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Chance als Simultandolmetscher

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Wir Österreicher sehen unser Land gerne als Brücke zwischen Ost und West, als Vermittler zwischen den großen Blöcken. Dies mag zwar durchaus einmal zutreffend gewesen sein, in den letzten Jahren sind wir aber zunehmend in eine geopoliti-sche Randlage gerutscht. Und wenn Wien ab und zu noch in den internationalen Medien als „Drehscheibe“ genannt wurde, so bezog sich dies in den meisten Fällen nur noch auf die internationale Spionageszene. Trotz unserer zentralen Lage laufen wir Gefahr, zur europäischen „Provinz“ zu werden.

Diese Entwicklung umzukehren, bieten sich gerade in der heutigen Zeit große Chancen — Chancen allerdings, die sich nicht von selbst verwirklichen, sondern Chancen, die wir aktiv ergreifen müssen, wenn die internationale Entwicklung nicht neuerlich an uns vorüberlaufen soll.

In unserem allgemeinen Weltschmerz und der allgegenwärtigen Politikverdrossenheit übersehen wir nur allzu leicht, in welch spannender Zeit beziehungsweise in welch spannender Weltgegend wir leben. Ein kurzer Blick in unsere Nachbarländer lehrt uns, daß sich Europa unübersehbar in einem gewaltigen Umbruch befindet. Der Eiserne Vorhang, der die Wirklichkeit Europas seit 1945 bestimmt, bekommt immer größere Rostlöcher.

Gerade in dieser Entwicklung kann sich Osterreich durchaus als dynamischer Teil Europas darstellen. Man nimmt uns ab, daß wir Österreicher ein bißchen mehr von der Weltgegend verstehen, in der wir zu Hause sind.

Wir haben gelernt, mit der Vielfalt der Kultur und der Völker zu leben, wobei es das Reizvolle an Mitteleuropa ist, im Spannungsverhältnis von Effizienz und Lebensqualität, von Logos und Mythos, von Wissen und Glauben zu leben. Es ist kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-Als-auch, das sich hier manifestiert. Es ist kein entweder zur EG oder zum Donauraum, sondern ein sowohl EG als auch Donauraum, das wir anzustreben haben. Denn nur mit dieser unserer spezifischen Rolle werden wir in der Europäischen Gemeinschaft interessant sein.

Österreich kann, wenn es will, in seiner Rolle an der - derzeit noch - harten Trennungslinie zwischen Ost und West im Donauraum unentbehrlich sein. Wir können die Beziehungen einbringen, die die EG in diesem Bereich braucht. Bisher sind die Ost-West-

Beziehungen der EG durch die Teilung Deutschlands geprägt. Durch Österreich können sie einen geopolitischen Aspekt erhalten, der nicht zuletzt schon durch die KSZE-Nachfolgekonferenz in Wien begonnen wurde.

Besondere Bedeutung kommt in diesem Prozeß der Donaumetropole Wien zu. Wien war nie für die Lage an der Grenze konzipiert, wir waren immer eine Stadt der Mitte. Schließlich taucht nicht von ungefähr immer wieder die Frage auf, ob wir nun die westlichste Stadt des Ostens oder die östlichste des Westens sind. Die Bedeutung dieser Stadt lag immer im größeren Donauraum, bis weit hinein nach Südost- und Osteuropa.

Das Entstehen einer solchen Atmosphäre wieder zu ermöglichen, wieder zum „Simultandolmetscher“ für Mitteleuropa zu werden, das ist unsere große Chance— aber auch unsere große Bringschuld an Europa und an die Menschen, die hier leben.

Es stellt sich nun die Frage, ob wir dieser zweifellos großen Herausforderung heute überhaupt noch gewachsen sind. Ich bin überzeugt davon, daß dies der Fall ist — wir werden aber sicherlich einige liebgewonnene „Gewohnheiten“ ablegen, den Traum von der „Insel der Seligen“ rasch beenden müssen.

Es gilt nicht nur, der geopolitischen, sondern vor allem der geistigen Verprovinzialisierung den Kampf anzusagen. Die bei uns weitverbreitete Mentalität, lieber darüber nachzudenken, warum etwas nicht geht, anstatt warum und wie es gehen könnte, die vielfach vorhandene mangelnde Risikobereitschaft (deren Sinnbild wohl das Streben nach der P/ag-matisierung darstellt), die bekannte Skepsis gegenüber allem, was fremd ist (insbesondere gegenüber fremden Sprachen), sind sicherlich ein nicht zu unterschätzendes Hindernis auf diesem Weg.

Angesichts der angebotenen Gelegenheiten, der Möglichkeit, Politik zu machen, müßte uns selbst unsere eigene Schlafmützigkeit verwundern.

Die geplante Weltausstellung Wien-Budapest könnte wichtige Impulse auf diesem Weg geben, könnte zur „Trägerrakete“ für diesen Kampf gegen die geistige Verprovinzialisierung werden. „Brücken in die Zukunft“ zu schlagen, ist die ganz persönliche Aufgabe jedes einzelnen von uns.

Der Autor ist Stadtrat und Mitglied der Landesregierung Wien.

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