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Carter unterschätzte die Macht des Kongresses

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Präsident Carter und sein Team sind nun seit mehr als sechs Monaten im Amt; so daß eine Bewertung dieser Periode nicht nur angebracht ist, sondern von der amerikanischen Presse auch allerorten angestellt wurde.

Geht man vom Allgemeinen ins Spezielle, so sprechen die Befragungsziffern zunächst von einer hohen Anerkennungsrate für den Präsidenten - einer Rate, die noch immer über 60 Prozent liegt. Dann aber ließ sich bereits eine nicht unwesentliche Verschiebung erkennen, die einem Trend nicht unähnlich ist. Denn während Präsident Carter wegen seines „Regierungsstils“ einen hohen Anerkennungsgrad genießt, schwächt sich diese Anerkennung bei der Frage nach spezifischen Leistungen einigermaßen ab. Noch immer also faszinieren die kühle, distanzierte, fast arrogante Art seines Gehabens, die geschickte Behandlung der Presse, die unzähligen kosmetischen Tricks seines politischen Stils. Aber große Teile seines Elektorates haben bereits recht laut und kritisch ihre Reserve gegenüber dem Mangel an reellen Ergebnissen und Entscheidungen angemeldet.

In erster Linie und am lautstärksten die schwarze Bevölkerung des Landes, der Carter vor allem seinen Wahlsieg verdankt. Nach den unbeschreiblichen Ausschreitungen und Plünderungen im Gefolge des New Yorker „black outs“, des Zusammenbruchs der Stromversorgung, rückten die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der amerikanischen Ghettos mit Paukenschlag wieder in das Zentrum der Aufmerksamkeit: „Warum sprichst du nicht zu den Plünderern und Bestohlenen (zumeist auch Schwarzen) in den New Yorker Ghettos?“ rief Negerführer Jordan dem Präsidenten zu. „Wo bleibt die Einhaltung silier Versprechen, die du den Schwarzen gemacht hast, denen du dein heutiges Amt verdankst?“

Persönlicher und direkter wurde kaum noch ein Pfäsident-zür Rechenschaft g&Kjfeen. Hibf fehlt fcärter’der Humor, um eine angespannte Situation durch eine originelle Bemerkung zu entschärfen. Larmoyant und pik- kiert, zählt er statt dessen auf, was er alles geleistet hat, und dann schlägt der unverhüllte Carter durch: „Im übrigen nützen demagogische Forderungen den Interessen der Schwarzen in Amerika nichts.“ Das Wort „Demagogie“ wurde dann mehrere Male am selben Tag zurückgenommen, aber es steht noch laut im Raum und wird Carter in Hinkunft immer wieder vorgehalten werden.

Was Carter wirklich zu schaffen macht, ist der Versuch, seine Wahlversprechen einzuhalten. Er hat zu viele und zu verschiedenartige gemacht. So hat er zur Beruhigung der Mittelklasse den Haushaltsausgleich für 1980 zur Priorität erklärt. Bemüht, das Stigma der Verschwendung, das allen Demokraten im Weißen Haus automatisch anhängt, loszuwerden, versucht Carter, die Ausgaben in vernünftigen Bahnen zu halten. Dabei fahrt er den Abgeordneten oft in die Klinge, die sich für ihre Wahlkreise einen Damm oder eine vom Bund mitfinanzierte Straße selbst genehmigen. In dieser Hinsicht herrscht nämlich im Kongreß totale Harmonie über Parteigrenzen hinweg: Der politische Osten des Landes stimmt für jene hydroelektrischen Projekte, die der wasserhungrige Westen braucht, der Westen stimmt für Straßenbau im Osten, und natürlich geht auch der Süden nicht ohne Benefizien aus. Carter drohte gegen diese Projekte, die er in seinem Haushalts rahmen nicht berücksichtigt hatte, mit dem Veto. Damit schuf er sich aber zusätzliche Feinde im Kongreß, der einem unabhängigen Geist im Weißen Haus sowieso mit Skepsis und Mißtrauen gegenübersteht.

Den Bundeshaushalt bis zum Wahljahr 1980 auszugleichen, entpuppt sich bereits als Utopie. Nicht nur wegen der gerade skizzierten Ausgabenfreudigkeit des Kongresses, sondern wegen der unzähligen Wahlversprechungen. Die Neger kritisierten, wie erwähnt, die „Budgetstarrheit“ Carters und beschworen die Explosionsgefahr in den Ghettos. Aber auch die im

Wahlkampf versprochene große Sozialreform würde über den bisherigen Rahmen der völlig unbefriedigenden „handouts“ (der Geschenke) erheblich hinausgehen. Dabei hatte Carter diese Reform im alten Ausgabenrahmen halten wollen, um 1980 den Wählern sagen zu können, wieviel mehr und wieviel Besseres er um das gleiche Geld erreicht habe. An sich läuft der Plan auf ein großes Arbeitsbeschaffungsprogramm hinaus.

Carter hat überhaupt die Macht des Kongresses unterschätzt. Er hatte angenommen, daß seine Popularität auf die Kongreßmitglieder Druck ausüben werde. Er hatte gehofft, daß der Spielraum, den sich der Kongreß im Nixondebakel verschafft hatte, von einem populären Präsidenten, einem Mann, der nach hohen moralischen Prinzipien lebt und zu regieren versucht, zurückerobert werden könne. Bis dato ist das nicht gelungen. Dabei ist der Kongreß zur Zeit durch einen beispiellosen Skandal unter Nebel gesetzt und angeschlagen, weil eine in die Dutzende gehende Zahl von Abgeor- deneten und auch einige Senatoren Bestechungsgelder der südkoreanischen Regierung angenommen hą- ben. Reisen in die südkoreanische Hauptstadt mit dort organisierten Amüsements waren an der Tagesordnung. Und da nun einmal seit Jahren die Demokraten den Kongrß beherrschen, waren die Empfänger solcher Liebesgaben eben in erster Linie Demokraten. Man wird nicht fehlgehen mit der Annahme, daß die investiga- tive Presse diese Skandale bis zur Neige ausgelöffelt hätte, wären die Republikaner die Betroffenen gewesen. So aber ist die Resonanz, gemessen an der Sensation, bescheiden.

Es wird von Carter gesagt, daß er alles gestern beschlossen haben möchte, was er heute gerade plant. So arbeitet aber der schwerfällige Apparat des Kongresses nicht l/p.FaJle des Energiegesetzes wurden,ojinedjes Wunder, an Schnelligkeit vollbracht. Denn nicht nur hat der Kongreß die Errichtung eines Energieministeriums akzeptiert und seinen Architekten, den ehemaligen republikanischen Verteidigungsminister Schlesinger, als Minister approbiert, sondern auch andere wichtige Details des Programms beschlossen. Automobile mit großem Benzinverbrauch sollen, wenn Carters Vorschläge Gesetz werden, mit so hohen Pönalen belegt werden, daß sie vom Markt verschwinden müssen. Der Kongreß will jedoch verhindern, daß von dieser Maßnahme europäische und japanische Kleinwagen profitieren, amerikanische Arbeitsplätze hingegen verloren gehen.

Es ist also innenpolitisch und auch wirtschaftlich wenig geschehen, in diesen sechs Monaten. In der Tat sollen Stil und Kosmetik den Mangel an Realitäten verdecken. Eine übergroße Rolle in diesem Stilkonzept spielen die Forderungen nach Menschenrechten, deren Auswirkungen sich in erster Linie in der Außenpolitik niederschla- gen. Es darf aber nicht übersehen werden, daß Carter diese Menschenrechtskampagne vor allem für den heimischen Konsum gestartet hat. Sie ist heute ein integraler Teil der innenpolitischen Meinungsbeeinflussung, denn sie impliziert, daß der Amerikaner nach höheren moralischen Grundsätzen lebt als etwa der Russe, der Chilene, oder die Angehörigen anderer Nationen. Der US-Amerikaner soll damit das in Vietnam und bei heimischen Skandalen verlorene Selbstvertrauen zurückgewinnen; die Menschenrechtskampagne soll die Basis für einen moralisch ausgerichteten Patriotismus bilden, der in den USA vielfach vermißt wird.

Sechs Monate im Leben einer Regierung sind tatsächlich eine kurze Spanne, so daß ein Rechenschaftsbericht nicht schlüssig sein kann. Was jedoch schon heute klar ist -: Carter, der Demokrat, hat im Kongreß keineswegs einen kooperierenden Partner, sondern einen echten Rivalen und Kontrollor, der ihm das Leben ebenso schwer macht wie weiland dem republikanischen Präsidenten Ford.

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