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Cest tout...

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Was nach Sturz und Tod von Salvador Allende durch Österreichs unabhängigen Blätterwald rauschte, klang mehr nach Aufatmen denn nach dem bei solchen Anlässen sonst üblichen Empörungsgemurmel. Auch, ja gerade solche Journalisten, die sonst mit Staatsstreichlern, Militärdiktatoren und dergleichen unbarmherzig ins Gericht gehen, fanden diesmal erstaunlich milde, den blutigen Begleitumständen des Geschehens kaum angemessene Worte.

„Allende am Ende“ stabreimte etwa Heinz Nußbaumer im „Kurier“,, ohne dafür, wie dieses Ende gekommen war, ein böses Wort finden zu können. Zwar wird Allende konzediert, „Parlamentarismus, Vielpar-teiensystem und den persönlichen Freiheitsraum des einzelnen unangetastet gelassen“ zu haben, aber: „Jetzt, nach drei chaotischen Jahren, ist es überstanden. Chile, Südamerika und mit ihnen die gesamte westliche Welt sind um eine Erfahrung reicher.“ Cest tout.

Auch Hugo Portisch selbst sieht die chilenische Armee für das, was sie mit dem noch immer rechtsstaatlich regierten Chile machte, „nur teilweise verantwortlich“, ohne ein weiteres harsches Wort für die putschenden Generäle. Sie haben eben nicht anders können, weil Allende „die Streitkräfte einer Zerreißprobe ausgesetzt“ hat, auf die „die Armeeführer nicht vorbereitet waren“. Zwar gesteht auch Österreichs außenpolitischer Großkommentator Allende zu, sich „an die geschriebenen Gesetze“ gehalten zu haben, aber da er sich über die „ungeschriebenen Spielregeln der Demokratie ..., Verständigung und Zusammenarbeit zu suchen, auch mit dem politischen Gegner, wenn dieser im Parlament und in der Bevölkerung über die Mehrheit der Stimmen verfügt“, hinwegsetzte, wurde eine Hoffnung Lateinamerikas durch Allende selbst zerstört, „der den Bogen weit überspannte, zerstört aber auch durch die Armee...“ Durch die Armee aber auch. Cest tout.

Österreichs unabhängige Presse hat mit wenigen Ausnahmen Allendes Sturz und Tod in einer Weise kommentiert, die nur als einseitig bezeichnet werden kann. Einseitig, weil alles, was Allende an Fehlern und Versagen hier nachgesagt wurde, richtig war, aber eben nur die eine Seite der Angelegenheit. Einseitig, weil diese andere Seite, das brutale Zerschlagen einer noch immer intakten parlamentarischen Ordnung und eines noch immer funktionierenden Rechtsstaates, kaum am Rande gestreift, somit kritiklos hingenommen wurde. (Die erstaunlichste Ausnahme in diesem Fall: Die „Kronenzeitung“!)

Die „Salzburger Nachrichten“ hingegen fanden: „Wer Allende betrauert, sollte nicht nur sein Ende, sondern vor allem die Vorgeschichte im Auge behalten. Dann dürfte es eher vermessen erscheinen, Allende und Sacharow in einem Atemzug zu nennen.“ Die „Salzburger Nachrichten“ befanden auch: „Wer heute Allende betrauert, muß dies zur Kenntnis nehmen: Allende führte eine Volksfrontregierung.“ Mitglieder einer Volksfrontregierung darf man erschießen?

Auch in der presse“, wo Janko

Musulin, einige Niveaustufen höher, Allende bescheinigte, ein integrer Mann gewesen zu sein, „dessen Schicksal der Tragik sicherlich nicht entbehrt“, spürte man viel Verständnis für die Gewissensnöte der putschenden Militärs und vermißte den Aufschrei angesichts dessen, was dem bis zu Allendes Sturz immerhin verfassungsmäßig regierten Rechtsstaat Chile angetan worden war. Immerhin deutete diese Zeitung, freilich ohne diesen Gesichtspunkt weiter herauszuarbeiten, wenigstens an, wie intakt dieser Rechtsstaat bis zuletzt war: „Im Kongreß drückten Christdemokraten und Nationale eine Resolution durch, die das Verhalten der Unidad-Popular-Regierung für illegitim erklärten. Expräsident Eduardo Frei, als Senatsvorsitzender der entscheidende Kopf der Opposition, versuchte damit, den Prozeß der legalen Absetzung Allendes einzuleiten. Mit der Illegitimitätserklärung hatte er jedoch den unruhigen Offizieren die Chance zum Eingreifen sozusagen auf streng verfassungsrechtlicher Basis geliefert.“

Wer das las, ahnte wenigstens: In Chile hat nicht das Militär ein Land aus einer ausweglosen Situation geführt, sondern es hat einen politischen gordischen Knoten, dessen Windungen sich parlamentarisch zu lösen begannen, schnell durchhauen.

Österreichs unabhängige Presse hat mit ihrer Behandlung der Ereignisse in Chile einen bemerkenswert eingetrübten Blick für die moralische und rechtsstaatliche Seite einer politischen Tragödie bewiesen. Eine Presse, die sich sonst gebärdet, als hätte sie ein Monopol auf die Bewachung, Bewahrung und notfalls Rettung des Rechtsstaates, hat damit die Befürchtung genährt, sie könnte auch in geographisch näherliegenden, ja möglicherweise innenpolitischen Fällen im Konflikt zwischen rechtsstaatlichen Normen und politischen Interessen für letztere optieren — das ist kein beruhigendes Gefühl.

Am Sonntag noch beklagte Janko Musulin im zitierten Leitartikel der „Presse“ mit Recht die Aufgabe des Prinzipes einer „säuberlichen Scheidung zwischen Tatsachen und Interpretationen“ durch „Dagens Nyhe-ter“. Tags drauf bereits stand ein frappantes Beispiel dafür in Österreichs „Kurier“, der die von der chilenischen Junta mit standrechtlicher Erschießung bedrohten bewaffneten Anhänger der noch immer verfassungsmäßigen Regierung des toten Allende, die von den Junta-Generälen als „Extremisten“ bezeichnet wurden, ebenfalls Extremisten nannte — ohne die gebotenen Anführungszeichen.

War es eine Schlamperei, war es eine klassische Fehlleistung im Sinne Freuds, war es beides? Vielleicht einfach der reibungslose Ubergang zur Tagesordnung der verzerrenden und entstellenden Vereinfachungen, die in diesem Land offenbar keiner mehr bemerkt.

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