Chataffären: Krise und Katharsis - auch bei der vierten Macht

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Nicht nur die Politik, auch die Medien müssen sich dem Thema Korruption und Verhaberung stellen. Das Bewahren der Medienvielfalt sowie Diversität in den Redaktionen erleichtern die Katharsis.

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Nicht nur die Politik, auch die Medien müssen sich dem Thema Korruption und Verhaberung stellen. Das Bewahren der Medienvielfalt sowie Diversität in den Redaktionen erleichtern die Katharsis.

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"Verlottern? Verteufeln? Verhungern?“: Unter diesem Motto haben Medienfrauen diese Woche beim österreichischen Journalistinnenkongress über den wachsenden Druck auf Qualitätsjournalismus diskutiert. Das Thema konnte aktueller nicht sein: Nur wenige Tage davor hatte ein Auswertungs­bericht der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft Chats an die Öffentlichkeit gebracht, die das ohnehin schwindende Vertrauen in „die Medien“ weiter erodieren lassen.

Nicht Politiker, sondern Journalisten – zumal namhafte aus dem Qualitätssegment – standen diesmal im Fokus: Rainer Nowak, Chefredakteur der Presse – die wie DIE FURCHE zur Styria gehört; und Matthias Schrom, Chefredakteur von ORF 2. Die allgemeine Empörung wie auch die persönliche Enttäuschung über das Fehlverhalten der Kollegen waren groß. Montag dieser Woche wurden schließlich Konsequenzen gezogen: Sowohl Nowak als auch Schrom ziehen sich bis zur Klärung der Sachverhalte zurück. (Anm.: Schrom ist am Mittwoch nach Redaktionsschluss, Nowak am Freitag zurückgetreten.)

So stark und unabhängig die betroffenen Redaktionen schon bisher agierten und weiter agieren, so verheerend ist die Außenwirkung. Spitzenvertreter der „vierten Macht“, die sich mit der anderen Macht gemeinmachen, statt sie zu kontrollieren: So etwas befeuert das durch Migrationskrise und Pandemie gewachsene sowie in „alternativen Medien“ genährte Raunen von „Systemmedien“ oder „denen da oben“. Wie weit dieses Misstrauen reicht, hat der jüngste APA-OGM-Vertrauensindex erhoben: „Medien und Verlage“ rangieren darin auf dem vorletzten Platz – dahinter landet nur noch die Regierung.

Weder Verhamlosung noch Pauschalierung

Dass nun nicht nur in der Politik, sondern auch in Österreichs kleiner Medienwelt eine Läuterung nottut, ist offenkundig. Verharmlosungen sind fehl am Platz, gleichfalls freilich auch Pauschalierungen. Nein, das deutlich gewordene Sittenbild ist nicht „Mainstream“. Und nein, die „Cliquen und Klüngel“, die es in einer idealen Demokratie stets zu bekämpfen gelte, wie György Sebestyén 1986 in seinem programmatischen Artikel „Mein Österreich“ schrieb , sind heute vermutlich nicht ausgeprägter als einst. Eher im Gegenteil. Digitale Transparenz macht nur nachlesbar, was früher in Hinterzimmern besprochen wurde. Zugleich ist klar, dass das Problem politmedialer Verhaberung und Abhängigkeit auch außerhalb der 300.000 Chatnachrichten auf Thomas Schmids Handy existiert.

Was also ist zu tun? Wie muss die Katharsis aussehen? Die Journalist(inn)engewerkschaft fordert, dass Redaktionen in ihren Statuten auch das Recht bekommen sollen, Chefredakteure abzuwählen – ebenso fordert man ein kritisches Medienmagazin im ORF sowie eine neue Einladungspolitik für die „Runde der Chefredakteur:innen“; „Reporter ohne Grenzen Österreich“ hat eine Plattform für Whistleblower eingerichtet – und der Standard einen Transparenzblog.

Doch auf struktureller, politischer Ebene? Hier haben die jüngsten Chats einmal mehr die unausrottbare parteipolitische Durchdringung des ORF verdeutlicht. So naiv es wäre, sie in absehbarer Zeit loszuwerden: Eine Neukonzeption des Stiftungsrates ist überfällig.

Ebenso überfällig sind konkrete Maßnahmen, die mediale Vielfalt dieses Landes in Zeiten von digitaler Transformation und Teuerung zu bewahren. So groß der politische Druck auf die big player ist, so groß ist der wirtschaftliche Druck auch auf die kleinen. Zwar soll die Medienförderung ausgebaut werden, verglichen mit der Parteienförderung bleibt sie aber marginal; zudem blieb die geforderte Deckelung der Regierungsinserate aus. Der Plan, aus der Wiener Zeitung eine (staatliche!) Journalismusschule zu machen, ist vorerst der Gipfel.

Eine vielfältige Medienlandschaft mit unterschiedlichen Blickwinkeln und gesunder Konkurrenz: Das ist und bleibt die tragendste Säule der „vierten Macht“; und auch in den Redaktionen selbst sind Vielfalt und Diversität eine gute Prophylaxe gegen Cliquen und Klüngel.

Womit wir wieder beim diesjährigen Journalistinnenkongress wären: Nein, Frauen sind keine besseren Menschen. Aber sie machen die Verhaberung unter seinesgleichen oder „Bubenurlaube“ doch etwas schwieriger als gedacht.

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