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Chaotischer Kulturwandel

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Die Verstädterung Schwarzafrikas führt zu Veränderungen traditioneller Sippenstrukturen und zu anderen Formen des Austausches zwischen den Generationen. Aber diese Veränderungen verlaufen nach den Ausgangsbedingungen der Stammes- und Regionaltraditionen in sehr verschiedener WeiJ se. Arabisch-moslemische oder europäisch-christliche Einflüsse werden nun von den Wirkungen säkularisierter Lebensweisen eines ungebrochenen kapitalistischen Markt-und Nutzdenkens zurückgedrängt.

So gibt es nicht die schwarzafrikanische Familie heute, sondern nur Haupttypen von Übergangsformen, die je nach Mischungsverhältnissen von Kulturbedingungen und ökonomischem Wandel erkannt werden müssen. Eines aber scheint sicher zu sein: der Kulturwandel, die Mischung von Fetischglauben, Anwendung von Magie und moderner rationaler Technologie kann psychisch noch leichter verkraftet werden als die einander widerstrebenden Sozialnormen durch die ungebremste chaotische Veränderung von Verhaltensweisen in dem, was früher Sippe und Verwandtschaft war.

In diesem Chaos besteht die Gefahr, daß die Individuen vereinsamen oder als Kompensation sich von Fundamentalismen erfassen lassen. Staatliche Sozialpolitik, Einflüsse von Organisationen, neue erzieherische Lebensformen wären auch in Afrika eine wichtige Voraussetzung zur Überwindung von schrankenlosem Egoismus oder gruppenmäßig organisierter Gewalthaftigkeit. Einen Weg, wie ihn die europäische Familie durch die ökonomisch-sozialen Eigenschaften des Bürgertums und seiner Philosophie der Intimität und der „Nähe auf Distanz” ihn nahm, wird es in Schwarzafrika nicht geben können. Dazu ist die „Uhr” der weltgesellschaftlichen und technologischen Entwicklung schon zu weit vorgelaufen.

Der Autor ist

Professor für Soziologie und Sozialphilosophie an der Universität Wien und Leiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Sozialgerontologie und Lebenslauf forschung und Autor der eben bei Pi-cus veröffentlichten Schrift „Streit der Generationen” (Wien 1993).

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