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China-ein Jahr danach
Am 4. Juni ist es ein Jahr her, daß die Schreckensbil- der über das Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens" in Peking über die TV-Schirme flimmerten und die Welt erschütterten.
Am 4. Juni ist es ein Jahr her, daß die Schreckensbil- der über das Massaker auf dem „Platz des Himmlischen Friedens" in Peking über die TV-Schirme flimmerten und die Welt erschütterten.
Im Mai 1990 auf dem Tianan- men-Platz in Peking: Hunderte von Touristen, vor allem aus Taiwan und Japan, flanieren mit Fotoap- paraten. Vor dem Mausoleum ste- hen sie Schlange, um den einbalsa- mierten Mao zu sehen, ihm viel- leicht sogar Ehre zu erweisen. Äußerlich ist alles in Ordnung, die chinesische Regierung scheint die Situation im Griff zu haben, doch die vielen Polizisten in Uniform und in Zivil, die Überwachungskame-
ras auf dem Platz lassen die Re- pression erahnen. Die Studenten haben laut Beobachtern in Peking Tiananmen-Verbot, vielen werden Paß und Visum für Studien im Ausland verweigert.
Wer zur Zeit als Journalist in China einreisen will, hat keine Chance, ein Visum zu bekommen, außer er geht den Schleichweg über ein Touristenvisum. Aber nicht nur der Jahrestag des Massakers ist ein kritischer Moment für Partei und Regierung, auch die im September in Peking stattfindenden Asiati- schen Spiele, zu denen rund 2.500 Journalisten aus aller Welt erwar- tet werden, müssen über die Runde gebracht werden. Die Präsenz der Journalisten könnte von gewissen Kräften ausgenützt werden.
„Wer glaubt denn hier wirklich noch an die Partei?!", ruft ein deut- scher Sprachprofessor bei einer Begegnung im Mai in einer Univer- sität in Peking mit verhaltener Stimme aus. Zwar beugen sich die älteren Leute dem Parteidiktat, doch sie warten nur auf bessere Zeiten. Die Jungen, vor allem Intel- lektuelle, suchen in ihrer oft großen Orientierungslosigkeit nach neuen Werten, suchen nicht zuletzt in der Religion, in der Kirche. Protestan- ten wie Katholiken in China haben seit der Zerschlagung der Demo- kratiebewegung einen stärkeren Zuwachs, vor allem an jungen Menschen.
„Es genügt, die Tausenden von Jugendlichen zu sehen, die zu Weih- nachten die Straßen vor der Nan- tang-Kirche (Kirche des Südens) in Peking füllten, weil sie in der Kir- che keinen Platz mehr fanden, - und auch in der Universität feier- ten wir Weihnachten", erklärt der deutsche Professor, der als Auslän- der streng überwacht wird. In Chi- na gibt es etwa 100 ausländische Priester und Ordensleute, denen jedoch jegliche pastorale oder mis- sionarische Arbeit gesetzlich ver- boten ist. Sie arbeiten als Zivilper- sonen, meist als Sprachlehrer.
Das Hauptproblem Chinas ist nach den Worten des Sprachpro- fessors die Entwicklung eines Rech- tes, das dem einzeihen zu selbstver- antwortetem und\ freiheitlichem Handeln verhilft. Ejn solches Recht habe sich bisher r\je entwickeln können: DBisKaiser-Bynastien lag der Konfuziamsmu|,*ugrunde, der mit seinemEtikettsystem, der Ver- ehrung der Autoritäten, der Hier- archie und des Alters für den Staat und die Stützung des Kaisers bis zu dessen Vergötterung mißbraucht wurde. Unter der neuen Herrschaft der kommunistischen Partei, unter Mao, der auch bis zur Vergötterung verehrt wurde, diente - und dient bis heute - der Konfuzianismus zur Stützung von Parteiapparat und Staatsideologie.
Doch die Jungen haben all das heute satt. Der Generationenkon- flikt ist vor allem in den Städten eklatant. Die Kirche hat heute in
China-ein Jahr danach
Sprengkraft der Religion im Überwachungsstaat
China eine große Chance, weil sie den Grundsatz vermittelt „vor Gott sind alle gleich" - eine Idee von enormer Sprengkraft.
Wie groß ist der Einfluß der Kir- che eigentlich? Die nach offiziellen Angaben rund 3,5 Millionen Ka- tholiken und die mehr als vier Mil- lionen Protestanten sind in dem offi- ziell 1,1 Milliarden-Staat (nach in- offiziellen Angaben hat er bereits die 1,3 Milliarden-Grenze erreicht) eine verschwindende Minderheit von nicht einmal einem Prozent!
Es ist nicht leicht, herauszufin- den, inwieweit Katholiken und Protestanten in China an der De- mokratiebewegung beteiligt waren. Vor allem gegenüber Ausländern spricht man nicht gern darüber und hüllt sich lieber in Schweigen oder lehnt jegliche Beteiligung katego- risch ab. Nach den Worten von Bischof Li Du'an in Xi'An in der
Provinz Shaanxi, welcher der vom Staat kontrollierten „Patriotischen Vereinigung der Katholiken Chi- nas" angehört, hatten die Ereignis- se vom vergangenen 4. Juni keine Sanktionen gegen die Kirche zur Folge. Die Katholiken hätten ja auch nicht mitgemacht. Hingegen seien nach dem Massaker in den Pfarren im ganzen Land Gebets- kreise organisiert und Geld gesam- melt worden für die Familien der gelynchten Soldaten.
Bischof Li Du'an, der sich im eher selten gewordenen blauen Mao- Look präsentiert, war 20 Jahre im Gefängnis, bevor er 1987 zum Bi- schof geweiht wurde. Ihm ist vor allem die Einheit der Kirche Chi- nas ein Anliegen. Über die im letz- ten November von der Untergrund- kirche gegründete Bischofskonfe- renz ist er - wie übrigens auch der Vatikan - nicht glücklich. Damit
werde in China die Gefahr einer Spaltung in „offizielle" Kirche und der nicht zur patriotischen Verei- nigung gehörenden Katholiken nur noch größer.
Auch auf protestantischer Seite gibt es eine „Untergrundbewe- gung" . Wie für viele Katholiken der Bruch mit Rom und die Zusam- menarbeit mit der „Patriotischen Kirche" unvorstellbar war, weiger- ten sich mehrere protestantische Vereinigungen, sich der vom Staat geförderten Drei-Selbstbewegung (Selbstverwaltung, Selbsterhal- tung, Selbstverkündigung) anzu- schließen und gerieten dadurch in eine Dissidenten-Rolle.
In China sind heute fünf Reli- gionsgemeinschaften staatlich an- erkannt und genießen die in der Verfassung garantierte Religions- freiheit: Die Christen (alle prote- stantischen Kirchen und Denomi- nationen), die patriotischen Verei- nigungen der Katholiken, Musli- me, Buddhisten und Taoisten. In einzelnen Gebieten besteht heute auf lokaler Ebene die Tendenz, die Kontrolle und die Restriktionen gegenüber den Religionsgemein- schaften zu verschärfen. Doch die Zeiten, da die Religion als reiner Aberglaube abgetan wurde, sind offensichtlich vorbei. Viel für die Zukunft Chinas wird von der Dia- logbereitschaft und -fähigkeit von Regierung, Partei und Kirchen abhängen.
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