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Chance und Risiko zugleich

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Trotz des Ablebens des sowjetischen Staats- und Parteichefs Konstantin Tschernenko saßen sich am 12. März die sechs Delegationsleiter bei den neuen amerikanisch-sowjetischen Abrüstungsgesprächen in Genf wie geplant am Verhandlungstisch gegenüber: die Amerikaner Max Kampelman, John Tower und Maynrad W. Glitman sowie die Sowjets Viktor Karpow, Juli Kwizinksi und Alexei Obuchow.

Zunächst noch einmal kurz zusammengefaßt, worüber in drei Gesprächsforen im ersten Verhandlungszyklus die kommenden acht Wochen gerungen werden wird:

# über die Begrenzung der strategischen Atomwaffen mit einer Reichweite von über 5.500 Kilometern. In diesem Forum sitzen sich der sowjetische Delegationsleiter Karpow und der frühere Senator aus Texas, Tower, gegenüber;

# über die Reduzierung von Atomwaffen mit Reichweiten bis zu 5.500 Kilometern, besser bekannt als Mittelstreckenwaffen (zum Beispiel Pershing-II und SS-20). Die Gespräche in diesem Forum leitet auf sowjetischer Seite Obuchow, auf amerikanischer der Karrierediplomat Glitman;

# über Waffensysteme im Weltraum, wobei der amerikanische Delegationschef Kampelman und sein sowjetischer Gegenpart Kwi-zinski vor allem die Chancen und Gefahren auskundschaften sollen, die sich aus den Forschungsarbeiten beider Seiten im Bereich einer verstärkten militärischen Nutzung des Weltalls für das strategische Gleichgewicht zwischen den beiden Supermächten ergeben könnten.

Auf amerikanischer Seite haben sich folgende Ausgangspositionen für die Genfer Verhandlungen herauskristallisiert. Bei den strategischen Atomwaffen wird Washington insbesondere auf eine Reduzierung landgestützter Interkontinentalraketen drängen. Das sowjetische Potential an SS-17, SS-18 und SS-19 wird als besonders bedrohlich empfunden, weü die Reagan-Administration in ihm die Tendenz zur Erlangung der Erstschlagskapazität durch die Sowjets sieht. Neuentwicklungen wie die SSx-24- und SSx-25-Raketen, die Moskau wahrscheinlich in wenigen Jahren aufstellen kann, sieht die derzeitige US-Regierung als Bestätigung ihrer Befürchtungen hinsichtlich eines sich immer weiter öffnenden „Fensters der Verwundbarkeit” im Interkontinentalraketen-Bereich.

Reagans Antwort darauf sind bekanntlich die MX- und die „Midgetman”-Raketen. Doch die „Midgetman” ist erst im Entwicklungsstadium und das MX-Rake-tenprogramm ist vom US-Kongreß gebremst worden. Gerade im Hinblick auf die Genfer Verhandlungen aber hat die Reagan-Administration eine Kampagne zur Fortsetzung des MX-Program-mes gestartet.

Darin wird argumentiert: Wenn der Kongreß bei der kommenden Abstimmung — vermutlich am 20. März — nicht die Erlaubnis für die Produktion weiterer Interkonti-nental-Geschoße dieses Typs gibt, werden die Erfolgschancen für die Verhandlungen in Genf erheblich gemindert.

Eine Argumentation allerdings, gegen die Reagan-Kritiker wie George F. Kennan erhebliche Vorbehalte ins Treffen führen, weü sie daran zweifeln, daß zusätzliche MX-Raketen die sowjetische Verhandlungsposition aufweichen könnten.

Im Bereich der Mittelstrecken-Raketen (INF) geht es den Amerikanern um eine Begrenzung der Zahl der sowjetischen SS-20- und der eigenen Pershing-II-Raketen auf ein möglichst niedriges Niveau. Vor allem die Europäer hoffen natürlich, daß in diesem Forum Fortschritte erzielt werden.

Zum heikelsten Verhandlungsgegenstand aber werden die geplanten Weltraumwaffensysteme werden. In den Mittelpunkt dieser Verhandlungen wollen die USA den ihrer Meinung nach durchlöcherten ABM-Vertrag (Antiraketen-Vertrag) machen. Die Sowjets aber richten ihr Hauptaugenmerk auf Ronald Reagnas Lieblingsidee einer defensiven Weltraum-Verteidigung (SDI, siehe FURCHE Nr. 6/85).

Doch Reagan machte bereits klar: Das SDI-Programm sei kein amerikanisches Tauschobjekt für sowjetische Zugeständnisse in den anderen Verhandlungsbereichen. Und Paul Nitze, Außenminister George Shultz' oberster Rüstungskontroll-Berater, erklärte warum: „SDI als ein Forschungsprogramm kann logischerweise nicht durch ein Abkommen begrenzt werden, weü es weder eine Möglichkeit gibt, dieses zu identifizieren noch zu verifizieren.”

Dennoch: Reagans Weltraum-Verteidigungspläne überdecken derzeit nach sowjetischer Auffassung alle anderen Aspekte der Rüstungskontrolle: Sei es, weü sie fürchten, durch SDI von den Amerikanern technisch überrundet, ja militärisch, politisch und ökonomisch an die Wand gedrückt zu werden; sei es, weü sie selber von den eigenen Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet ablenken wollen; sei es, weil sie hoffen, mit einer Kampagne gegen die SDI friedensbewegte und Reagan-kritische Westeuropäer gegen die NATO-Vormacht USA erneut mobilisieren und damit die transatlantischen Beziehungen unterminieren zu können.

Wie auch immer: Die Ausgangspositionen der beiden Supermächte — gerade im Bereich der Weltraumwaffen-Gespräche — verheißen harte und langwierige Verhandlungen. Daß in drei Foren verhandelt wird, bedeutet dabei Chance und Risiko für einen erfolgreichen Verhandlungsabschluß zugleich: eine Chance, weil sich daraus ein weites Feld für Konzessionen ergibt; eine Gefahr, weil die Konzentration auf ein bestimmtes Gebiet — zum Beispiel Weltraumwaffen - Fortschritte in den anderen Gesprächsforen blockieren und damit die Supermächte wieder ganz auf Kollisionskurs steuern könnten.

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