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Chance für drei Jahre

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Die Stimmanteile der Parteien haben sich nur um wenige Zehntelprozent verschoben. Doch was .schließlich bei der Addition dieser Zahlen unter dem Strich staody bedeutete das Ende einer jahrzehntelangen sozialdemokratischen Herrschaft. Seit, vielen Bahlen hatte Schweden auf dieses Ereignis gewartet. Nun, da es eingetreten ist, lassen sich Verblüffung und Unsicherheit nicht leugnen.

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Die Stimmanteile der Parteien haben sich nur um wenige Zehntelprozent verschoben. Doch was .schließlich bei der Addition dieser Zahlen unter dem Strich staody bedeutete das Ende einer jahrzehntelangen sozialdemokratischen Herrschaft. Seit, vielen Bahlen hatte Schweden auf dieses Ereignis gewartet. Nun, da es eingetreten ist, lassen sich Verblüffung und Unsicherheit nicht leugnen.

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Jetzt haben also zium erstenmal seit 44 Jahren die bürgerlichen Parteien mehr Stimmen und Mandate als die Sozialdemokraten und deren stille Partner, die Kommunisten. Schien bei den ersten Trendfoerech-nungen am Wahlsonntag Olof Pal-mes Schicksal noch an dem der Kommunisten zu hängen — die KP pendelte bei der magischen Vier-Prozent-Marke, die den Einzug in den Reichstag öffnet oder verwehrt, auf und ab —, so zeigte sich spätestens bei Eintreffen der ersten Resultate aus den Städten, daß auch das überraschend gute Abschneiden der intern zerstrittenen Kommunisten den konservativen Terraingewinn nicht wettmachen konnte. Liberale, bäuerliches Zentrum und Konservative hielten jene 51 Prozent bis zum Auszählen der letzten (Brief-)Stimmen, die heute im westlichen Europa erstrebenswertes Ziel jeder Wahl sein müssen.

Doch ohne Probleme toben auch die den Wahltag nicht überstanden, die ausgezogen waren, den sozialistischen Bären zju erlegen. Die drei bürgerlichen Fraktionen hatten sich vorher auf kein Programm geeinigt; nur auf den Mann, der Schweden in die drei Jahre bis zur nächsten Wahl führen soll. Doch just jener Thorbjörn Fälädin, der in den letzten Wochen so gewaltig wider die Atomkraft stritt, erwies sich plötzlich als schwaches Glied in der Kette der Starkgewordenen. Der Blauer aus dem hohen Norden, der ein sehr sonores Schwedisch, aber keine Fremdsprache spricht, hat mandatsmäßig ebenso stark verloren wie sein Gegenspieler Olof Palme, dem er jetzt als Staatsminister nachfolgen will.

Fälldin >wird trotz der Verluste Schwedens Regierungschef werden. Aber die Politik der Regierungskoalition werden die anderen stärker beeinflussen, als es den Leuten vom bäuerlichen Zentrum lieb sein wird. Sie werden vor allem auf die konservativen Wünsche hören müssen. Vor den Wahlen hatten sowohl Liberale als auch Zentrum ein gemeinsames Vorigehen im Auge gehabt; die Konservativen waren mehr notwendiger als erwünschter Partner in diesem Triumvirat. Die bäuerlichen Verluste und konservativen Gewinne werden die Regierungsverhandlungen nicht erleichtern. Die Divergenz der beiden Gruppen beginnt bereits beim Zen-trums-Wahlschlager von der Atomkraft. Die Konservativen haben die Sozialdemokraten beim Bau der ersten Kraftwerke ' unterstützt und sind auch heute noch der Ansicht, daß das hochindiustialisierte Schweden auf diese Energiequelle nicht verzichten könne.

Dennoch wird zumindest in den nächsten Jahren wohl kein neues Atomkraftwerk in Schweden entstehen. Thorbjörn Fälldin würde jedes politische Prestige verlieren,würde er sich nach seiner Wahlkampfagitation nun plötzlich den Argumenten der Geigenseite beugen.

Eine weitere Zukunftsprognose kann ohne Gefahr abgegeben werden Das „schwedische Modell“, das die Sozialdemokraten entwickelt haben, wird auch ohne sie fortgeführt werden. Die Spitzenpolitiker der Rechten haben ihr Wort dafür verpfändet, daß die soziale Umsorgung der Bevölkerung nicht aufs Spiel gesetzt .wird. Gösta Bohman legte bei seinen Wahlreden größten Wert auf die Feststellung, daß schon bisher alle sozialen Reformen in Schweden mit den Stimmen aller Parteien durchgeführt wurden.

Schweden hat nach 44jähriger Herrschaft einer Partei einen Machtwechsel erletot. Es hat damit auch ein Beispiel demokratischen Verständnisses gegeben. Schicksalswahlen sind die Wahlen dennoch nicht gewesen. Die Bürgerlichen hatten den Wähler aufgerufen, diesmal ihnen die Chance zu geben. Der Wähler hat es getan. Viel mehr als den Wunsch, die Sozialdemokraten abzulösen, hatten sie an Gemeinsamem nicht vorweisen können. Jetzt haben sie drei Jahre lang Zeit, ihre Vorstellungen zu entwickeln, eine echte Alternative zu schaffen. Drei Jahre, die ihnen die Linke — und da besonders der betont sozialdemokratische Gewerkschaftsbund — nicht leichtmachen wird. Lohnrunden stehen ins Haus, und die Arbeiter, die in den letzten drei Jahren bei geringer Inflation 12 bis 14 Prozent mehr ausbezahlt erhielten, werden sich einer „feindlichen“ Regierung gegenüber bestimmt nicht Zurückhaltung auferlegen. Aber die drei nichtsozialistischen Parteien Schwedens haben die Chance erhalten, um die sie gebeten hatten. Die Schicksalswahlen werden in drei Jahren stattfinden, dann, wenn die Wähler über ein _ neues .„Model Schweden“ abstimmen werden; jenes Modell, das der zerstrittene Bürgerblock jetzt entwickeln muß.

Fälldin, Bohman und Ahlmark haben bei aller Freude über den Wahlsieg das Ergebnis nüchtern aufgenommen. Der einzige, der sich über die Wahlen in Schweden uneingeschränkt freuen kann, ist heute Helmut Köhl. Wohl hat der Wahlkaimpf der Bürgerlichen Schwedens mit dem der CDU fast gar nichts gemeinsam, aber die letztlich doch unerwartete Niederlage der so traditionsreichen schwedischen Sozialisten kann für den Mann, der um die absolute Mehrheit kämpft, nur Auftrieb sein. Wenn am 4. Oktober der Reichstagspräsidenit dem Parlament Thorbjörn Fälldin als Regierungschef vorschlagen wird, dann wird von der „Heiligen Allianz“ Brandt-Pal-me-Kreisky nur noch Österreichs Bundeskanzler in Amt und Würden sein.

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