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Chinas Armee auf „langem Marsch"

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Mit 4,5 Millionen Mann ist die chinesische Volksbefreiungsarmee die größte Streitmacht der Welt. Technisch gesehen liegt sie jedoch mindestens 20 Jahre im Rückstand.

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Mit 4,5 Millionen Mann ist die chinesische Volksbefreiungsarmee die größte Streitmacht der Welt. Technisch gesehen liegt sie jedoch mindestens 20 Jahre im Rückstand.

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Alle konventionellen Waffen und alle herkömmlichen Waffensysteme sind veraltet. Die Militärdoktrin löst sich nur langsam von jener „grundlegenden Theorie" Maos, wonach die stärkste Waffe der Mensch sei und das Kriegsgerät von untergeordneter Bedeutung ist. Dies zu verstehen - muß man auch die Umstände kennen, die die Gründungs jähre

und die Entwicklung der rotchinesischen Streitkräfte prägten.

Wenige wissen es, daß die chinesische kommunistische Armee eigentlich mit dem Jahr 1924 ihre Anfänge hatte. Damals schlössen sich in der Whampoa-Militär-akademie bei Kanton zahlreiche Offiziersanwärter der Kommunistischen Partei Chinas an.

Damals kämpfte die Kommunistische Partei Schulter an Schulter mit der Nationalrevolutionären Armee von Tschiang Kai-scheks gegen die rückständigen Kriegsherren Nord-Chinas. Die Wege der chinesischen Kommunisten und der Kuomintang (Nationalistische Partei Chinas: die Partei Tschiang Kai-scheks) trennten sich jedoch im Jahre 1927.

Am 1. August 1927 - dem Tag, den man noch heute in China als Gründungstag der Volksbefreiungsarmee begeht — erhoben sich in Nantschang (Provinz Kiangsi) einige Einheiten der regulären Armee gegen die Kuomintang, die sie nicht weiter unterstützen wollten. Führer dieser Militärrevolte waren Tschu Te und Tschu En-lai.

Bereits in diesem Zeitraum betrachtete man Mao Zedongs Kampf für ein kommunistisches China in Moskau mit wenig Wohlwollen. Stalin paßten Maos eigener Weg und seine Selbständigkeit nicht. Die Unterstützung der chinesischen Kommunisten und ihrer Armee durch die Sowjetunion war daher eher dürftig.

Diese und andere innenpolitisch bedingten Umstände zwangen Mao Zedong am Anfang der dreißiger Jahre zur Defensive. Die reguläre Armee gewann wieder die Oberhand und drohte die chinesischen „Sowjetrepubliken" in der Provinz Kiangsi zu vernichten. Im berühmten „Langen Marsch" vom Oktober 1936 gelang es jedoch Mao Zedong — nach der erzwungenen Aufgabe der „Sowjetrepubliken" —, die chinesische Rote Armee nach Je-nan, Nordchina, zu führen, wo diese — zahlenmäßig verringert und geschwächt — mit primitiven Waffen den Krieg gegen die Kuomintang fortführte.

Im Sommer 1937 nahm jedoch der chinesische Bürgerkrieg ein (vorläufiges) Ende. Japan begann mit seinem Eroberungsfeldzug auf dem asiatischen Festland, und die Gefahr für die Chinesische Republik, eine Kolonie des japanischen Reiches zu werden, zwangen Mao Zedong und Tschiang Kai-schek zu einem „historischen Kompromiß" — zu einem Militärbündnis im Interesse der nationalen Eigenstaatlichkeit.

Mit dem Sieg über Japan im Jahre 1945 wurden jedoch die alten Gegensätze erneut akut Bereits in den ersten Monaten des Jahres 1946 kam es zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalisten, die sich dann rasch zu

einem neuen Bürgerkrieg ausweiteten. Durch sowjetische Militärhilfe, die vornehmlich aus Waffenlieferungen bestand, nahm die Stärke und Schlagkraft der kommunistischen Armee rapid zu und wurde der Nationalrevolutionären Armee ebenbürtig.

In diese Zeit - 1946 - fällt auch die Umbenennung der chinesischen Roten Armee in die noch heute offizielle Bezeichnung: Chinesische Volksbefreiungsarmee.

In dreijährigen, schweren Kämpfen eroberte nun die Volksbefreiungsarmee das gesamte chinesische Festland und zwang Marschall und Staatspräsident Tschiang Kai-schek, mit dem Rest seiner Armee nach Taiwan auszuweichen.

Der Sieg der Kommunisten in China wurde durch verschiedene

innere und äußere Umstände ermöglicht, die sowohl politischer, als auch militärischer Natur waren. Unbestritten sind dabei das militärische Können, die Disziplin und die hohe Moral der Volksbefreiungsarmee. Plünderungen und Brandschatzungen — bisher unvermeidliche Nebenerscheinungen revolutionärer Kriege — blieben in der Regel aus. Leben und Güter der Zivilbevölkerung wurden weitgehend geschont.

Zwischen 1949 und 1953 unternahm die Volksbefreiungsarmee einige militärische Aktionen, die nicht immer von Erfolg gekrönt waren. So zum Beispiel konnte die Hainan-Insel besetzt werden, aber Taiwan und Quemoj wurden weiterhin von der Nationalrevolutionären Armee gehalten.

In den Korea-Krieg wurden die Chinesen durch die Sowjetregierung eingezogen. Die sogenannte „Freiwilligen-Armee", die letzten Endes Nord-Korea vor dem vollständigen Zusammenbruch rettete, kämpfte hier gegen die Truppen der UNO und erlitt dabei empfindliche Verluste.

In diese Zeit fällt die innere Reorganisierung der Volksbefreiungsarmee, deren Hauptzüge die

Beseitigung des Guerillastils und der Ausbau eines zeitgemäßen, der chinesischen Denkart entsprechenden Heereswesens waren.

Die fünfziger und sechziger Jahre waren von verschiedenen militärischen Aktionen gekennzeichnet. So unterwarf die Volksbefreiungarmee 1959 das freie Tibet und dehnte die chinesische Herrschaft auf dieses Gebiet aus. Zwischen 1960 und 1962 entbrannten Kämpfe an der chinesisch-indischen Grenze, die schließlich mit Chinas Erfolg endeten.

Anfangs der sechziger Jahre kam es auch zum Bruch zwischen Peking und Moskau, in dessen Folge binnen kurzer Zeit alle sowjetischen Militärberater China verließen und auch jegliche Militärhilfe an China rigoros eingestellt wurde. Der Zwist der bei-

den kommunistischen Staaten, der nicht nur ideologische Hintergründe hatte, sondern ausgesprochene Hegemonial-Ansprü-che beinhaltete, gipfelte schließlich im Jahre 1969 in den militärischen Auseinandersetzungen am Ufer des Ussuri.

Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, daß China seit 1964 eine Atommacht ist und 1967 auch — mit eigener Kraft — die Zündung einer H-Bombe vollbrachte.

Die Öffnung nach Westen, das heißt die Annäherung Chinas an die westlichen Industrienationen, vor allem an die Vereinigten Staaten von Amerika in der ersten Hälfte der siebziger Jahre, brachte der Volksbefreiungsarmee einige wesentliche Vorteile — in erster Linie auf dem Gebiet der Waffentechnologie. Viel wurde darüber bisher geschreiben, aber noch mehr gehört in dem Bereich der militärischen Geheimnisse.

Eines ist jedoch auf alle Fälle sicher: Die sogenannte „Zweifronten-Krieg-Doktrin", die in den spätsechziger Jahren in der Volksbefreiungsarmee vorherrschte, die die Dislozierung der Streitkräfte politisch gegen zwei Hauptrichtungen — gegen die USA und gegen die Sowjetunion — vorsah, gehört der Vergangenheit an. Ein Jahrzehnt später steht die Volksbefreiungsarmee in der Praxis nur gegen die in Moskau sitzenden „neuen Za-

ren", die „Sozial-Imperialisten" und gegen deren Helfershelfer im Süden, die Vietnamesen, im Felde.

Gegen letztere führte Peking im Februar 1979 sogar einen mehrwöchigen, territorial begrenzten Krieg mit Erfolg durch, der schon deswegen von Bedeutung gewesen war, weil er die erste wichtige militärische Auseinandersetzung zwischen zwei sozialistischen Staaten darstellte — alle Beteuerungen der Verfechter der kommunistischen Ideologie Lüge strafend, daß so etwas zwischen Sozialisten unmöglich sei!

Die chinesischen Landstreitkräfte zählen heute 3,9 Millionen Mann und verkörpern rund 83 Prozent der gesamten regulären Streitkräfte. Sie setzen sich aus 121 Divisionen zusammen, von denen jedoch lediglich 12 Panzerdivisionen sind.

Die etwa 8500 Kampfwagen sind in China nachgebaute, sowjetische Modelle: leichte und mittlere Panzer des Typs T-59, T-60 und T-62. Die Feldarmee verfügt über 20.000 Geschütze und Raketenwerfer. 3000 gepanzerte Transportwagen sind auf weitere drei Kavalleriedivisionen, vier Luftlandedivisionen und vierzig Artillerieverbände verteilt.

Kriegsmarine und Luftstreitkräfte sind eine Verteidigungsstreitmacht. China besitzt lediglich 200 schwimmende Einheiten: die wenigen Unterseeboote und Zerstörer sind veraltet. 370.000 Mann stark ist die Kriegsmarine, die auch über Marineflieger (700 Flugzeuge) und Marineinfanterie verfügt.

Die Personalstärke der Luftstreitkräfte beträgt insgesamt 400.000 Mann. Operativ ist die Luftwaffe in fünfzig Fliegerdivisionen gegliedert und verfügt über 4000 Flugzeuge — alle sowjetische Modelle, die in China etwas modernisiert nachgebaut werden.

Der modernste Teil der Volksbefreiungsarmee sind zweifelsohne die strategischen Bomberverbände und die ballistische Raketentruppe. China hat — nach westlichen Schätzungen — rund 300 Atom- und Wasserstoffbom-. ben. Mit den neuesten Trägerraketen können die Chinesen Ziele in 11.000 km Entfernung erreichen — also sogar den europäischen Teil der Sowjetunion treffen! Das Gros der chinesischen Raketen mit Atomsprengkörper hat jedoch einen geringeren Einsatzradius: ihre Reichweite beträgt 1000 km.

China hat eine enorme Reserve an wehrfähigen Männern. Jeder Rekrutenjahrgang ist neun Millionen Mann stark. So kommt nur jeder zehnte junge Mann zur Truppe. Die anderen werden größtenteils zum waffenlosen Dienst, genannt „Produktionskorps", verpflichtet.

Wenn es auch noch Jahrzehnte dauern dürfte, bis es China gelingt, seinen technologischen Rückstand zu den Supermächten aufzuholen, kann man doch festhalten: Die Volksbefreiungsarmee ist auf dem Wege zu einer modernen Streitmacht mit Supermacht-Charakter. Es wird sicherlich wiederum ein .Janger ' Marsch" sein. Aber China, verglichen mit seinen Nachbarn in Asien (ausgenommen die Sowjetunion), besitzt bereits eine unumstrittene Vormachtsstellung.

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