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Chance der Opposition

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Was gut für den Staat gewesen wä’re, nämlich die institutionalisierte Zusammenarbeit der großen Parteien, wäre noch lange nicht gut für die ÖVP gewesen. Der rot-blaue Koalitionspakt hat der ÖVP die Möglichkeit gegeben, die spezifische Regenerationschance der Opposition nochmals vier Jahre zu nützen.

Der kleinere Partner in einer großen Koalition zu sein, der alles mitzuverantworten hätte, was in 13 Jahren Sozialismus an Pro-

blemstau entstanden ist und durch unpopuläre Maßnahmen hätte abgebaut werden müssen, wäre eine wenig hoffnungsreiche Perspektive gewesen.

Der rot-blaue Pakt gibt der ÖVP die Gelegenheit, die nächsten Jahre zu einer konsequenten Alternativstrategie zu nützen.

Dabei sind jene Politik-Bereiche herauszugreifen, in denen die rot-blaue Regierung aus parteiinternen oder personellen Gründen wenig leistungsfähig ist oder durch ideologische Gegensätze in ihrer Handlungsfähigkeit beschränkt ist. In diesen Bereichen müssen von der ÖVP überzeugende und allgemeinverständliche Alternativen präsentiert werden, die sich von den rot-blauen Problemlösungen deutlich unterscheiden.

Auch der Abtritt von Kanzler Bruno Kreisky eröffnet eine neue Chance für die ÖVP. Die Kreisky- Wähler suchen eine neue Orientierung; personell und programmatisch. In Alois Mock hat die ÖVP einen logischen Nachfolger. Er hat in den letzten Jahren und vor allem auch im Wahlkampf unzweifelhaft und deutlich an Status gewonnen.

Aber ein Oppositionsführer ist immer im Nachteil. Denn der „Kanzler-Bonus“ verschafft jedem Amtsinhaber einen gleichsam automatischen Vorteil und vereint den Respekt vor dem Amt mit dem Ansehen der Person.

Mock muß für die Zukunft vor allem das signalisieren, was für die Einschätzung der Eignung eines Spitzenpolitikers von großer Bedeutung ist: nämlich Führungskraft. Dies gilt insbesondere für eine soziale Integrationspartei wie die ÖVP. Die Integration verschiedener Gruppierungen auf der Basis gemeinsamer Grundwerte ist nämlich nicht nur ein Problem der Theorie, sondern auch ein Problem der Führung.

Es darf auch kein Zweifel auf- kommen, daß eine Partei diese Führung ihrem Spitzenkandidat ganz gewähren muß. Dies gehört zu jenen Grundbedingungen der Personalisierung der Politik in der modernen Demokratie, die man zu akzeptieren hat. Dieses Faktum verlangt für die verschiedenen Führungsfunktionen der ÖVP eine klare Unterordnung unter die Richtlinienkompetenz des Parteiobmannes und für die Teü- organisation eine klare Abgrenzung ihrer gesellschaftlichen Wirkungsfelder.

Programmatisch geht es darum, ein überschaubares Schwerpunkteprogramm zu formulieren.

Als Alternative zu einem Sozialismus, der alle sozialen Fragen und gesellschaftlichen Probleme durch den Staat gelöst haben will und deshalb zu einer lautlosen Verstaatlichung der Gesellschaft und zu einem Verlust von Selbstbestimmung für den Menschen führt, muß die „Entstaatlichung“ der Gesellschaft betrieben werden, wo immer dies möglich und sinnvoll ist.

Gerade die von der SPÖ in den Jahren ihrer Regierung betriebene Staatsüberlastung, die heute zur völligen ökonomischen Überlastung des Staatshaushaltes geführt hat und nun durch drastische Abgaben- und Steuererhöhungen zur Ausbeutung aller Bevölkerungsschichten führt, kann bei entsprechender Strategie der ÖVP den Sinn für die „Entstaatlichung als eigentliche politische Tendenz“ wecken.

Es muß wieder stärker im Bewußtsein der Menschen verankert werden, daß der Staat kein abstrakter Wohltäter ist. In diesem Sinn muß die Funktionsweise und die Zielsetzung der sozialen Marktwirtschaft wieder stärker im Bewußtsein der Menschen verankert werden und das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Gerechtigkeit, Wirtschaft und Gesellschaft, Leistungen und Ansprüchen erneuert werden.

Dies gilt aber für alle Bereiche der Politik: Die Auseinandersetzung um das richtige Verständnis von Freiheit und das Eintreten für freie Entscheidungsbereiche und Möglichkeiten zur Selbstbestimmung muß ein zentrales Ziel der künftigen ÖVP-Politik sein und als Generalthema alle politischen Gebiete durchdringen.

Die Verbesserung der materiellen Lage der meisten Menschen, aber auch ihre Erkenntnis, daß die Grenzen des Machbaren und des materiell Erreichbaren kaum weiter hinausgeschoben werden können, läßt den Wunsch nach „mehr Lebensqualität“ stärker werden. Viele Anzeichen deuten darauf hin, daß die hochentwik- kelten Industrienationen sich in einer Ubergangsphase von acqui- sitiven Werten (Stabilität, Sicherheit, Einkommen) zu post- acquisitiven Werten (Selbstverwirklichung, Beteiligung, Umwelt,Frieden) befinden. Jene Parteien, die ein post-acquisitives Wertsystem vertreten, wie dies zu einem guten Teil die Grünen und Alternativen Bewegungen tun, finden einen immer stärkeren Rückhalt in der Bevölkerung.

Diese Wertumschichtung wird durch die allgemeine ökonomische Entwicklung, die wirtschaftliche Probleme der Lebensgestaltung in ihrer Bedeutung immer mehr zurücktreten läßt (sofern nicht größere und langanhaltende Wirtschaftskrisen auftreten) und die Verbesserung des Bildungssystems unterstützt. Diese Wertumschichtungen zeigen sich zuerst bei den jungen Altersschichten.

Die Volkspartei muß sich deshalb der Auseinandersetzung mit diesen neuen Werten und gesellschaftlichen Entwicklungen stellen, das gilt insbesondere für die Umwelt- und Friedensdiskussion. Dabei geht es nicht darum, sich an den „Zeitgeist“ anzupassen, sondern einen unverwechselbaren Standort zu entwickeln, der eine eigene, geistige Strahlkraft ausübt.

Der Autor ist Landtagsabgeordneter und Landesparteisekretär der ÖVP in Oberösterreich.

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