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Chancen und Imperative einer nicht wertneutralen Erziehung

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Auf dem Katholikentag 1952 in Wien forderten die österreichischen Katholiken im Interesse der Freiheit und Würde des Menschen die Möglichkeit zur Erziehung der Jugend nach dem christlichen Gewissen in Form der Schule der freien Elternwahl. Eine klare Linie in der Zielsetzung der katholischen Schulforderungen ist weiters durch den Hirtenbrief der Bischöfe und in der Rundfunkansprache des Papstes Pius xn. an den österreichischen Katholikentag dieses Jahres herausgestrichen worden: Erhaltung und Sicherung der katholischen Schulen unter Aufbietung aller Kräfte.

Inzwischen ist ein Vierteljahrhundert vergangen. Österreich ist ein freier Staat geworden. Neue Schulgesetze haben dem Schulleben in Österreich eine starke Veränderung gebracht. Eltern haben es sogar durchgesetzt, daß der Staat für die Privatschulen die Lehrerpersonalkosten bezahlt, während anderseits von bestimmten linksgerichteten Gruppen und Grüppchen immer wieder die Meinung vertreten wird, daß katholische Schulen keine Existenzberechtigung hätten und auch der Religionsunterricht von der Schule zu verbannen sei. So ist es wohl angebracht, danach zu fragen, ob alle Kräfte auf- geboten wurden, um der Forderung des Katholikentages nachzukommen.

Das laufende Schuljahr und die Voranmeldungen für die kommenden Jahre bestätigen den Run auf die katholischen Privatschulen. Es hat in Österreich noch nie so viele Schüler in Privatschulen gegeben. Es kann weiters festgestellt werden, daß auch Eltern, die als nicht so ganz kirchennah zu bezeichnen sind, ihren Wunsch verwirklicht haben wollen, ihre Kinder in einer Privatschule ausbilden und erziehen zu lassen.

Durch das Steigen des Interesses an der katholischen Schule kommt naturgemäß auch die Kritik an der Erziehungsweise und Führung auf. Diese kritische Haltung sollte den Verantwortlichen der Schulen aber nur recht sein: kommt sie aus den Reihen der Freunde und Betroffenen, so wird sie aufbauend weiterhelfen; hört man sie aus den Reihen der sich konkurrenziert fühlenden Gegner, so wird sie die Bedeutung und die Notwendigkeit der Arbeit nur unterstreichen.

Hochsaison an den Privatschulen

Was sind dieGründe fürdas steigende Interesse der Eltern an den katholischen Schulen? Sind diese Schulen wirklich nur „Ersatzschulen”, wie die Privatschulen in der Bundesrepublik in diskriminierender Weise vom Gesetzgeber genannt werden? Die Gründe für die Wahl der Privatschule dürften recht unterschiedlich und vielfältig sein. Einige Hauptgründe seien aber herausgehoben:

• Identität der Erziehungsziele: Eltern, denen die Schwierigkeiten der Erziehung in der pluralistischen Gesellschaftsreform bewußt werden, suchen Hüffe::für die-Erziehung, ihres. KihdteS ISėPeiher Schtife, die spezifische Wertvorstellungen als Grundlage für die Erziehungsarbeit, Unterrichtsgestaltung und für das Erziehungsziel hat. Viele Eltern meinen, daß sie sich mit den Vorstellungen der Erziehung in einer Privatschule gut und leicht identifizieren können. Eltern und Schulleute sind sich einig, daß eine wertfreie Erziehung für den jungen Menschen nicht zielführend sein kann.

Nicht nur die Vermittlung von Bildungsgütern, sondern im besonderen Maß von Wertmaß Stäben, die die jungen Menschen zum kritischen Nach- ■\ denken über sich selbst, über die Gesellschaft und über die in ihr geltenden Werte befähigen, ist als ein Erziehungsziel zu sehen. Daraus ergibt sich auch, daß die katholische Privatschule nicht für eine Gesellschaftsform, die momentan besteht und sich in kurzer Zeit ändern kann, erzieht, sondern darauf abzielt, die Fähigkeit und Bereitschaft zu vermitteln, in jeder Gesellschaft den Werten nachzuspüren und die Widersprüche und Zwiespalte der angepriesenen Werte aufzudek- ken.

Integrierte religiöse Erziehung

• Religiöse Erziehung: Religiöse Erziehung, die darauf abzielt, den jungen Menschen zu einem Leben aus dem Glauben zu befähigen, die ihm hilft, den Sinn seines Lebens zu finden und ihn bereit macht, an der christlichen Gestaltung der Welt mitzuwirken, kann nicht allein im Religionsunterricht geleistet werden. Die Pflege und Entfaltung religiöser Werte muß auch dem Profanunterricht zufallen. Eine solche integrierte religiöse Erziehung setzt den christlichen Lehrer voraus, dessen Lehrersein und Katholischsein nicht beziehungslos nebeneinander stehen können, sondern integrätiv untereinander verbunden sein müssen.

Natürlich wird von diesem christlichen Lehrer nicht erwartet, daß er im Unterricht zum Prediger wird. Er hat vielmehr und vor allem in seinem Fach wissenschaftsorientiert zu unterrichten, er wird aber gegenüber der Wucht des empirischen Stoffes die tieferen, geistig-personalen Aspekte in den Vordergrund stellen. Wo könnten bessere Voraussetzungen für eine derartige religiöse Erziehung gefunden werden als in der Katholischen Privatschule? Eltern empfinden es ebenso wie der Pädagoge: Religiöse Erziehung kann nicht als „Zusatz” zur allgemeinen Erziehung verstanden werden. Die religiöse Erziehung beginnt nicht erst dann und dort, wo dem Kind religiöse Inhalte und Praktiken vermittelt werden. Jeder Bereich der Erziehung muß seine Tiefendimensionen und damit seine religiöse Bedeutung haberi.

• Pädagogische Initiativen: Nicht wenig ausschlaggebend für die Wahl einer Privatschule ist die Tatsache, daß man es in diesen Schulen nicht versäumt, neue Wege im Unterricht und in der Erziehung zu gehen. Während viele Eltern bei manchen Schulversuchen staatlicher Schulen um eine solide Ausbüdung ihrer Kinder fürchten und die parteipolitischen Tendenzen und die in vielen Fällen schon vorgegebenen „Ergebnisse” ablehnen, honorieren sie bei den Privatschulen die Initiativen zur Weiterentwicklung pädagogischer Konzepte.

Nicht wenige dieser Initiativen gibt es in Österreich. So ist wohl das Stam- ser Skigymnasium eine international anerkannte Einrichtung, die auf Privatinitiative zurückgeht. Privatschulen, wie das Gymnasium in Linz- Freinberg und das der Ursulinen in Wien-Mauer, beteiligen sich an den Schulversuchen der Modelle II und III. Tagesheimschulen werden von mehreren Privatschulen erprobt.

Das Jesuitengymnasium in Wien- Kalksburg hat schon vor 8 Jahren in einem Schulversuch die elektronische Datenverarbeitung in das Unterrichtsprogramm aufgenommen, im Rahmen des Deutschunterrichtes erlernen schon die Schüler der 2. Klasse die Technik des Maschinschreibens und in der 7. Klasse besuchen die Schüler ein Wirtschaftsseminar. Unterrichtsversuche, Schulversuche und allgemeine pädagogische Experimente werden unternommen, um für jetzt und die Zukunft die bestmöglichen Wege der Erziehung zu finden.

Katholische Schulen als echte Alternative

Daß die Initiativen der Privatschulen nicht nur einen Gewinn für das Privatschulwesen, sondern auch für das allgemeine staatliche Bildungswesen bringen, beweist die Tatsache, daß schon wiederholt das allgemeine Bildungsangebot durch die Privatinitiative bereichert wurde und dadurch Schule und Unterricht profitiert haben. Es ist nur schade, daß in Österreich die Schulversuche zu sehr von den staatlichen Behörden initiiert und gelenkt werden und der Privatinitiative der einzelnen Schulen und vor allem interessierter Lehrer zu wenig Spielraum gegeben wird.

Wenn aber von katholischen Schulen die Rede ist, so darf bei der momentanen Situation und dem derzeit regen Zuspruch nicht die Frage nach der Berechtigung, nach den Forderungen und den Imperativen an die katholischen Schulen vergessen werden. In einigen Jahren wird es sicherlich genügend Schulen in Österreich geben, so daß man auf die Plätze, die in Privatschulen angeboten werden, nicht mehr „angewiesen” ist. Die katholische Schule kann und wird demnach nicht eine Schule neben einer anderen sein, sondern sie wird eine echte Alternative gegenüber den übrigen Schulen darzustellen haben und so ihre Existenzberechtigung erbringen:

• Die katholische Privatschule hat sich durch ein klar formuliertes und konsequent verfolgtes Bildungs- und Erziehungsziel und durch eine Erziehungsarbeit, in der die religiöse Erziehung wesentlich integriert ist, auszuweisen. Die Anerkennung einer pluralistischen Welt, die uns umgibt, kann nicht zur Erziehung zur Wertneutralität - dort, wo gewertet werden muß und auch nicht zur Gesinnungslosigkeit - dort, wo Gesinnung verlangt wird - führen.

• Die katholische Schule wird in dem ihr gesteckten Rahmen all die Möglichkeiten der Entfaltung, der Experimente und Initiativen nützen, um als freie Angebotsschule eine wesentliche Bereichung des Schulwesens und des Bildungsangebotes in Österreich darzustellen. Sie wird damit also in eine gesunde Konkurrenzspannung zu anderen Schulen treten. Diese Konkur- renzierung der Schulen untereinander ist überhaupt zu verlangen, was ja letztlich dem allgemeinen Schulwesen nur nützen kann.

• Das letzte Konzil sagte klar und eindeutig aus, daß die Eltern „die ersten und bevorzugten Erzieher” sind. Jede Schule und jedes Internat, jede staatliche oder kirchliche Institution kann sich demnach nur subsidiär in den Dienst der Erziehung stellen. Von diesem Grundsatz ausgehend werden katholische Schulen und Internate dieses Hilfeangebot an die Eltern richten.

Schulversuche einer Ganztags- oder Tagesheimschule, wie sie zur Zeit durchgeführt werden, sind gar keine Schulversuche mehr, da die Betreuung der Kinder am Nachmittag ja schon längst in den Privatschulen erprobt ist. Die freie Wahl der Eltern ist freilich immer eine Voraussetzung dafür gewesen. Dieses Recht und diese Möglichkeit der Wahl den Eltern auch für die Zukunft zu bewahren, muß das Bestreben aller Demokraten sein.

Christentum kein Ersatz für Begabung

Chancen sįnd der katholischen Privatschule genügend gegeben, nur müssen Sie genützt werden. Nicht darin, daß sie sich an die Trends der Zeit anpaßt, nicht darin, daß sie eine Schule neben vielen anderen staatlichen Schulen ist, aber auch nicht darin, daß sie als Zufluchtsstätte für unbegabte Kinder reicher Eltern gilt, liegen die Chancen der katholischen Schule. Sie liegen einzig und allein darin, daß sich in ihr Lehrer finden, denen bewußt ist, daß Christentum weder Ersatz für Begabung noch für Fleiß und Wissen ist und daß das Streben nach überdurchschnittlicher Qualifikation in fachlicher Hinsicht ein Kennzeichen des christlichen Lehrers ist.

Wenn die katholische Schule gefragt und gewünscht ist - diese „Volksabstimmung” findet jährlich durch die Wahl der Schule durch die Eltern statt - so ist damit sicher der Auftrag verbunden, im gesellschaftlichen Wandel der Zeit eine christliche Initiative zu entfalten, die das Licht des Glaubens wieder zum Leuchten bringt. Das heißt: sich nicht den Trends der Zeit anzupassen und mit den Wölfen der Konsumwelt zu heulen, aber auch nicht, sich durch Schlagworte und Parolen anderer einschüchtern zu lassen und das Evangelium zu verfremden oder feige zu verstecken.

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