziert werden muß, und dort soeben mit Skepsis geprüft wird. Denn erstens kostet er viel Geld - 70 Mülionen pro anno, neben Müitär- und Wirtschaftshilfe in einer Größenordnung von hunderten Millionen -, und zweitens wird der Kanal im Jahr 2000 panamesischer Besitz, und die USA werden sich schon jetzt den Kopf darüber zerbrechen müssen, ob sie das Sicherheits- und Wirtschaftsrisiko, das mit einem Souveränitätsverlust Hand in Hand geht, auf sich nehmen, oder einen neuen Kanal bauen sollen. Man darf jedoch mit Sicherheit propagandistischen Jubel aus dem Weißen Haus erwarten, verbunden mit

Andeutungen, daß dieser Vertrag ein Katalysator verbesserter Beziehungen und wachsenden Einflusses in der Karibik und darüber hinaus sein werde.

Ansonst gibt es lediglich außenpolitische Rückschläge. Auch Carter selbst weiß heute, daß die Beziehungen zur Sowjetunion durch seine Menschenrechtskampagne auf einem Tiefpunkt angelangt sind. Er selbst beteuert zwar immer, daß er allen Äußerungen des Kreml ein positives Verhandlungsinteresse entnehme, aber dem vielleicht nicht so feingestimmten Ohr des objektiven Lesers fallen ausschließlich Te massiven Beschimpfungen, zuletzt sogar der Person Carters selbst, durch den Kreml auf. Nun wäre ja eine solche Haltung Carters durchaus positiv zu beurteüen, wenn er bereit wäre, nicht nur A, sondern auch B zu sagen, wenn er den moralischen Prinzipien der Menschenrechte auch eine diplomatisch profilierte Außenpolitik folgen ließe. Statt dessen aber wird, trotz des Widerstands vieler MUitärexperten, der Infanterieschüd Amerikas in Südkorea demontiert, was Kenner der Lage im Fernen Osten den Ausbruch eines Konfliktes zwischen dem kommunistischen Norden und dem amerikahörigen Süden Koreas befürchten läßt.

Obgleich Fidel Castro Truppen über

Truppen nach Afrika sendet, um dort marxistischen Regimen zum Sieg zu verhelfen, bemühen sich Politiker der Regierungspartei Carters um „einen Ausgleich mit Kuba“ und lassen sich von leeren Gesten, wie der Freüassung amerikanischer Häftlinge und der Ausreisebewilligung für amerikanisch-kubanische Familien, blenden. Wo bleiben hier die Menschenrechte? Wo bleiben sie im kommunistischen Vietnam, mit dem die Regierung Carter diplomatische Beziehungen anstrebt und dafür Särge mit den Überresten amerikanischer Soldaten, die hier für die Freiheit des Landes fielen, einhandelt?

Das Pönale für verletzte Menschenrechte haben eigentlich nur politisch wenig bedeutende Staaten wie Argentinien, Chüe, Brasilien und andere südamerikanische Länder zu zahlen, auf die sich eine weniger doktrinäre, aber ihren eigenen Interessen mehr zugetane amerikanische Außenpolitik eigentlich stützen sollte.

Im Süden Afrikas enthüllt sich schließlich die opportunistische Außenpolitik Carters am krassesten. Hier wird nicht untersucht, ob die von marxistischen Regimen beherrschten schwarzen Staaten Afrikas nach den Prinzipien der Menschenrechte leben. Wenn nicht gerade Kannibalismus, wie er von Amin praktiziert wird, nachweisbar ist, erklärt sich Botschafter Young mit dem Kaliber und dem System der meisten afrikanischen Führer einverstanden.

In Rhodesien und Südafrika jedoch wird der weiße Mann stranguliert. Hier wird pessimistische Außenpolitik betrieben: Man fördert die radikalen Extremisten, statt den Ordnungskräften in der Mitte des Spektrums Unterstützung zu gewähren.

Daß Carter im Mittleren Osten vor einer scheinbar hoffnungslosen Situation steht, hat er im wesentlichen sich selbst zuzuschreiben. Da er während der Wahlkampagne in Israel ununterbrochen vom „Recht der Palästinenser auf ein eigenes Vaterland“ redete, trieb er alle verängstigten israelischen Wähler in das Lager der Likud-Partei Begins und trägt daher ein gerütteltes Maß Schuld an der Niederlage der verhandlungswilligen und konzessionsbereiten Arbeiterpartei. Während Kissinger pragmatisch von Verhandlung zu Verhandlung eilte, überstürzen sich bei Carter die „Projekte“, „Pläne“ und „Lösungen“, die, kaum veröffentlicht, bereits nach wenigen Tagen ad acta gelegt werden müssen. Genf? Totallösungen? Was verblieb nach der Vance-Reise in den Mittleren Osten? Eine Kontaktnahme der Außenminister im Rahmen der New Yorker Generalversammlung!

Man könnte diese Analyse noch seitenlang fortsetzen, immer würde man eine ähnliche Konklusion ziehen müssen: Zuerst ein im rasanten Tempo und mit viel Fanfaren vorgetragenes Thema und dann die Resignation, weil weder Thema noch Tempo den Verhältnissen angepaßt waren. Dann folgt Ratlosigkeit und moralischer Katzenjammer, weil ja doch soviel Studium und Energie aufgewendet wurden! Eine Zeitlang kann Carter noch mit „Kompetenz“ und Detailwissen glänzen. Vor allem beim eigenen Wahlvolk. Dann aber wird die Bewertung nach dem Erreichten und den Realitäten erfolgen. Uber die Außenpolitik urteilt nicht nur der amerikanische Wähler, sondern auch das Weltforum.

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