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Chinaöl gegen Sowjetschiffe

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In den zerrütteten Regionen Südasiens weiß man heute, daß Erdöl eine der Triebkräfte hinter dem Coup von Bangladesh gewesen ist; chinesisches Erdöl. Sogleich nachdem die neuen Herren in Dakka mit dem alten Präsidenten Mujibur Rahman auch das alte Regime beseitigt hatten, lockerten sie die Beziehungen mit Indien und der UdSSR und verkündeten die Aufnahme diplomatischer und freundschaftlicher Beziehungen mit Pakistan und China. Die Befreier von 1971 waren plötzlich in Ungnade. Doch den pakistanischen Unterdrückern war der Völkermord längst vergeben, ihre chinesischen Freunde und Verbündeten standen in Dakka plötzlich in hoher Gunst. Kaum eine Woche nachher begannen die Chinesen, in Dakka die Eröffnung einer der größten Botschaften Pekings im Ausland vorzubereiten. Zu gleicher Zeit trafen die ersten Tanker mit Erdöl aus China in Chittagong, dem großen Hafen von Bangladesh, ein.

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In den zerrütteten Regionen Südasiens weiß man heute, daß Erdöl eine der Triebkräfte hinter dem Coup von Bangladesh gewesen ist; chinesisches Erdöl. Sogleich nachdem die neuen Herren in Dakka mit dem alten Präsidenten Mujibur Rahman auch das alte Regime beseitigt hatten, lockerten sie die Beziehungen mit Indien und der UdSSR und verkündeten die Aufnahme diplomatischer und freundschaftlicher Beziehungen mit Pakistan und China. Die Befreier von 1971 waren plötzlich in Ungnade. Doch den pakistanischen Unterdrückern war der Völkermord längst vergeben, ihre chinesischen Freunde und Verbündeten standen in Dakka plötzlich in hoher Gunst. Kaum eine Woche nachher begannen die Chinesen, in Dakka die Eröffnung einer der größten Botschaften Pekings im Ausland vorzubereiten. Zu gleicher Zeit trafen die ersten Tanker mit Erdöl aus China in Chittagong, dem großen Hafen von Bangladesh, ein.

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Damit meldet Peking, nach Jahren der Zurückhaltung, seine Präsenz mitten im wichtigsten Einflußgebiet Moskaus an. Erdöl aus Peking bahnt dazu den Weg. In Neu-Dehli rechnet man damit, daß China eine Erdöloffensive in den erdölhungrigen Ländern der Vierten Welt aufrollen wird. Begrenzt zwar, doch für die Erdölhungrigen und für die UdSSR durchaus fühlbar.

Der Hafen von Chittagong stand nach der Befreiung von westpakistanischer Unterdrückung im Dezember 1971 unter sowjetischer Kontrolle. Nach zwei Jahren sowjetischer Mi-nenräumung und Wiederherstellung des Hafens blieb ein sowjetischer Stützpunkt zurück. Doch jetzt haben die chinesischen Tanker und Frachter die Sowjets in den Hintergrund gedrängt. Fünf chinesische Tanker und Frachter, die meisten gechartert, lagen anfangs September vor Anker. Zwei Millionen chinesisches Rohöl soll über Chittagong in das Land gebracht werden. Das neue Regime in Dakka ist der brennendsten Erdölprobleme ledig und nicht mehr dem Preisdiktat der arabischen, dem politischen Diktat der sowjetischen Erdöllieferanten ausgesetzt.

1971 hatte das westpakistanische Standrecht im damaligen Ostpakistan als der Inbegriff von Barbarei und Schrecken gegolten. Die Unterstützung der pakistanischen Generäle kostete damals die chinesischen Kommunisten Einfluß und Sympathien in ganz Südasien. Die Mißwirtschaft und die Impotenz des Befreiungsregimes des Mujibur Rahman, der Druck der verbündeten Befreier von 1971, Indiens und der UdSSR, brachten es aber zuwege, daß in Bangladesh die Erinnerungen an den pakistanischen „Völkermord“ vergessen wurde und in der ganzen Region die Verachtung für Mujibur wuchs. In einer Zeitspanne von drei Jahren wurde aus den „Teufeln von 1971“ und ihren Verbündeten, den Pakistanern und den Chinesen, die verlorenen Freunde, die man wiedergewinnen wollte. Im Frühjahr dieses Jahres trug Präsident Mujibur Rahman dem Wetterwechsel Rechnung und sandte als seinen persönlichen Delegierten den Botschafter Kaiser, der früher pakistanischer Diplomat in Peking gewesen war, nach China. Zu spät! Die Chinesen wollten mit dem abgewirtschafteten Regime und seiner Sowjet- und Indienfreundschaft nichts mehr zu tun haben. Und sie ölten die Konspiration gegen Mujibur.

Bangladesh stand noch unter dem Bann der Ermordung des Mujibur Rahman, da trafen in Dakka schon mehr als dreißig chinesische Diplomaten ein. Die chinesische Botschaft dürfte bald einen Personalstand von mehr als hundert Funktionären haben. Die Chinesische Handelskammer hat bereits ihre Niederlassungen in Dakka und in Chittagong eröffnet. Wie die Sowjets früher an den Hafenanlagen gearbeitet haben, so arbeiten jetzt die Chinesen an Erdölanlagen. Chittagong ist über Nacht ein Erdölzentrum geworden.

Das chinesische Erdöl ist um fast 20 Prozent billiger als OPEC- und Sowjetöl. Kreditverträge wurden zu Nominalzinsen und für Laufzeiten von 15 bis zu 20 Jahren abgeschlossen. Mit den Erdölschiffen kamen Frachter aus Indien; Nahrungsmittel,

Saatgut für die Herbstaussaat, Straßenbaumaschinen — und politisches, auch islamisches Material in bengalischer Sprache, der Sprache, für die Ostbengalen seinen Widerstand gegen das urdusprechende Westpakistan vor Jahren begonnen hatte, der Sprache, die für Peking, den Bündnispartner Westpakistans, bisher immer die verpönte Sprache des indischen Imperialismus gewesen war. Chittagong war immer, selbst während der Befreiungseuphorie zu Beginn des Jahres 1972, eine Stadt der geheimen Chinasympathien und des geheimen Chinamarktes gewesen. Der neue Umschwung hat die Stadt eine Woche lang in eine Feststadt verwandelt und der Chinamarkt ist jetzt ganz offiziell geworden. Chittagong ist eine gottverlassene Stadt, die immer nur auf die nächste Springflut zu warten scheint. Unter der chinesischen Sonne ist sie jetzt lebendiger geworden.

Von Bangladesh breitet sich die Faszination des chinesischen Erdöls und die Angst vor dem chinesischen Erdöl über ganz Südasien aus. In Ceylon bemühen sich Ministerpräsident Bandaranaike und zugleich die halblegale Opposition um die chinesische Gunst. In Indien beginnen sich, trotz Ausnahmezustand und dem politischen Druck vom Zentrum her, Kongreßführer wieder stärker für China zu interessieren. Das Beispiel des jungen Ostbengalenstaates bleibt im indischen Westbengalen nicht ohne Wirkung. Das Zentrum aber verstärkt den „Erbfeindkomplex“ gegen China, bezichtigt die USA der direkten und der indirekten Hilfe für die chinesische Erdölproduktion und damit der Vorschubleistung für die erwarteten Erdöloffensiven Pekings.

Die Erschütterungen in den Ländern Südasiens beschleunigten die Exekution der chinesischen Pläne in Bangladesh. Der Ausnahmezustand, den Indira Gandhi über ihr Indien verhängt hat, der permanente Notzustand, der über Ceylon seit der Aus-waggonierung der trotzkystisch-linkskommunistischen Minister aus der Regierung der Bandaranaike liegt, stärkten den Wunsch Pekings nach einem sicheren Stützpunkt in einem neuen, mit China befreundeten Bangladesh; mitten in dieser Region, für die Tschu En-lai schon 1971 permanente Turbulenz vorausgesagt hatte. Leistungen und Gegenleistungen waren zwischen den Konspira-teuren in Dakka und den Politikern von Peking schon festgelegt, als Mujibur ermordet und das Mujibur-Re-gime beseitigt wurde.

Natürlich hat der Einsatz von Erdöl in Pekings Asienpolitik Indien und die UdSSR in Unruhe versetzt. Man wußte schon lange von dem Plan, man zweifelte aber an der Kapazität, die Pläne auch zu verwirklichen. Überraschungen lösen in Indien oft Hysterie aus. Schon hört man von einer chinesischen Erdölpolitik zur „Isolierung Indiens“ in Asien. Angst und Rivalität fachen die indisch-chinesische Feindseligkeit neu an. Und in Neu-Delhi orakelt das indische Erdölministerium, daß die 'chinesische Erdölproduktion sich der saudiarabischen nähern werde. Die schwarzen Prophezeiungen sollen offenbar Moskau antreiben, Indien besser und billiger mit Erdöl zu versorgen — als Bollwerk in einer zukünftigen Erdölkonfrontation zwischen den kommunistischen Supermächten.

Die Wirklichkeit freilich, ist weniger alarmierend. China produzierte 1974 nur 475 Millionen Barrels Erdöl; im Vergleich mit drei Billionen Barrels der Jahresproduktion von Saudi-Arabien. Doch in zwölf Jahren, so sagt man nicht nur in Delhi, sondern auch unter den Erdölexperten der arabischen Welt, könnte China die Produktion von Saudi-Arabien erreichen.

Tatsächlich verfügt Peking über Lager von modernstem Bohrmaterial und -maschinen aus den USA, aus Frankreich und aus Rumänien. Und Washington unterstützt selbst gegen Südkorea und gegen Taiwan Pekings Anspruch auf Unterwasserbohrrechte in einer Entfernung bis zu 300 Kilometer von der chinesischen Küste. Doch selbst bei einer Förderungskapazität im Ausmaße jener Saudi-Arabiens ist der chinesische Selbstbedarf eine Begrenzung der chinesischen Exportmöglichkeit — es sei denn, es kommt zu einem Erdölkampf auf Tod oder Leben mit der UdSSR, der zuerst um Nordkorea, Nordvietnam, Japan und den indischen Subkontinent ausbrechen würde.

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