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Digital In Arbeit

Chancen fur Die Buchkultur

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Auch im vergangenen Jahr ha-. ben sich traditionsreiche sowie „jüngere", engagierte Buchverlage großen, meist ausländischen Häusern anvertraut, manche haben ihr verlegerisches Leben zur Gänze ausgehaucht. Das Defizit des österreichischen Buchhandels im Jahr davor belief sich auf nahezu 1,75 Milliarden Schilling. Ein Grund, der Zukunft des gedruckten und gebundenen Wortes mit Pessimismus zu begegnen?

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Auch im vergangenen Jahr ha-. ben sich traditionsreiche sowie „jüngere", engagierte Buchverlage großen, meist ausländischen Häusern anvertraut, manche haben ihr verlegerisches Leben zur Gänze ausgehaucht. Das Defizit des österreichischen Buchhandels im Jahr davor belief sich auf nahezu 1,75 Milliarden Schilling. Ein Grund, der Zukunft des gedruckten und gebundenen Wortes mit Pessimismus zu begegnen?

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Nicht im tiefen Pessimismus wollen wir angesichts des wirtschaftlichen Fundamentes des

Buches verfallen, nicht in die üblichen Lamentationes über das Ende des Buchzeitalters oder das „Aus" für Lese- und Buchkultur einstimmen. Von allzu häufig ausgesprochenen Untergangsprophezeiungen für das Buch einerseits und von der bloß negativ besetzten Konkurrenzangst Buchhändler gegen Medien-mac,her andererseits ist nichts zu halten. Im vollen Vertrauen und dem Wissen, daß die Buchkultur Zukunft hat und haben muß, eröffnen wir im Herzen der Stadt Wien ein Geschäftslokal, um „Bücher nächst St. Stephan" als leidenschaftliche Vertreter des gedruckten Wortes in die Öffentlichkeit zu stellen. Denn sowohl in unserer Bildungsgesellschaft wie auch in unserer Freizeitgesellschaft nimmt das Buch immer noch einen beachtlichen Rang in den Erwartungshaltungen unserer Zeitgenossen ein.

Was wir in der Realität der modernen Mediengesellschaft, die wir voll bejahen, brauchen, was wir nicht gegen, sondern gegenüber dem „Netzwerk der Macht", den Medienkanälen, den Kabelnetzen, den Nachrichtensatelliten und den Printmedien mobilisieren müssen, ist immer wieder der wissende, der denkende, der nachdenkliche, der

souveräne und der sinnbewußte Mensch, der nicht Objekt sondern Subjekt im Meinungs- und Informationsgeschehen ist und offensichtlich auch bleiben will. Dafür bietet sich das Buch nicht als Ersatz und auch nicht als Requisit für Welt- und Zeitfremde, oder als bloßer Minderheitenkonsumartikel für Freizeitbeschäftigung an, sondern als „Lebensmittel des Geistes". Das Buch ist damit Medikament, ein Heilmittel gegen die Atrophie, gegen die Verkümmerung des Denkens. So zählt das Buch nach wie vor zu den Massenmedien. So ist die gesamte Angebotspalette realistisch zu sehen und statt eines jammernden Konkurrenzdenkens komplementaristisch aufzufassen und zu gestalten. „Bildschirmstür-merei" ist obsolet, Bildung und Erziehung, aber auch die Förderung für Buch und Lesen sind vielmehr mit aller Systematik anzusetzen, wie sie hochentwickelte Gesellschaften weit weniger wichtigen Bereichen gewähren.

Einebuchlose Kultur ist undenkbar. Elektronische Unterhaltungsund Informationsmedien allein können nicht genügen. Ganz nüchtern sind demnach diagnostisch doch einige Mangelkrankheiten unserer Zeit festzustellen: Die Lesefähigkeit und Lesebereitschaft ist angeschlagen; allgemeine Fertigkeit des Lesens und Schreibens - und nicht die Kunst des Schreibens der wenigen, der wissenschaftlichen und literarischen Autoren - nimmt ab; oft geht uns die Welt aus erster Hand durch die Versorgung, durch die TV-Kanäle verloren; Phantasie und Erlebniskraft laufen leer und begnügen sich sichtbar in Sprachlosigkeit und Vorstellungsmattigkeit mit den Bildern und Inhalten der Fernsehflimmerzeichen. Der

Wortschatz unserer Menschen versickert zinsenlos zu einer neuen Wortarmut. Das öffentliche wie das private Gespräch ist allzu häufig in Unordnung geraten und produziert demnach ungeordnetes und verständnisarmes Leben.

Diese Diagnose bezieht sich lediglich auf feststellbare Tendenzen, will jedoch keineswegs irreversible, kulturpessimistische Prognose sein.

Wir wissen, daß rund 50 Prozent aller Österreicher täglich zwei Stunden fernsehen. Andererseits stellen Psychologen neuerdings fest, daß es vor allem unter jungen Menschen wachsend zur Abstinenz von diesen Medien kommt. Die Zahl der Nichtleser, so sagt uns die letzte If es-Untersuchung, nimmt ab. Aber nur 24 Prozent unserer Mitbürger haben 1989 zehn oder gar mehr Bücher gelesen. Doch ist ein knappes Viertel der Bevölkerung wirklich so wenig? Passionierte Bücherleser waren wohl auch vor der Erfindung der elektronischen Medien kaum stärker vertreten.

Bei wachsender Freizeit liegt das tiefreichende Problem unserer Gesellschaft wohl auch in deren Nutzung. Gerade hier soll das Buch den ihm gebührenden Platz einnehmen können. Deutlicher wäre von den Büchermachern davon zu reden, daß Bücherlesen sowohl Bildung als auch Entertainment bedeutet.

Wie nützt nun das Buch in der Freizeit den individuellen Ansprüchen und dem sozialen Ganzen? Wer Bücher liest hat mehr vom Medienzeitalter, gewinnt mehr Unabhängigkeit und Eigenbestimmung gegenüber den elektronischen und Printmedien. Wer in Familie

und Schule zum Buch erzogen wird, eröffnet sich die besseren Chancen zur Partizipation an und in der Gesellschaft und kommt dadurch mit Zeitgeist und Zeitklima besser zurecht. Das Buch ist ein starkes Mittel gegen die effektiv vorhandene Sprachlosigkeit, Wissensarmut und Dialogdürftigkeit. Lesen erzeugt Individualität und führt über sie zur bewußten Gemeinschaftsbildung.

Die Lebenswelt von heute kann nicht wirklich verstanden werden, ohne die historisch gewordene, also die klassische Literatur, aber auch nicht, wenn zeitgenössische Literatur nicht konsumiert wird. Belletristik vermittelt uns sowohl Unterhaltung wie auch aktuelle Orientierung in der Zustimmung und im Widerspruch zum Gelesenen. Das Lesenkönnen bestimmt und bedingt unsere eigene Sprache und Sprachkultur. Letztere ist wieder Grundvoraussetzung für die moderne Demokratie. Marian Heitger verweist darauf, daß statt dem „Willen zur Macht" der „Wille zur Verständigung" wieder genährt werden müßte, denn eine gepflegte Sprache ist für jegliche Verständigung die Voraussetzung.

Elektronische Information ist bequem, jederzeit im Wohnzimmer abholbereit. Das Buch aber muß man sich aktiv und willentlich besorgen gehen. Der Erwerb von Bildung bedeutet an und für sich Anstrengimg. Hierzu schrieb schon der österreichische Schriftsteller

György Sebestyen: „Da die Aneignung von Bildung Arbeit erfordert, wird sie als unerheblich angesehen, von manchen Ideologen mit der Hilfe eines aufwendigen Vokabulars auch geschmäht... An die Stelle der Kultur tritt die Information! Das alte Bildungsbürgertum ist verschwunden, das neue Unbildungsbürgertum erschienen... Das ersehnte Lebensglück ist die Idylle, der bevorzugte Aufenthaltsort der Platz vor dem Fernsehgerät."

Keine Schmähung des Fernsehens sei damit angesprochen, sondern die notwendigen Anstrengungen für das Buch gefordert. Bleiben wir bei den Anstrengungen. Lesen wollen und können bedeutet durchhalten können. Mühe und Anstrengung müssen wieder anerkannte Lebensgebote, Lebensziele und Lebensideale werden.

Was soll daher die Schuldzumes-sung an die Medien, wenn es um die Krise des Lesens geht? Denken wir auch in dieser Hinsicht komplementaristisch sinnvoll ergänzend mit einem klaren Rollenverständnis von den Massenmedien und für das Buch. Wir finden bei allen Gelegenheiten gute literarisch ausgefeilte und idealistische Worte für das Buch. Zu reden aber wäre ganz pragmatisch und unablässig von einem neuen Bündnis zwischen audiovisuellen Medien, den Zeitungen und dem Büch.

Der Autor ist Generaldirektor der Steirischen Verlagsanstalt STYRIA und Mitherausgeber der FURCHE.

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