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Chance für Truppenabbau

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Seit die INF-Verhandlungen im Mai dieses Jahres in Gang gekommen sind, befürchten Politiker und Militärs ein sichef heitspoliti-sches Vakuum in Europa. Der Gedanke, daß aus der NATO-Dok-trin der „flexible response“, die den Atomschlag als Abschrek-kung gegenüber konventioneller militärischer Überlegenheit miteinkalkuliert, nun ohne Pershing II und Cruise Missiles ein effektives Element stufenweiser militärischer Eskalationsmöglichkeit herausgebrochen wurde, beunruhigt viele.

Doch setzt sich - neben den überschwenglichen Freuden- und Siegesrufen vornehmlich aus Friedensbewegungskreisen - immer deutlicher die Einsicht durch, daß das INF-Abkommen trotz seiner destabilisierenden Tendenz so in den günstigen internationalen Prozeß hineinpaßt, daß das damit verbundene Risiko mit in Kauf genommen werden kann. Allerdings — so warnte am vergangenen Wochenende der Hamburger Theologe und Friedensforscher Ernst-Josef Nagel bei einem Seminar der österreichischen Landesverteidigungsakademie zu verteidigungspolitischen Konzeptionen auf ethischem Hintergrund — werde ein konventioneller Krieg nun wieder wahrscheinlicher, falls eine Periode des Kalten Krieges ausbrechen sollte; zumal die innenpolitische Absicherung des Gorbatschow-Kurses noch immer nicht vollständig gegeben ist.

Die Lehren aus den jetzt zum Abschluß gekommenen INF-Verhandlungen: Vorleistungen in der Militärstrategie werden nicht selten als Schwäche interpretiert; handfeste Interessen lassen sich leichter auf einen gemeinsamen Nenner bringen als ideologische Vorgaben; nach wie vor gilt Vorsicht gegenüber dem jeweiligen Gegner; militärische Stabilität ist — vor allem wegen der möglichen Umkehrarbeit des Sowjetkurses, „begründet mit ideologischen Versatzstücken“ (Nagel) - nach wie vor wichtig; der Prozeß zur Stabilisierung auf konventionellem militärischen Gebiet muß also vorangetrieben werden.

Auf welcher Grundlage könnte man in Europa eine konventionelle Stabilität erreichen? österreichische Müitärs nehmen in diesem Zusammenhang die Aufforderung der Warschauer Pakt-Staaten (vom Mai dieses Jahres) zu einer Doktrinen-Diskussion sehr ernst.

Was von den WAPA-Staaten als Ziel künftiger Verhandlungen formuliert wurde — Defensiv-Struktur des Heeres, Nicht-Invasionsfähigkeit sowie zur Verteidigung ausreichende Mittel — ist längst Prinzip der österreichischen Landesverteidigung.

Europa wird, soll sich der INF-Vertrag im umfassenden sicherheitspolitischen Sinn als wirksam erweisen, um Truppenreduzierungen nicht herumkommen. Bedeutet das eine mögliche Aufwertung der Wiener Truppenabbaugespräche (MBFR)? Wohl kaum. Oberst Simon Palmisano weist auf die vierzehnjährige Dauer dieser Verhandlungen hin, die viele Erfahrungen, aber kein Abkommen im Bereich der Rüstungskontrolle gebracht haben.

Die Wiener Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die jetzt wieder in die Weihnachtspause und am 22. Jänner 1988 in ihre fünfte Etappe geht, ringt um ein Mandat zur Fortführung sicherheitsbildender Maßnahmen.

Was müßten Truppenreduzierungsgespräche inhaltlich bringen? Palmisano verweist auf die vorhin genannten Kriterien eines Defensivkonzeptes mit allen damit verbundenen Umstrukturierungen innerhalb der verschiedenen europäischen Armeen. Mit diesem Konzept sowie mit dem von der Sowjetunion vorgeschlagenen Plan einer Reduzierung von Streitkräften versuche man— so Palmisano —, vom reinen Aufrechnen gegenseitiger Stärke wegzukommen.

Wesentlich scheint zunächst einmal ein (verbales) Abgehen von Offensivstrategien. Dann könnte man zu Umdislozierungen und Reduzierungen kommen. Der hier immer wieder behaupteten Überlegenheit des Ostens unkonventionellen Bereich begegnen die WAPA-Staaten mit dem Hinweis auf Disparitäten auch zu ihren Ungunsten. Und da wird's schwierig. Der politische Wille zu Truppenreduzierungen — so Palmisano - genüge nicht; der Teufel stecke im Detail.

Die Chancen für Wien, weiterhin Ort von Truppenabbaugesprächen zu bleiben? Manche befürchten, daß mit Wien Erfolglosigkeit assoziiert wird. Bis jetzt hat Wien als einzige Stadt die Kandidatur für kommende Gespräche angeboten. Im Hintergrund steht aber Genf bereit, das von der verfahrenen MBFR-Si-tuation profitiert.

Österreich möchte vor allem erreichen, daß bei Verhandlungen zwischen den 23 Allianzstaaten über die KSZE der Informationsfluß und die Konsultationsmöglichkeit für Neutrale und Nichtpaktgebundene gewahrt bleibt. Eine schwierige, aber nicht hoffnungslose Aufgabe für die Wiener KSZE.

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