6879038-1979_02_12.jpg
Digital In Arbeit

Chancen moderner Opern noch nicht abzusehen

Werbung
Werbung
Werbung

Die Reise mit dem Opernspielplan durch Europa macht die Heimat wieder liebenswert. Das Fremde, das von einer Auslandsreise erwartet wird, kommt zu kurz. Wohin Neugierde und Reiselust den Opernfreund hinführten, überall leuchten ihm von den Anschlägen altbekannte Werke der Opernliteratur entgegen.

„Madame Butterfly“ wird sowohl im Birmingham Hippodrome The-atre gespielt, wie auch im Opernhaus Graz. In Braunschweig, in Essen -Madame Butterfly. Im Stora Teatern Opernhaus in Schweden hat der „Liebestrank“ Premiere, in Stockholm an der Königlichen Oper gibt es den „Maskenball“ und den „Rosenkavalier“, und in New York haben „Aida“ und „Carmen“ Platz im Repertoire der Metropolitan Opera. „Hansel und Gretel“ fehlt im Dezember nur auf wenigen Spielplänen.

Beschränkt sich wirklich ganz Europa auf einen gemeinsamen Opernspielplan? Ein internationales Repertoire hat sich entwickelt, das kaum Lokalkolorit aufweist. Die Oper scheint über die Grenzen hinaus eine gemeinsame Plattform geschaffen zu haben, wie sie die wirtschaftlichen und politischen Bemühungen bisher nicht schaffen konnten. Mag sein, daß die Musik die gemeinsame Sprache ist, die das gegenseitige Verstehen leichter macht.

Wie kommt es, daß so vielfältige Kulturkreise Spielpläne erstellen, die sich so wenig voneinander unterscheiden? Haben alle Völker denselben Geschmack entwickelt?

Der Hobbyforscher Clemens M. Gruber, der sich seit mehr als 30 Jahren damit beschäftigt, Opern bibliographisch zu erfassen, gibt mit dem Hinweis, daß die Komponisten meist „Wandervögel“ sind, eine mögliche Erklärung dafür. In einer ersten Broschüre, die Gruber vor Jahren herausgab, führte er rund 1000 Opern an. Inzwischen ist Ihre Zahl auf mehr als 40.000 angestiegen. Der erste Teil eines mit 18 Bänden veranschlagten Werkes erschien im Herbst.

Es ist der Band 3, der ausschließlich deutschsprachige Opern zusammenfaßt und sich über den Zeitraum von 1900 bis zur Gegenwart erstreckt. Die Bände 1 und 2 werden voraussichtlich in Abständen von zwei Jahren nachfolgen und die deutschsprachigen Opern in den Zeiträumen von 1650 bis 1799 und von 1800 bis 1899 erfassen. Danach will er die Werke anderer Völker in Angriff nehmen.

Europa ist immer noch Schwerpunkt der Oper. Innerhalb Europas haben wiederum Italien, Frankreich, Deutschland und Österreich größte Bedeutung erlangt Warum haben ausgerechnet diese Länder die Führungsrolle übernommen?

Wo bleibt das übrige Europa? Was haben Ungarn, Jugoslawien, Spanien oder die skandinavischen Länder zum Opernschaffen beigetragen? In den slawischen Gebieten war die Entwicklung der Oper keineswegs bedeutungslos, aber sie setzte später ein, und die nationale Betonung verhinderte eine größere Breitenwirkung. In Spanien erfreute sich die Sazzuela großer Beliebtheit. Der gute Leumund der finnischen wie auch der schwedischen Oper kann jederzeit belegt werden. Alle diese Beiträge sind für sich gesehen wichtig, betont Gruber, aber warum sie nicht oder nur sehr beschränkt den Siegeszug um die Welt angetreten haben, müßte genauer untersucht werden.

Als die Oper im 16. Jahrhundert, von Florenz ausgehend, Einfluß in Frankreich, Deutschland und Österreich gewann, gab es im Ursprungsland Italien bedeutende Textdichter. Pietro Metastasios Texte „Salomen“, „Dido und Aneas“ und „Alexander in Indien“ wurden in etlichen Versionen vertont.

Das ist deshalb so bedeutungsvoll, weil heute die Entwicklung gerade durch das Fehlen eigenständiger Texte gekennzeichnet ist. Viele Komponisten träumen von einer so idealen Zusammenarbeit, wie sie

zwischen Richard Strauß und Hugo von Hofmannsthal bestanden hat.

„Die Chancen der modernen Oper sind heute noch gar nicht abzusehen“, meint Gruber und zählt einzelne Phänomene der Entwicklung auf: Anläßlich des 60. Geburtstages von Gottfried von Einem wurde 1977 „Der Besuch der alten Dame“ erfolgreich in der Wiener Staatsoper aufgeführt; diese Oper wurde auch in Deutschland wohlwollend aufgenommen. In Graz sah man die neue Oper „Pallas Athene weint“ von Ernst Krenek. Unlängst wurde „Der junge Lord“ von Hans Werner Henze in Wien gespielt. „Kleider machen Leute“ von Marcel Rubin, „Der Aufstand“ von Helmut Eder, „Orpheus ex machina“ von Iv^n Eröd und „König Nicolo“ von Rudolf Weishappel . sind Werke, die ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Sie werden intensiv diskutiert, sie erregen Aufsehen und werden nicht ohne weiteres akzeptiert. Einige Kompositionsaufträge wurden für die nächsten Jahre vergeben. Das Kuratorium der Salzburger Festspiele beauftragte Friedrich Cerha für 1981 eine Oper zu komponieren, und 1983 soll eine Oper von Luciano Berio in deutscher Sprache uraufgeführt werden - Versuche, die mit Spannung erwartet werden.

Der internationale Spielplan verlangt publikumswirksame Stücke. Die Opernhäuser von Weltruf wollen und können nicht Experimentierbühnen sein. Das Publikum wünscht eher tonale Musik, die ins Ohr geht.

Natürlich könnten auch einige der 40.000 Opern eine „Renaissance“ erleben, wie die Opern „Der ferne Klang“ und „Die Gezeichneten“ von Franz Schreker zeigen. Diese Wiederbelebungsversuche sind durchaus positiv zu werten, denn sie stellen dem neuen Schaffen keine direkten Hindernisse entgegen, und es ergibt sich daraus auch nicht der Verzicht auf die Weiterführung der Oper in neue oder andere Formen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung