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Chef ohne Land

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Gründung eines arabisch-muselmanischen Palästina-Teilstaates in den nicht zu Israel gehörenden, aber gegenwärtig größtenteils von ihm besetzten Resten Palästinas als Bestandteil einer von den Kontrahenten des Sechstagekrieges auszuhandelnden und von den Supermächten garantierten endgültigen nahöstlichen Friedensregelung — oder Einigung aller Guerillagruppen nach dem Vorbild des Vietkong, wie es PLO-Chef Jassir Arafat vorschlug, und Fortsetzung des bedingungslosen Guerillakampfes bis zum Endsieg gegen die arabischen Regierungen und den jüdischen Staat? Das ist die politische Alternative, vor die sich in Kairo der „Palästinensische National-Kongreß" (PNC) gestellt sah. Der PNC zählt 112 Mitglieder, die in der „Palästinensischen Befreiungsorganisation" (PLO) zusammengeschlossen sind, und fungiert als Exilparlament der Guerilleros. Gastgeber Präsident Anwar Es-Sadat hatte in seiner Eröffnungsrede das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes bekräftigt und der Guerillabewegung weitere Unterstützung seines Landes in Aussicht gestellt. Diese Versprechen stehen zwar in einem gewissen Gegensatz zu Zwangsmaßnahmen der Regienm-gen Ägyptens, Libyens und Syriens gegen mit den „Fedajin" sympathisierende palästinensische Emigranten, sie deuten aber darauf hin, daß die Araberstaaten auch nach dem Zustandekommen einer Vemunft-lösung des Palästinakonfliktes nicht auf das polltische Druckmittel der Flüchtlinge und der Guerilleros verzichten oder doch die Hoffnung aufgegeben haben, Israel werde in der Frage der Grenzziehung und der Regelung der Flüchtlingsansprüche befriedigende Lösungen anbieten. Der Kairoer Session vorausgegangen war eine beinahe unbeachtet gebliebene geheime Sitzung des Zentralkomitees der ,JPalästinensischen Befreiungsorganisation" (PLO) in Damaskus. Ihr war PLO-Chef Jassir Arafat demonstrativ ferngeblieben, nachdem sich herausgestellt hatte, daß seine Kritiker innerhalb der von ihm gegründeten und geleiteten ,JE1-Fatah" („Die Eroberung") und seine Gegenspieler in den kleineren radikalen Guerillagruppen über ihn zu Gericht sitzen wollten. Der Oberbefehlshaber der „Palästinensischen Befreiungsarmee" (PLA), Brigadegeneral Abdel Rasska Jachja, der die im Süden Syriens stationierte sieben- bis achttausend Mann starke reguläre palästinensische Streitmacht dirigiert und auch von Gegnern als militärisches Talent anerkannt wird, hatte politische Kcmsequenzen gegen die für die Niederlage im transjordanischen Bürgerkrieg und für den sinnlosen Tod Tausender von Palästinensern verantwortlichen Guerillaführer sowie die Auflösung des ZK der PLO und die Unterstellung aller Widerstandsgruppen unter das PLA-Kommando gefordert Auch in Kairo geht es weniger um die geschilderte Alternative zwischen politischer Vernunft und Utopie, als um personelle Probleme, vor allem das künftige Schicksal Arafats. Seine Kritiker werfen ihm vor, er habe seinem Machürieb gefrönt, indem er im Ausland als Oberhaupt eines nichtexistierenden Staates aufgetreten sei, habe seine Gegner mit Mordanschlägen verfolgt, Spendengelder zweckentfremdet, mit König Hussein gegen die palästinensischen Massen konspiriert und treibe Günstlings-wirtschaft zugunsten seiner favorisierten Jünglinge. Sogar in der von ihm befehligten „El-Fatah" macht man bereits Wetten über seine aussichtsreichsten Nachfolgekandidaten.

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