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Castro und die Kirche

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Der erste Katholikentag seit der Revolution auf Kuba fand Ende Februar in Havanna statt. Die Öffnung zwischen Kirche und Staat belegt auch der Bestseller „Fidel und die Religion“.

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Der erste Katholikentag seit der Revolution auf Kuba fand Ende Februar in Havanna statt. Die Öffnung zwischen Kirche und Staat belegt auch der Bestseller „Fidel und die Religion“.

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Ohne Befreiungstheologie, ohne Basisgemeinden, ohne Katholiken in der Guerilla wären Mittelamerikas Wirren nicht erklärbar. Deshalb kümmert sich neuerdings auch Fidel Castro um Religion. „Fidel y la Religion“, ein Buch aus Kubas offiziellem

EDITH DARNHOFER berichtet aus Havanna

Staatsrat-Verlag, war im Jänner die Sensation auf der Zuckerinsel. Autor und Herausgeber ist der brasilianische Dominikaner-Mönch Frei Betto, der mit dem „Comandante in Jefe“ 25 Stunden über religiöse Fragen diskutieren durfte. Die Publikation gibt in einer vollständigen Tonbandabschrift Fragen und Antworten wieder und rundet mit einigen Predigten, die der Mönch in Havanna gehalten hat, ab.

In langen Passagen erzählt Fidel Castro auch erstmals von seiner Jugend. Von seiner Mutter, deren Religiosität ihm Jesus und die Muttergottes nahegebracht hat. Von seinen Schuljahren in katholischen Internaten, in denen er sich nicht geborgen fand und an deren religiösem Leben er innerlich nicht teilhatte, die ihm jedoch Bewunderung für die Disziplin der Orden, vor allem der Jesuiten, mitgaben. Heute predigt Castro seinen staatlichen Gesundheitsverwaltern die Menschlichkeit und die Wirtschaftlichkeit der Alten- und Krankenheime der kubanischen Nonnen als Vorbild!

Trotz einer Startauflage von 300.000 Stück war der Text innerhalb kurzer Zeit vergriffen. Die Bevölkerung stand stundenlang vor den Buchhandlungen Schlange, um noch ein Exemplar zu ergattern.

Monsignore Carlos Manuel de Cespedes, Sekretär der kubanischen (katholischen) Bischofskonferenz, freut sich über diesen Erfolg! „Wer hätte das gedacht, daß nach mehr als einem Vierteljahrhundert antireligiöser Erziehung auf Kuba ein derartiges Interesse für Transzendentales besteht!“

Die Zahlen sprechen eigentlich dagegen. Nur noch etwas mehr als 40 Prozent der Bevölkerung sind Taufscheinkatholiken, während es vor der Revolution um die 90 Prozent waren. Cespedes weist aber auf eine Eigenheit der Zuk-kerinsel hin, die tiefe Volksreligiosität mit ihrer afro-kubani-schen Prägung, die auch heute noch an die 200.000, meist junge und oft nicht der katholischen Kirche angehörende Pilger zum San-Lazaro-Fest am 17. Dezember zusammenholt.

Auch Kubas Revolutionsführung muß auf solches Interesse eingehen. Auf dem dritten Parteitag, zwei Wochen vor dem ersten Katholikentag, tauchte die Frage nach der Mitgliedschaft von Katholiken in Kubas KP, die derzeit ausgeschlossen ist, auf.

Die katholische Kirche, bis 1959 mit ihren zahlreichen spanischen Priestern schroff antikommunistisch und verläßlich proamerikanisch, hat damals vorrangig das Bürgertum von Havanna betreut. Als dies,e wohlhabende Bevölkerungsschichte 1960/61 in Panik nach Miami abwanderte, blieb eine Kirche ohne Herde zurück und geriet obendrein unter den Verdacht konterrevolutionärer Neigungen.

Erst zu Beginn der achtziger Jahre erhob Kubas Kirche - inzwischen rein national und spirituell erneuert — im Rahmen einer experimentellen theologischen Diskussion (Reflexiones Eccle-siasticas Cubanas - REO erneut ihre Stimme. Dieser Aufbruch mündete jetzt in den ersten Katholikentag, auf dem mehr als 200 Delegierte, Geweihte und Laien, Gäste aus dem Ausland und Vertreter des Vatikans, ein 300seitiges Arbeitsdokument über Christentum im karibischen Sozialismus diskutierten.

Parallel zur Erneuerung der Kirche erwachte Fidel Castros Interesse an den lateinamerikanischen Christen, deren revolutionäre Praxis in Nikaragua und in El Salvador den Antiklerikalismus der kubanischen Altguerille-ros obsolet machte. Revolutionstheologen besuchten immer häufiger Kuba. Die von Castro aus taktischen Gründen befürwortete Annäherung zwischen Kirche und Revolution in Mittelamerika öffnete auch auf Kuba die Türen. Der Staatschef traf im Vorjahr zweimal mit Kubas Bischöfen zusammen, heuer soll ein weiteres Gespräch geführt werden.

Wie uns Monsignore Cespedes, der diese Gespräche auf höchster Ebene koordiniert, erläuterte, ging es dabei nüchtern um alle anstehenden Fragen. Zum Beispiel: Kann die Revolution mit Christen koexistieren? („Die katholische Kirche“, bestätigt Cespedes, „hat natürlich gemeinsame Interessen mit der Revolution. Beide nehmen sich der Armen und Schwachen an.“) Wie können die Schwierigkeiten, die kubanische Katholiken am Arbeitsplatz haben, abgebaut werden? Muß in den Schulen partout eine antireligiöse Erziehung verabreicht werden? Läßt die kubanische Führung katholische Privatschulen, kirchliche Publikationsmöglichkeiten zu?

Lauter Fragen, auf die es laut Fidel Castros Interview mit Frei Betto in den neunziger Jahren

Antworten geben könnte.

Heute schon sieht Castro in Christen und Revolutionären eine natürliche Allianz. Der Klassenkampf, spricht der alte Revolutionär anders als Marx, schließt das Christsein nicht aus, denn Religion sei nur dann Opium für das Volk, wenn sich die Kirche mit den Mächtigen gegen die Ohnmächtigen verbündet. Dies, so Castro, sei auf Kuba vor der Revolution der Fall gewesen. Dies sei der Grund für seine frühere antiklerikale Haltung.

Heute denkt Fidel Castro milder: „Noch bin ich nicht bekehrt“, schreibt er in einer Widmung für Frei Betto, „doch sollte mich jemals einer bekehren können, dann Frei Betto.“

Die Türen zwischen Kirche und Staat sind auf Kuba wieder geöffnet. Die Revolutionsführung würde auch einen Besuch des Papstes auf der Zuckerinsel begrüßen — freilich nur nach sorgfältiger Vorbereitung und unter Verzicht des Vatikans auf die Kontaktnah-me mit der exilkubanischen Gemeinde in Miami.

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