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Chemiegesetz — ein erster Schritt

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Ohne moderne Chemie wäre unser Lebensstandard nicht zu halten, müßten wir auf Kunststoffe verzichten, die schwindende natürliche Rohstoffe ersetzen, könnte die Menschheit nicht mehr ernährt werden, würden sich anhaltende Hungerkatastrophen ausbreiten. Schließlich versorgt uns die Chemie mit Arzneimitteln.

Dies hat aber auch zur Folge, daß gewaltige Mengen von Chemikalien, die auch Gefahren in sich bergen können, hergestellt und in Verkehr gesetzt werden.

Es werden heute über 100.000 Stoffe, die in mehr als einer Million „Zubereitungen“ enthalten sind, auf den Markt gebracht. Viele, darunter auch giftige, sind unentbehrlich. In ihnen kann sich aber auch ein bis heute unbekanntes Gefahrenpotential für Mensch und Umwelt verbergen. Einige Stoffe, wie Asbest, haben über Jahrhunderte als ebenso nützlich wie harmlos gegolten, bis ihre gefährlichen Eigenschaften erkannt wurden.

Viele derartige Gefahren wurden erst in den letzten Jahrzehnten deutlich, weil diese Stoffe vielfach nur in kleinen Mengen in die Umwelt gelangen und die Wissenschaft erst seit kurzem empfindliche Nachweisverfahren besitzt, weil diese kleinen Mengen oft keinen unmittelbar spürbaren Schaden anrichten, sondern erst nach Jahren oder gar nach Generationen ihre schädliche Wirkung zeigen, und weil viele erst im Laufe der letzten Jahrzehnte in größerem Umfang produziert wurden.

Viele dieser Stoffe nehmen wir täglich in unseren Körper auf — in winzigen Spuren mit Luft, Trinkwasser, Nahrung.

Wir haben andererseits in den letzten Jahrzehnten viel Erfahrung und Wissen gewonnen. So kann zum Beispiel der langfristige Umgang mit bestimmten Stoffen krebsfördernd sein. Chemikalien können zu Schäden am ungeborenen Kind führen. In der Umwelt vorhandene Stoffe können Erbschäden verursachen, die möglicherweise erst nach Generationen erkannt werden.

Die Frage ist also nicht: Chemikalien oder keine Chemikalien? Die Frage ist: Wie können wir verhindern, daß schädliche Stoffe unsere Gesundheit und unsere Umwelt bedrohen? Es geht dabei im Prinzip um die toxikologische Bewertung sämtlicher chemischen Stoffe, der Altstoffe wie der neuen.

Eine Regelung des Umgangs mit chemischen Substanzen bringt das Chemikaliengesetz, das nach siebenjährigen Beratungen im Juni beschlossen wurde und am 1. Februar 1989 in Kraft tritt. In Paragraph 1 heißt es:

„Ziel dieses Bundesgesetzes ist der Schutz des Lebens und der Gesundheit des Menschen und der Umwelt vor unmittelbar oder mittelbar schädlichen Einwirkungen, die durch das Herstellen und Inverkehrsetzen, den Erwerb, das Verwenden oder die Beseitigung von Stoffen, Zubereitungen oder Fertigwaren entstehen können.“

Das Chemikaliengesetz ergänzt sinnvoll die bestehenden Regelungen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes, nämlich Lebensmittelgesetz, Arzneimittelgesetz, Immissionsschutzrecht und Strahlenschutzgesetz, Waschmittelgesetz, Pflanzenschutzgesetz, Sonderabfallgesetz, Altölgesetz. Sie sind inzwischen selbstverständlicher Bestandteil unseres Alltags geworden. Im Verbund mit diesen Schutzbestimmungen schließt das Chemikaliengesetz eine große Lücke.

Der Gesetzgeber will die Gefahr von Gesundheitsschädigungen und Unfällen mit chemischen Stoffen, ob im Privatleben oder am Arbeitsplatz, sowie die Schädigung der Umwelt durch diese

Stoffe soweit wie möglich ausschließen oder zumindest eindämmen.

Das Gesetz schreibt vor, daß Hersteller und Importeure einen Stoff beziehungsweise Bestandteil einer Zubereitung (Anstrichmittel, Klebstoffe et cetera) nur einführen oder in Verkehr setzen dürfen, wenn er spätestens 90 Tage zuvor mit entsprechenden Anmeldungsunterlagen - insbesondere den Gefährlichkeitsmerkmalen (Giftigkeit, Karzinogeni-tät, Erb- und Fruchtschädigung, Brennbarkeit, Umweltgefährlichkeit et cetera) - angemeldet wurde. Dies gilt allerdings nicht für „alte Stoffe“, das sind solche, die in der Altstoffliste EINEDE der Europäischen Gemeinschaft enthalten sind.

Für gefährliche Stoffe sind außerdem Empfehlungen über Vorsichtsmaßnahmen beim Verwenden und über Sofortmaßnahmen bei Unfällen anzugeben. Außerdem gibt es Verpackungs- und Kennzeichnungsvorschriften. Dadurch soll die Behörde rechtzeitig detaillierte Informationen über die mögliche Gefährlichkeit aller neuen Stoffe erhalten, damit sie notfalls Maßnahmen setzen kann, um Schäden für Mensch und Umwelt vorzubeugen (Vorsorgeprinzip).

Dies setzt voraus, daß Hersteller und Importeure die anzumeldenden neuen Stoffe nach international anerkannten wissenschaftlichen Methoden geprüft haben. Mit dem Anmeldeverfahren wird eine sorgfältige Kontrolle der eingereichten Unterlagen verbunden sein.

Gefährliche Stoffe und Zubereitungen sind ferner so zu verpacken und zu kennzeichnen, daß bei vorschriftsmäßiger Verwendung Gefahren für Gesundheit und Umwelt vermieden werden. Hersteller und Importeure müssen in Zukunft dafür sorgen, daß die Verpackung einen sicheren Verschluß erlaubt und die Verbraucher eindringlich auf mögliche Gefahren, insbesondere mit Hilfe von Gefahrensymbolen, aufmerksam gemacht werden.

Das Chemikaliengesetz ermächtigt den Bundesminister für Umwelt, Jugend und Familie gemeinsam mit dem Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten, weitergehende Regelungen zu treffen. Sie reichen von Herstellungs- und Vertriebsvorschriften bis zum völligen Verbot eines Erzeugnisses. Verstöße können mit Geldstrafen bis zu 200.000, bei Wiederholung bis zu 400.000 Schilling bestraft werden.

Bewertung und Einstufung von bereits in Verkehr befindlichen Chemikalien (Altstoffen) stellen ein großes Problem dar. Es gilt unter den etwa 100.000 weltweit in Verkehr befindlichen Stoffen diejenigen zu erkennen, die für Mensch und Umwelt ein Risiko darstellen und einer Einstufung hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit bedürfen. Hier ist noch ein großes Stück Arbeit zu bewältigen.

In den letzten Jahren hat sich unser Wissen bezüglich der Gefährlichkeit von Chemikalien für Gesundheit und Umwelt erheblich erweitert. Es wurden neue Erfahrungen gewonnen und weitere Risken erkannt. Das Chemikaliengesetz wird Handel und Industrie verpflichten, Chemikalien nach dem Stand der Wissenschaft einer kritischen Risikoabschätzung mit laufender Selbstkontrolle zu unterziehen, nicht nur neu in Verkehr gesetzte Stoffe, sondern auch die sogenannten Altstoffe.

Der Autor leitet die Chemikalienabteilung, des Bundesministeriums für Umwelt, Jugend und Familie.

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