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CDU diskutierte Grundsatzprogramm-Entwurf: Besinnung auf das „C“

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Uber den Wert von Parteiprogrammen kann man streiten. Ob die CDU überhaupt eines brauche, war während der internen Diskussion des von einer Parteikommission unter Leitung von Richard von Weizsäcker erarbeiteten Entwurfs eines Grundsatzprogramms denn auch eine nicht selten gestellte Frage. Nachdem jetzt in Berlin der Programmentwurf noch einmal in aller Öffentlichkeit sowohl von Parteidelegierten, als auch von Wissenschaftlern und Experten durchleu- tet und teilweise auseinandergenommen worden ist, scheint zumindest diese Frage erledigt zu sein. Denn angesichts der Schwierigkeiten, die bei der Ergründung dessen auftreten, worauf die CDU eigentlich verpflichtet ist, wurde vielen Skeptikern die dringende Notwendigkeit eines

Grundsatzprogramms vor Augen geführt.

Der Programmentwurf war schon lange vor dem Grundsatzforum in Berlin heftig kritisiert worden. In der vorhegenden Form bot er nämlich wenig mehr als ein ärgerliches Sammelsurium von Selbstverständlichkeiten und unergründlichen Gedankengängen, die zudem durch ihre schludrige Formulierung allen möglichen Interpretationen offenstehen. Die Kritik konzentrierte sich insbesondere auf die Kapitel „Verständnis von Menschen und Grundwerten“ und „Soziale Wirtschaftsordnung“. In beiden Bereichen wurde deutlich, warum die CDU Schwierigkeiten mit der Formulierung eines Grundsatzprogramms hat: Die deutschen Christdemokraten waren nie eine Programmpartei wie etwa die SPD. Sie konnten und wollten weder irgendwelche Heilslehren noch letzte Wahrheiten verkünden, so daß sie es naturgemäß sehr viel schwerer hatten, zu erklären, warum die Antwort der CDU auf ein bestimmtes aktuelles Problem nur so und nicht anders aussehen konnte. Daß sie eingedenk des „C“ im Parteinamen natürlich auf ein christliches Menschenverständnis und, darauf gründend, auf bestimmte Grundwerte verpflichtet war und ist, wurde in der CDU nie ernsthaft in Frage gestellt. Doch indem man Politik vorwiegend unter pragmatischen Gesichtspunkten anpackte, wurden zwangsläufig die geistigen Tiefen auch im Hinbück auf das eigene Selbstverständnis verschüttet. Das erklärt, warum die CDU über weite Strecken den ideologischen Angriffen der SPD fast schütz- und wehrlos ausgeüefert war.

Das Grundsatzprogramm bedeutet daher zuerst Aufarbeitung eines Defizits, gleichzeitig aber auch ein zukunftsorientiertes, der CDU einen nicht gering zu schätzenden pro-, grammatischen Vorsprung verschaffendes Unternehmen. Denn die CDU hat nicht den Fehler begangen, eine Gegenposition zur SPD nur um der Gegenposition willen zu entwickeln, sondern sie hat frühzeitig erkannt, daß die heute die Menschen bewegenden Fragen tiefer zielen und daß der Glaube an das „Machertum“ mehr und mehr schwindet. Ob dieses Unternehmen allerdings glücken wird, bleibt abzuwarten.

Vor Berün konnte man daran wegen der vielen zu massiver Kritik herausfordernden Fehüeistungen im Entwurf seine erhebüchen Zweifel haben. Das Programm krankt nicht nur an der Sprache und an den teilweise falsch vermittelten Inhalten, sondern auch daran, daß es im Grunde zu viele Dinge anspricht Dafür schwimmt der Entwurf unentschlossen zwischen den wirküchen, erhebüchen Grundsätzen herum. Das für die CDU unabdingbare christliche Element ist zwar wiederentdeckt und von dem in den letzten Jahren eingedrungenen zersetzenden Schimmelpilz befreit worden. Doch bei der Frage, wieviel „C“ man vertragen kann, wenn man-als Volkspartei für aüe offen sein und bleiben wiü, beginnen die Unsicherheiten. Die proklamierten Grundwerte Freiheit, So- üdarität und Gerechtigkeit bekommen ihren für die CDU unverwechselbaren Inhalt ja erst dann, wenn die Frage nach den „C“ geklärt ist.

Parteichef Kohl formuüerte die Herausforderung an die CDU so: „Den ideologischen Postulaten der Soziaü- sten steüen wir in der CDU ein Menschenbild gegenüber, das seine geistigen Wurzeln im christüchen Glauben und im Sittengesetz hat.“ Von diesem Fundament aus gilt es für die CDU, zu operieren, ohne den Nichtchristąn in der Partei irgendwelche Bekenntnisse abzuverlangen. Genau dort hegt näm- üch für die CDU die Grenze, jenseits derer sie ihren Charakter als Volkspartei vertieren würde.

Das teilweise erbitterte Ringen um Inhalt und Formuüerungen des Kapitels „Soziale Wirtschaftsordnung“ hat in diesen Unsicherheiten bezügüch des Grundverständnisses ebenfaüs seine tieferen Ursachen. Der Entwurf zeigt deutüch, daß hier der ünke Par- teiflügel, insbesondere die Sozialausschüsse, mit ihren Vorstellungen durchgedrungen sind. Zwar steüen auch sie die Soziale Marktwirtschaft nicht in Frage, aber als deren oberstes Ziel und damit Rechtfertigung wird nicht mehr die Freiheitsverwirkü- chung proklamiert, sondern die Erzeugung „sozialen Wohlbefindens“. Dieser diffuse Begriff, der - nirgendwo definiert - eine gewisse Rentnermentalität ausdrückt (ruhiges Genießen ohne eigenes Zutun), wurde wegen seiner Nähe zum sozialdemokratischen Begriff „Lebensquaütät“ besonders heftig kritisiert. Kurt Biedenkopf, ehemaliger Generalsekretär der CDU und einer ihrer Chefdenker, schlug in aüer Schärfe den Verfassern diese Leerformel um die Ohren. Die Formuüerungen lassen seiner Meinung nach zumindest die Interpretation zu, daß in der CDU „eine zunehmende Betonung verteüungspoliti- scher und versorgungsorientierter Zielsetzungen auf Kosten freiheitü- cher Aufgabensteüungen“ zu verzeichnen sei. Ihm wurde heftig widersprochen, sachüch jedoch konnte er nicht in die Demagogenecke verbannt werden.

Der Programmentwurf wird nun - das ist das wichtigste Ergebnis des Berüner Forums - völüg umgeschrieben, gestrafft, und mit neuen Prioritäten versehen. Ob das neue Produkt, das im nächsten Jahr dem CDU-Bun- desparteitag zur Abstimmung vorgelegt werden soü, die laut gewordenen Befürchtungen entkräftet, bleibt abzuwarten. Geüngen wird dies sicher nur, wenn die Partei mit dem „Zeitgeist“ nicht gar zu viele Kompromisse schüeßt.

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